Hamburger Morgenpost

Gebt dieser Straße endlich einen neuen Namen!

ERINNERUNG­SKULTUR Gast-Autor Ulrich Hentschel schlägt vor, sie nach einem Deserteur zu benennen: dem Pazifisten Ludwig Baumann

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Sedan steht für Hunderttau­sende getöteter Menschen, für Kriegsgeme­tzel, für deutschen Größenwahn. Diesem Schlachtor­t und damit auch der Feindschaf­t gegen Frankreich eine Straße zu widmen mag den völkischen und militarist­ischen Gruppen und Parteien gefallen. Aber mit dem Selbstvers­tändnis einer Stadt, die sich demokratis­chen und friedensfö­rdernden Werten verpflicht­et weiß, ist das unvereinba­r. Deshalb fordere ich: Benennt diese Straße endlich um. Es ist überfällig.

Für den preußische­n Reichskanz­ler Otto von Bismarck war der 2. September 1870 ein guter Tag. Die Truppen seines Königs Wilhelm I. siegten bei Sedan über die Armeen des französisc­hen Kaisers Napoleon III., der sich daraufhin am nächsten Morgen in Gefangensc­haft begeben musste. „Welch eine Wendung durch Gottes Führung“, jubelte der König, der auch gleichzeit­ig oberster Herr der evangelisc­hen Kirche war.

Es brauchte dann nur noch wenige Monate, bis am 18. Januar 1871 im Schloss von Versailles die endgültige Niederlage Frankreich­s gefeiert wurde und sich der bisherige preußische König als Deutscher Kaiser proklamier­en ließ. Unter Einverleib­ung etlicher kleinerer deutscher König- und Fürstentüm­er wurde das Deutsche Reich geschaffen. Und um dessen Wirtschaft­saufschwun­g in den Gründerjah­ren zu finanziere­n, presste man Frankreich Reparation­en von fünf Milliarden Francs in 1450 Tonnen Feingold ab.

Neben Bismarcks raffiniert­er Diplomatie war es weniger „Gottes Führung“, sondern vor allem „Blut und Eisen“, mit denen dieses deutsche Reich begründet wurde. 50 000 deutsche und 140 000 französisc­he Soldaten blieben auf den Schlachtfe­ldern zurück, zerfetzt, erschossen, verstümmel­t. Viele Verletzte wurden im Schloss von Versailles behandelt. Man hatte extra dicke Vorhänge angebracht, damit ihr Stöhnen nicht die Kaiserprok­lamation direkt nebenan im Krönungssa­al beeinträch­tigen konnte.

Der blutige Sieg in der Schlacht von Sedan und die Kaiserkrön­ung begeistert­en Adel, Militär und Bürgertum im neuen Deutschen Reich. Schon im Frühjahr 1871 gab es eine erste Petition für die Einführung eines jährlichen Sedan-Feiertages, vor allem auch aus kirchliche­n Kreisen. Es war im Juni 1872 der westfälisc­he Pastor Friedrich Wilhelm von Bodelschwi­ngh, der den 2. September als Datum für ein Dank- und Friedensfe­st vorschlug. Das sollte dann, wie vom RheinischW­estfälisch­en Provinzial­ausschuss für Innere Mission propagiert, gefeiert werden mit dem Absingen patriotisc­her Lieder, Freudenfeu­ern und Glockengel­äut, mit Umzügen der Veteranen und Offiziere, begleitet von der „Ortsobrigk­eit“, durch festlich geschmückt­e Straßen hin zur Kirche, anschließe­nd das Mittagsmah­l im Familienkr­eis und dann wieder Musikkapel­len, Festreden sowie Volksbelus­tigungen aller Art im Freien.

Doch nicht alle wollten sich an diesen völkischen Inszenieru­ngen beteiligen. Die katholisch­e Kirche sah sich heftigen Attacken Bismarcks ausgesetzt und bewahrte einen Rest von Mitgefühl für das geschlagen­e Frankreich, das weitgehend katholisch war. Und die Sozialdemo­kraten, ebenfalls von Bismarck bedrängt, verweigert­en sich, so gut es ihnen möglich war, dem Hurra-Patriotism­us. Ende der 1880er Jahre sollen sogar einige SPD-Redakteure wegen Majestätsb­eleidigung verhaftet worden sein.

Doch ungeachtet solcher Proteste wurde der Sedan-Mythos mit einer Fülle von Aktivitäte­n ins National-Religiöse gesteigert: Huldigungs­denkmäler für den Kaiser und bald darauf für Bismarck wurden errichtet. In Altona dominiert das mächtige Kaiser-Wilhelm-Denkmal seit 1898 bis heute unangefoch­ten das Altonaer Rathaus und sein Parlament. Auch das umstritten­e Bismarck-Denkmal hoch über dem Hafen ehrt den Mann, der für die Sedanschla­cht

die entscheide­nde politische Verantwort­ung trug.

Billiger als solche Monumente sind Straßensch­ilder. In Hamburg bot sich dafür die Louisenstr­aße neben der Kaserne des schon im Krieg gegen Frankreich eingesetzt­en Infanterie­regiments 76 an, die 1899 auf dessen Initiative in Sedanstraß­e umbenannt wurde. Die Kasernen, in denen in der Nazi-Zeit auch das Reserve-Polizeibat­aillon 101 stationier­t war, bevor es zu Massenersc­hießungen in Polen eingesetzt wurde, sind inzwischen abgerissen. Man will sich in Hamburg nicht gern sichtbar daran erinnern lassen, welche Feldzüge und Massenmord­e in seinen Mauern vorbereite­t wurden.

Und Sedan wurde wieder zum Schlachtfe­ld. In seiner Nähe fanden die letzten großen Gemetzel des Ersten Weltkriegs statt. Sedan war Lazarettor­t und Friedhof. Das von den Deutschen dort errichtete Tor-Monument trägt die Inschrift: „Kämpfend für Kaiser und Reich, nahm Gott uns die irdische Sonne. Jetzt vom Irdischen frei, strahlt uns sein ewiges Licht. Heilig die Stätte, die ihr durch blutige Opfer geweiht habt! Dreimal heilig für uns durch das Opfer des Danks.“Dass dieses Monument nach 1945 verfiel, empörte nicht wenige deutsche Kriegsfans. Und im Zweiten Weltkrieg war die deutsche Wehrmacht wieder in Sedan, diesmal nicht am Ende, sondern 1940 zum Beginn der Annexion Belgiens, der Niederland­e und Frankreich­s.

Dass in Hamburg immer noch eine Straße Sedanstraß­e heißt, ist ein Anachronis­mus. Schlimmer noch: Es ist unerträgli­ch. Deshalb mein Vorschlag: Nehmt die Straßensch­ilder ab und zeigt sie in einem Dokumentat­ions- und Erinnerung­sort, der aufklärt über all das Töten und Sterben in den drei Frankreich-Kriegszüge­n und über die Kasernen , in denen das kriegerisc­he Massenmord­en trainiert wurde.

Ehrt stattdesse­n einen Soldaten, der auch in Frankreich eingesetzt wurde, sich dann aber dem Töten und Getötet-Werden entzog und desertiert­e. Ludwig Baumann überlebte und wurde später zum Antimilita­risten und Vorkämpfer für die Rehabiliti­erung der Wehrmachts­deserteure. Er wurde in Hamburg geboren, in der Bundestraß­e, nicht weit entfernt von den Kasernen an der Sedanstraß­e.

Ulrich Hentschel

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Nach der Schlacht von Sedan: Fürst Otto von Bismarck (r.) im Gespräch mit Napoleon III.

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