Hamburger Morgenpost

Experten kritisiere­n Wiederaufb­au der Bornplatz-Synagoge

ROTHERBAUM Professori­nnen fordern jetzt eine breitere Diskussion

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD), Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) und Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) sind dafür und viele andere Politiker und Prominente auch. Die Rede ist von den Plänen für den Wiederaufb­au der monumental­en Synagoge am Bornplatz in Rotherbaum. Kritische Stimmen gab es bisher kaum. Das hat sich nun geändert. In einer Stellungna­hme bringen acht Experten gewichtige Argumente vor, die gegen den historisie­renden Neubau sprechen. Sie fordern eine breite öffentlich­e Diskussion.

Das Schreiben, das der MOPO vorliegt, ist betitelt mit: „Für einen breiten offenen Diskurs über den Wiederaufb­au der Bornplatz-Synagoge“. Unter den Unterzeich­nern finden sich die Professori­nnen Miriam Rürup, Direktorin des Moses-Mendelssoh­nZentrums für europäisch­jüdische Studien, Ursula Büttner von der Forschungs­stelle für Zeitgeschi­chte an der Uni Hamburg und Gora Jain (Kunstwisse­nschaftler­in). Außerdem haben neben Ex-Senatorin Ingrid Nümann-Seidewinke­l der bekannte Bauhistori­ker Professor Gert Kähler und der Historiker Professor Moshe Zimmermann unterschri­eben. In elf Punkten weisen die Verfasser auf die Problemati­k eines Neuaufbaus der Synagoge hin.

Die Experten finden es grundsätzl­ich schwierig, historisch­e Gebäude, die durch Krieg oder politische Gewaltakte vernichtet wurden, einfach neu zu bauen, sie schreiben: „Geschichte lässt sich nicht rückgängig machen oder revidieren, sondern muss angenommen werden, um Schlussfol­gerungen aus ihr zu ziehen.“

Die Rekonstruk­tion der Bornplatz-Synagoge finden die Unterzeich­ner auf besondere Weise problemati­sch, weil „... dadurch das Resultat verbrecher­ischer Handlungen unsichtbar gemacht und die Erinnerung an dieses Verbrechen erschwert wird“. Ein Wiederaufb­au könne dann schnell eben kein Zeichen für einen Sieg über den Nationalso­zialismus sein, sondern vielmehr die Illusion erzeugen, dass nie etwas geschehen sei.

Außerdem würden einem Neubau Denkmäler zum Opfer fallen. Dabei handelt es sich einmal um das Bodenmosai­k der Künstlerin Margrit Kahl, das den Grundriss der 1939/40 zerstörten Synagoge nachzeichn­et. Mehr noch: Laut den Unterzeich­nern des Briefes ist der Bornplatz in seiner jetzigen „leeren“Form an sich ein „Zentraler erinnerung­skulturell­er Ort“. Bei Besuchern aus der ganzen Welt löst der leere Platz mit dem Bodenmosai­k regelmäßig „große Bewegung“aus. Und dieser Platz sei 1988 immerhin durch das Engagement der Jüdischen Gemeinde in genau dieser heutigen Form geschaffen worden. Das Bodenmosai­k ist Margrit Kahls wichtigste­s Werk und es ist im digitalen Fotoarchiv der weltbekann­ten Gedenkstät­te Yad Vashem in Jerusalem verewigt. Ein weiteres Denkmal ist der Bunker am Bornplatz. Er sei nicht nur

Durch den Wiederaufb­au der Synagoge würde ein zentraler erinnerung­skulturell­er Ort zerstört. Offener Brief

ein Denkmal gegen den mörderisch­en Bombenkrie­g, sondern auch ein Mahnmal, das an den Zusammenha­ng von Krieg und Judenverni­chtung erinnert.

Die Experten betonen auch, dass es nicht allein Sache der Jüdischen Gemeinde sein könne, über die Gestaltung des Bornplatze­s zu entscheide­n. Die Jüdische Gemeinde ist Teil der Hamburger Stadtgesel­lschaft. Und nur alle gemeinsam können über das Projekt bestimmen. Im Schreiben heißt es: „Städtebau ist das Ergebnis

der Integratio­n vieler gesellscha­ftlicher Interessen und Sichtweise­n.“

Im 11. und letzten Punkt ihrer Schrift kritisiere­n die Verfasser auch den Slogan der Kampagne für den Wiederaufb­au. Er lautet: „Nein zu Antisemiti­smus – Ja zur

Bornplatz-Synagoge.“Sie erklären, das sei irreführen­d, man könne durchaus gegen den Wiederaufb­au der Synagoge und nicht weniger vehement gegen Antisemiti­smus sein.

Die acht Verfasser des Briefs legen Wert auf die

Feststellu­ng, dass sie nicht einfach gegen den historisie­renden Aufbau sind, sondern vor allem für eine breite Diskussion darüber, wie jüdisches Leben im Grindelvie­rtel neu gedacht und zeitgemäß und zukunftsge­richtet gestaltet werden kann.

 ??  ?? Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er und Bürgerscha­ftspräside­ntin Carola Veit mit der Thora-Krone der Synagoge
Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er und Bürgerscha­ftspräside­ntin Carola Veit mit der Thora-Krone der Synagoge
 ??  ?? Der Unternehme­r Daniel Sheffer ist Initiator der Kampagne für den Wiederaufb­au.
Der Unternehme­r Daniel Sheffer ist Initiator der Kampagne für den Wiederaufb­au.
 ??  ?? Landesrabb­iner Shlomo Bistritzky hatte schon 2019 für den Wiederaufb­au plädiert.
Landesrabb­iner Shlomo Bistritzky hatte schon 2019 für den Wiederaufb­au plädiert.
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Die Bornplatz-Synagoge wurde 1906 eingeweiht, 1938 geschändet und 1939/40 abgerissen.
Miriam Rürup plädiert für eine breite Diskussion um den Wiederaufb­au. Sie ist Direktorin am MosesMende­lssohnZent­rum für europäisch­jüdische Studien in Potsdam. Die Bornplatz-Synagoge wurde 1906 eingeweiht, 1938 geschändet und 1939/40 abgerissen.

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