„Die Demokratie ist vielfältig unter Druck“
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im Interview zu den Themen des Jahres
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble spricht über die Gefahren für die Demokratie in Pandemiezeiten. Er fordert von Deutschland mehr Verantwortung in der Welt – vor allem für Afrika. Und er verrät Eva Quadbeck sein Rezept, wie er sich als Privatperson am Familientisch so behaupten kann wie im Bundestag. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ist in der Weihnachtswoche telefonisch zu erreichen. Er ist schon zu Hause in Offenburg, wo er mit der Familie Weihnachten feiern wird.
Herr Schäuble, freuen Sie sich auf ein paar Tage, in denen Sie keine Ermahnungen, Ordnungsrufe und Belehrungen über das Grundgesetz nach rechts verteilen müssen?
Wolfgang Schäuble Ich freue mich auf die Weihnachtstage. Ich werde zwei meiner Enkelkinder sehen. Das freut mich ganz besonders. Wir werden Weihnachten wegen Corona in sehr kleinem Kreis halten. Ein ruhiges Weihnachten kann dafür umso intensiver sein. Den Betrieb im Plenum vermisse ich für ein paar Tage jedenfalls nicht. Wenn man den Bundestagspräsidenten unterbricht, kann das mit einem Ordnungsgeld geahndet werden. Darf man den Privatmensch Schäuble unterbrechen – am Familientisch? (Lacht) Ein Ordnungsgeld ist bis heute im Plenum ein einziges Mal verhängt worden. Von mir. Am Familientisch ist das etwas völlig anderes. Da bin ich nicht der Präsident. Da bin ich der Großvater, auf den man ein bisschen Rücksicht nehmen muss, weil er nicht mehr der Jüngste ist. Im Corona-Jahr ist der Bundestag auch von außen unter Druck geraten. Bei einer Kundgebung Ende August vor dem Reichstagsgebäude
sind Demonstranten bis zur Eingangstür gekommen. Am 18. November haben sich Protestler über Besucherausweise Zutritt verschafft. Sind diese Vorfälle ein Symbol dafür, dass in der Corona-Pandemie die Demokratie unter Druck geraten ist?
Die Demokratie ist vielfältig unter Druck. Der größte Druck entsteht durch die Globalisierung. Viele Dinge können wir national nicht mehr entscheiden oder beeinflussen. Darunter leiden alle westlichen Demokratien. Das ist die eigentliche Herausforderung für die Demokratie.
Am 18. November gab es den besonderen Fall, dass sich Abgeordnete mit Protestlern verbündet und diesen Zutritt zum Reichstagsgebäude verschafft haben. Die Protestler haben dann andere Abgeordnete bedrängt – unter anderem Wirtschaftsminister Altmaier. Ist das nicht eine neue Qualität der Verachtung des Parlaments?
Nein. Es passiert Abgeordneten immer wieder, dass sie von Menschen auf eine Art angesprochen werden, wie sie es nicht möchten, auch wenn das im
Bundestag sicher seltener passiert als auf der Straße. Zu den Vorfällen vom 18. November laufen die Verfahren, um mögliche Rechtsverstöße zu ahnden. Abgeordnete haben nach den bisherigen Erkenntnissen nur dadurch mitgewirkt, dass sie eingeladene Gäste im Reichstag nicht begleitet haben. Man darf aus der Aufregung des Augenblicks nicht überzogen reagieren. Nur so kann man mit allen Formen der Provokation fertigwerden. Wenn Sie aus der Vogelperspektive auf das Jahr 2020 schauen: Wie hat sich die Gesellschaft durch die Pandemie verändert?
Dieses Jahr hat gelehrt, dass das Leben nicht immer auf dem Niveau von Sicherheit und Wohlstand weitergeht, wie wir es gewohnt sind. Niemand konnte sich vorstellen, was eine Pandemie bedeutet – auch wenn es Szenarien gab, die solche Abläufe erstaunlich genau beschrieben haben. Gerade haben wir von der VirusMutation aus Großbritannien erfahren. Durch solche Entwicklungen wächst natürlich die Unsicherheit, wie schnell wir auch mit einem Impfstoff wieder in die Normalität kommen und wann es wirklich Licht am Ende des Tunnels gibt. Sie haben die Ära Kohl begleitet und zu Ende gehen sehen. Im kommenden Jahr wird die Ära Merkel zu Ende gehen. Zweimal 16 Jahre. Sehen Sie Parallelen?
Diese zweimal 16 Jahre waren völlig unterschiedlich. In Kohls Ära lag die Wiedervereinigung. Das war einmalig. Am Ende gibt es noch einen wichtigen Unterschied: Meine Frau hat immer vorhergesagt, Merkel werde eines Tages freiwillig aufgrund eigener Entscheidung aufhören und das Kanzleramt aufgeben. Ich habe das immer bezweifelt. Am Ende …
.… hat Ihre Frau recht behalten.
Es sieht danach aus. Das ist auch ein großer Unterschied – um gleich Ihre nächste Frage zu beantworten – für die Partei. Als die Ära Kohl zu Ende war, fand sich die CDU in der Opposition wieder.
Welchen der drei zur Wahl stehenden Kandidaten muss die CDU denn nach vorn stellen, damit sie dieses Mal nach 16 Jahren im Kanzleramt nicht in der Opposition landet? Das ist eine intelligente Form, eine Frage zu stellen, auf die ich vor dem Parteitag keine Antwort geben werde. Die CDU wird am 16. Januar bei einem digitalen Parteitag einen neuen Vorsitzenden wählen, der im Anschluss durch eine Briefwahl formal bestätigt wird. Die beiden Vorsitzenden von CDU und CSU werden sich dann darüber verständigen, zu welchem Zeitpunkt die Union entscheidet, mit welchem Kanzlerkandidaten oder welcher Kanzlerkandidatin sie bei der Bundestagswahl antreten wird.
Was raten Sie?
Mein Rat ist seit Langem, die Entscheidung spät zu treffen. Ich sehe mit Freude, dass nicht nur der CSU-Voritzende Söder diese Posiion vertritt, sondern inzwichen auch der Vorsitzende des größten CDU-Landesverbandes, Armin Laschet. Neben der in der CoronaKrise besonders hoch angeehenen und damit starken, die Öffentlichkeit auf sich iehenden Bundeskanzlein Angela Merkel ist der Raum für einen Kanzlerkandidaten der Union ein begrenzter. Der Zeitraum, n dem die beiden, der Kanzlerkandidat und die Kanzlerin, nebeneinandertehen, sollte nicht allzu ang sein.