„Es gab dauernd Brühe aus Blutwurst“
Rudolf Schmidt war damals neun Jahre alt
Rudolf Schmidt war Weihnachten 1945 neun Jahre alt. „Es gab so gut wie nichts. Keinen Tannenbaum. Keine Geschenke. Aber das war völlig unwichtig. Wichtig war, überlebt zu haben.“
Und dann erzählt der 84-Jährige von seiner furchtbaren Kindheit, die geprägt war von ständiger Angst vor dem Tod. „Das Erste, an das ich mich überhaupt erinnern kann in meinem Leben, sind die Bombennächte. Immer saßen wir da angezogen im hauseigenen Luftschutzkeller, schliefen auf Strohmatten. Ich habe die ganzen Sirenentöne noch im Ohr. Voralarm, Vollalarm, dann Entwarnung. Nacht für Nacht.“
Aufgewachsen ist Rudolf Schmidt im Haus Hindenburgstraße 10 in Wilhelmsburg. „Am 18. Juni 1944, es war Pfingstsonntag, brach die Hölle los. Die Bomben trafen auch unser Haus. Der Luftschutzkeller wurde verschüttet, es gab viele Tote, darunter meine damals 39-jährige Mutter. Ich konnte mich selbst aus den Trümmern befreien.“
Als Halbwaise wurde Rudolf Schmidt „kinderlandverschickt“nach Schlesien in ein Kinderheim. Er erzählt, dass er immer nur geweint habe – aus Sehnsucht nach seiner toten Mutter. Als dann die Front immer näher kam und die Rote Armee zum Sturm ansetzte, wurde er mit den anderen Kindern im Winter
1944 auf die offene Ladefläche eines Lkw gesetzt und so nach Bützfleth bei Stade gebracht, wo er von einem älteren Bauernehepaar aufgenommen wurde. Heiligabend 1944 gab es da Bratäpfel aus dem Kachelofen.
Herbst 1945 ging es zurück nach Wilhelmsburg in eine halb zerstörte Wohnung in der Straße Otterhaken. Nicht mal eine Toilette gab es da. „Mein Vater war seit dem Tod seiner Frau ein gebrochener Mann. Für ihn gab es keinen Gott mehr.“Das Essen war knapp, alles gab es nur auf Lebensmittelkarte. „Wir mussten Schlange stehen. Ich erinnere mich, dass es dauernd Wurstbrühe aus Blutwürsten gab. Aber egal. Wir haben überlebt. Nur darauf kam es an.“
Es gab so gut wie nichts. Aber das war völlig unwichtig. Wichtig war, überlebt zu haben. Rudolf Schmidt