Hamburger Morgenpost

3. Stunde: Lichterfes­t!

SCHULE Im Unterricht am Grindel gibt‘s Süßes

- NINA GESSNER nina.gessner@mopo.de

Dienstag, 10.15 Uhr. Die Schulglock­e läutet zur dritten Stunde. Die Kinder der 4. Klasse stürmen herbei. Sie lachen. Sie lärmen. Ganz normaler Schulallta­g, könnte man meinen. Und doch ist vieles anders in dem Backsteing­ebäude am Grindelhof als in anderen Schulen.

Schwer bewaffnete Polizisten bewachen das Gebäude, das Besucher nur nach vorheriger Anmeldung betreten können. Hinter dem Eisentor eine Schleuse mit Türen aus Panzerglas. Doch kaum sind diese Hürden genommen, die daran erinnern, dass jüdisches Leben in Deutschlan­d noch immer eines besonderen Schutzes bedarf, wird es fröhlich.

Bunte, von den Kindern gemalte Bilder hängen an den Wänden des Hauses, in dem sich bis 1942 die Talmud-Tora-Realschule befand. Erst seit 2007 hallt hier wieder der Klang kindlicher Unbeschwer­theit durch die Gänge. Damals wurde das Joseph-Carlebach-Bildungsha­us gegründet – als einzige jüdische Institutio­n in

Deutschlan­d, in der Kinder von der Krippe bis zum Abitur großgezoge­n werden.

Besonders aufgeregt sind heute die Viertkläss­ler, die jetzt Religion bei Frau Kohan haben. Denn heute ist Chanukka Thema. Das jüdische Lichterfes­t. Und das bedeutet nicht nur Unterricht, sondern auch Süßigkeite­n.

„Die Jungs setzen bitte ihre Kippa auf“, sagt die Lehrerin und fordert die Schüler damit auf, ihren Hinterkopf mit einer Kappe zu bedecken. Mirjam Kohan ist seit 2010 Lehrerin an der Schule. Sie ist im Grindelvie­rtel groß geworden, besuchte aber mangels Alternativ­e die Grundschul­e Kielortall­ee, wo sie die einzige Jüdin in ihrer Klasse war.

Umso mehr freut es sie nun, dass die Jüdische Gemeinde in Hamburg ein umfassende­s Betreuungs­angebot für die junge Generation anbietet. Dabei steht die Schule nicht nur jüdischen Kindern offen. Knapp die Hälfte der Schüler sind Nichtjuden. Von den 34 Lehrern sind nur acht Juden. Ganz wichtig: Alle werden gleich behandelt. Religionsl­ehrerin Kohan muss lange nachdenken, um die Frage zu beantworte­n, wie viele der

Kinder, die hier heute Chanukka feiern, Juden sind. Sie weiß es gar nicht genau.

Auch Schulrabbi­ner Shmuel Havlin ist dieses Prinzip sehr wichtig: „Wir wollen nicht thematisie­ren, wer Jude ist und wer nicht“, sagt der 36-Jährige, dessen Kinder ebenfalls die Schule bzw. die Kita im Haus besuchen und dessen Frau hier Lehrerin ist.

Um jegliche Konflikte zwischen Juden und Nichtjuden, orthodoxen und säkularen Juden zu vermeiden, wurde ein gemeinsame­r Standard eingeführt. So bringen die Kinder auch kein Pausenbrot mit, sondern werden in der Schule mit Essen versorgt, das den koscheren Speisegese­tzen entspricht.

Auch die Süßigkeite­n, die Robert zur Belohnung für ein gelöstes Rätsel in eine Schüssel kippen darf, sind koscher und kommen aus Israel. Er hat als Erster die Buchstaben „Ölkrug“, „Griechen“, „Chanukka“, „Makabäer“, „Menora“und „Antiochus“korrekt zusammenge­legt. Wörter, die die Geschichte des Lichterfes­tes erzählen.

Neben Religion, wo das Judentum im Vordergrun­d steht, gibt es nur noch zwei Fächer, die sich von dem Curriculum an einer staatliche­n Schule unterschei­den: Hebräisch und Kabalat Schabbat, eine Vorfeier für den Schabbat.

Die Klassen an der jüdischen Schule sind klein, zehn bis zwölf Kinder. Die Lernatmosp­häre ist familiär, die Lehrer kennen den Entwicklun­gsstand jedes Kindes gut. Aus diesem Grund erfreut sich das Bildungsha­us eines stetig wachsenden Zulaufs. Bei der Gründung 2007 waren es zwölf Schüler. Heute sind es 200. Tendenz steigend.

„Viele Kinder wechseln nach der Orientieru­ngsstufe vom Gymnasium zu uns, weil sie bei uns eine individuel­le Förderung erhalten“, sagt Schulrabbi­ner Shmuel Havlin. Besonders stolz ist er auf den ersten Abi-Jahrgang, der in diesem Frühjahr die Schule verließ – mit dem besten Stadtteils­chul-Abitur in ganz Hamburg.

Am 14. Januar ist Tag der offenen Tür im Joseph-Carlebach-Bildungsha­us. Diesmal nur per Zoom. Der Link dazu wird auf der Internetse­ite der Schule veröffentl­icht. „Unsere Schule ist ein buntes Gemisch von Sprachen, Kulturen, Religionen und sozialen Schichten“, sagt Dezernenti­n Stefanie Szczupak. Alle Seiten profitiert­en davon. Im Sinne einer gelebten Toleranz. Szczupak: „Die Kinder tragen das später einmal in die Welt hinaus.“Und leisten damit, so die Hoffnung der Schule, einen Beitrag gegen Vorurteile und Antisemiti­smus. Vielleicht ist dann ja auch eines fernen Tages der Polizeipos­ten vor der Tür nicht mehr nötig.

Unsere Schule ist ein buntes Gemisch von Sprachen, Kulturen, Religionen und sozialen Schichten. Stefanie Szczupak

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Religionsu­nterricht: Heute steht das Chanukka-Fest auf dem Stundenpla­n.
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