3. Stunde: Lichterfest!
SCHULE Im Unterricht am Grindel gibt‘s Süßes
Dienstag, 10.15 Uhr. Die Schulglocke läutet zur dritten Stunde. Die Kinder der 4. Klasse stürmen herbei. Sie lachen. Sie lärmen. Ganz normaler Schulalltag, könnte man meinen. Und doch ist vieles anders in dem Backsteingebäude am Grindelhof als in anderen Schulen.
Schwer bewaffnete Polizisten bewachen das Gebäude, das Besucher nur nach vorheriger Anmeldung betreten können. Hinter dem Eisentor eine Schleuse mit Türen aus Panzerglas. Doch kaum sind diese Hürden genommen, die daran erinnern, dass jüdisches Leben in Deutschland noch immer eines besonderen Schutzes bedarf, wird es fröhlich.
Bunte, von den Kindern gemalte Bilder hängen an den Wänden des Hauses, in dem sich bis 1942 die Talmud-Tora-Realschule befand. Erst seit 2007 hallt hier wieder der Klang kindlicher Unbeschwertheit durch die Gänge. Damals wurde das Joseph-Carlebach-Bildungshaus gegründet – als einzige jüdische Institution in
Deutschland, in der Kinder von der Krippe bis zum Abitur großgezogen werden.
Besonders aufgeregt sind heute die Viertklässler, die jetzt Religion bei Frau Kohan haben. Denn heute ist Chanukka Thema. Das jüdische Lichterfest. Und das bedeutet nicht nur Unterricht, sondern auch Süßigkeiten.
„Die Jungs setzen bitte ihre Kippa auf“, sagt die Lehrerin und fordert die Schüler damit auf, ihren Hinterkopf mit einer Kappe zu bedecken. Mirjam Kohan ist seit 2010 Lehrerin an der Schule. Sie ist im Grindelviertel groß geworden, besuchte aber mangels Alternative die Grundschule Kielortallee, wo sie die einzige Jüdin in ihrer Klasse war.
Umso mehr freut es sie nun, dass die Jüdische Gemeinde in Hamburg ein umfassendes Betreuungsangebot für die junge Generation anbietet. Dabei steht die Schule nicht nur jüdischen Kindern offen. Knapp die Hälfte der Schüler sind Nichtjuden. Von den 34 Lehrern sind nur acht Juden. Ganz wichtig: Alle werden gleich behandelt. Religionslehrerin Kohan muss lange nachdenken, um die Frage zu beantworten, wie viele der
Kinder, die hier heute Chanukka feiern, Juden sind. Sie weiß es gar nicht genau.
Auch Schulrabbiner Shmuel Havlin ist dieses Prinzip sehr wichtig: „Wir wollen nicht thematisieren, wer Jude ist und wer nicht“, sagt der 36-Jährige, dessen Kinder ebenfalls die Schule bzw. die Kita im Haus besuchen und dessen Frau hier Lehrerin ist.
Um jegliche Konflikte zwischen Juden und Nichtjuden, orthodoxen und säkularen Juden zu vermeiden, wurde ein gemeinsamer Standard eingeführt. So bringen die Kinder auch kein Pausenbrot mit, sondern werden in der Schule mit Essen versorgt, das den koscheren Speisegesetzen entspricht.
Auch die Süßigkeiten, die Robert zur Belohnung für ein gelöstes Rätsel in eine Schüssel kippen darf, sind koscher und kommen aus Israel. Er hat als Erster die Buchstaben „Ölkrug“, „Griechen“, „Chanukka“, „Makabäer“, „Menora“und „Antiochus“korrekt zusammengelegt. Wörter, die die Geschichte des Lichterfestes erzählen.
Neben Religion, wo das Judentum im Vordergrund steht, gibt es nur noch zwei Fächer, die sich von dem Curriculum an einer staatlichen Schule unterscheiden: Hebräisch und Kabalat Schabbat, eine Vorfeier für den Schabbat.
Die Klassen an der jüdischen Schule sind klein, zehn bis zwölf Kinder. Die Lernatmosphäre ist familiär, die Lehrer kennen den Entwicklungsstand jedes Kindes gut. Aus diesem Grund erfreut sich das Bildungshaus eines stetig wachsenden Zulaufs. Bei der Gründung 2007 waren es zwölf Schüler. Heute sind es 200. Tendenz steigend.
„Viele Kinder wechseln nach der Orientierungsstufe vom Gymnasium zu uns, weil sie bei uns eine individuelle Förderung erhalten“, sagt Schulrabbiner Shmuel Havlin. Besonders stolz ist er auf den ersten Abi-Jahrgang, der in diesem Frühjahr die Schule verließ – mit dem besten Stadtteilschul-Abitur in ganz Hamburg.
Am 14. Januar ist Tag der offenen Tür im Joseph-Carlebach-Bildungshaus. Diesmal nur per Zoom. Der Link dazu wird auf der Internetseite der Schule veröffentlicht. „Unsere Schule ist ein buntes Gemisch von Sprachen, Kulturen, Religionen und sozialen Schichten“, sagt Dezernentin Stefanie Szczupak. Alle Seiten profitierten davon. Im Sinne einer gelebten Toleranz. Szczupak: „Die Kinder tragen das später einmal in die Welt hinaus.“Und leisten damit, so die Hoffnung der Schule, einen Beitrag gegen Vorurteile und Antisemitismus. Vielleicht ist dann ja auch eines fernen Tages der Polizeiposten vor der Tür nicht mehr nötig.
Unsere Schule ist ein buntes Gemisch von Sprachen, Kulturen, Religionen und sozialen Schichten. Stefanie Szczupak