Die Macht des Faktischen
Minister Spahn mag recht haben, wenn er die Solidarität der Geimpften mit jenen einfordert, die noch auf Immunisierung warten müssen. Sobald jedoch Impfmöglichkeiten für jedermann bestehen, wendet sich das Argument: Wenn für das Ende der Pandemie 60 bis 70 Prozent der Menschen immun sein müssen, ist es unsolidarisch, die Impfung den anderen zu überlassen und sich auf deren Impfbereitschaft zu verlassen.
Wie soll man es dann Betroffenen in Pflegeheimen, Gastronomie oder Eventbranche erklären, falls neue Ausgangssperren und Shutdowns nötig werden? Aussichtsreiche Klagen und einen Flickenteppich an Gerichtsvorgaben drohen: Man kann nicht Unternehmen aus dem Gastro-, Airline- oder Wellnessbereich in die Pleite schicken, weil man ihnen Spezialangebote für Geimpfte verbietet. Ebenso kann man kaum verhindern, dass Arbeitgeber nur geimpfte Angestellte in den Kundenkontakt schicken. So erhöht sich zwar der Druck, sich impfen zu lassen, sofern es medizinisch möglich ist. Ein Impfzwang ist es dennoch nicht, sondern lediglich die Macht des Faktischen.