„Lebertran rettete uns über den Winter“
Für Hans-Uwe Seib gab’s Wassersuppe und Maisbrot
Hans-Uwe Seib (81) aus Eidelstedt verbrachte Weihnachten 1945 zufälligerweise fast genau dort, wo sich das MOPO-Redaktionsgebäude heute befindet – nämlich in einem ehemaligen Arbeitslager an der Gaußstraße in Ottensen, wo während des Krieges KZ-Häftlinge untergebracht waren. Er erinnert sich:
„Ende November 1945 kamen wir drei ,Buten-Hamburger‘ – Oma, Mama und ich – von unserer langen Flucht wieder zurück nach Hamburg und fanden uns als Flüchtlinge in diesem Wohnlager in Ottensen wieder. Dort wurden wir drei ,gemütlich‘ mit 25 weiteren Personen in einem großen Raum untergebracht: Ein paar alte Männer und viele Frauen mit ihren Kindern. Jüngere Männer waren nicht darunter, die waren als Soldaten entweder gefallen oder in Kriegsgefangenschaft. Ernährt wurden wir mit Wassersuppe und Maisbrot aus einer Gemeinschaftsküche der Sozialbehörde. An einem Advents-Nachmittag wurden wir Kinder in der Lager-Krankenstation zusammengerufen, wo wir gemeinsam ein paar Weihnachtslieder sangen. Seit diesem Nachmittag ist ,Stille Nacht‘ mein Lieblingsweihnachtslied. Geschenke? Nö, da gab’s nix! Wir waren froh, noch am Leben zu sein! Ach ja, in unserem ,gemütlichen‘ Raum stand ein kleines ungeschmücktes Tannenbäumchen!
Weihnachten 1946? Daran habe ich keine Erinnerung mehr. Nur an den Dorsch-Lebertran erinnere ich mich, den wir Kinder einmal wöchentlich den ganzen Winter über in der Krankenstation einnehmen mussten! Bääähh! Aber damit beziehungsweise dadurch sind wir Kinder wohl recht gut über diese schlimmen Zeiten gekommen.
Weihnachten 1947? Da hatten wir drei bereits ein eigenes Zimmer!
Rund 15 Quadratmeter groß! Statt Tür gab es einen Vorhang, den wir zuziehen konnten, denn da vorn war noch ein Durchgang zum nächsten Zimmer. Darin wohnte Frau Hollmann mit ihren zwei Kindern. Auch 1947 fanden keine Weihnachtsfeiern statt. Nur wir Kinder versammelten uns wieder in der Krankenstation und sangen Weihnachtslieder.
Aber dann kam 1948! Da steppte der Bär! Am 23.5. wurde das Grundgesetz verkündet. Am 20.6. wurde die neue D-Mark ausgegeben. Und im Laufe des Sommers erlebten wir einen weiteren sozialen Aufstieg, denn wir zogen schon wieder in ein größeres Zimmer um. Dieses Mal sogar abschließbar, mit Fenster und einem kleinen Herd, auf dem Oma nun auch für uns etwas kochen konnte, denn die Gemeinschaftsküche war geschlossen worden.
Nun konnte das Leben beginnen! Wer durch irgendwelche Vermögenswerte abgesichert war, bekam wieder Boden unter seine Füße. Wir Heimkehrer bekamen jeder in zwei Raten 40 Mark ausgezahlt.
Ich erinnere, dass wir in der Nachkriegszeit mal im Alsterhaus waren. Dort tappelten wir auch durch die Spielwarenabteilung. Sensationell, was es dort alles gab! Mein Kinderherz platzte bald vor Begeisterung! Was ich davon zu Weihnachten bekam? Ein klitzekleines Spielzeugauto, mit dem ich sogar im Bett spielen konnte! Und es gab auch meinen ersten bunten Weihnachtsteller. Aber viel war da nicht drauf. In meiner Erinnerung nur ein paar Süßigkeiten. Hat nicht sehr lange gedauert, bis ich den Teller leer hatte – mit dem Erfolg, dass der ganze Zucker nach etwa 30 Minuten wieder rauskam. Mannomann, was habe ich mich darüber geärgert! Alles wieder weg!“