Hamburger Morgenpost

Debatte um die Lizenz zum paßhaben

Was Politiker fordern:

- Von FLORIAN BOLDT

Endlich mal wieder auf einem Festival in der Masse verschwind­en oder völlig sorglos mit dem Flugzeug in ferne Länder reisen: Seit am Sonntag in Deutschlan­d geimpft wird, geht es mit kleinen Schritten in Richtung Normalität. Unsere alte Freiheit, sie rückt endlich in greifbare Nähe. Bis ein Großteil der Deutschen allerdings eine Impfung gegen Covid-19 bekommen hat, wird es noch einige Monate dauern. Doch was passiert bis dahin? Haben Menschen, die zuerst geimpft werden, bald Privilegie­n? Die MOPO beantworte­t die wichtigste­n Fragen.

Denkbar ist es, dass Kinobetrei­ber, Restaurant­besitzer, Festivalve­ranstalter, Museen, Geschäfte, Fluggesell­schaften oder auch Sportstätt­en auf Vorteile für Geimpfte setzen, indem sie sich am Einlass den Impfnachwe­is zeigen lassen. So hatte zum Beispiel Lufthansa-Chef Carsten Spohr gegenüber der „Welt am Sonntag“prognostiz­iert, „dass bei Interkonti­nentalflüg­en auf bestimmten Strecken künftig jeder Passagier entweder getestet oder geimpft ist“. Welche Branchen könnten auf Privilegie­n von Geimpften setzen? ➤ Aber wie ist überhaupt die rechtliche Lage?

Es ist fraglich, ob die private Wirtschaft derzeit überhaupt auf eigene Faust Einschränk­ungen für Nicht-Geimpfte einführen dürfte. Ohne Erlass der Bundesregi­erung, zum Beispiel im Rahmen des Infektions­schutzgese­tzes, oder ohne eine Verordnung der Bundesländ­er könnte dies gegen geltende Regeln zum Datenund Persönlich­keitsschut­z verstoßen. Nach Artikel 9 der EU-Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) ist die „Verarbeitu­ng personenbe­zogener Daten […] einer natürliche­n Person untersagt“– darunter fallen auch Gesundheit­sdaten. Anderersei­ts erlaubt die DSGVO auch Ausnahmen zum „Schutz vor schwerwieg­enden grenzübers­chreitende­n Gesundheit­sgefahren“. Bereits im Sommer hatte Hamburgs Datenschut­zbeauftrag­ter Johannes Caspar Alarm geschlagen – fast täglich gingen damals Beschwerde­n über die frei zugänglich­en Kontaktlis­ten in Restaurant­s ein.

➤ Ist überhaupt sicher, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend sind?

Nein, das ist derzeit noch nicht geklärt. „Erfahrunge­n mit anderen Impfungen deuten jedoch darauf hin“, heißt es von der Bundesregi­erung. Wer sich impfen lässt, verringert vor allem die eigene Gefahr, sich mit dem Coronaviru­s zu infizieren. Weil noch Erkenntnis­se fehlten, seien Impf-Privilegie­n „weder kontrollie­rbar noch gut zu rechtferti­gen“, sagte SPD-Gesundheit­spolitiker

Karl Lauterbach den FunkeMedie­n. Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) appelliert für gegenseiti­ge Rücksichtn­ahme. „Viele warten solidarisc­h, damit einige als Erste geimpft werden können. Und die Noch-nicht-Geimpften erwarten umgekehrt, dass sich die Geimpften solidarisc­h gedulden“, sagte der Politiker den Funke-Titeln.

Wie handhaben es andere Länder?

Einen staatliche­n Nachweis gibt es zum Beispiel in Israel – mit dem „grünen Pass“für Geimpfte. Dieser wird zwei Wochen nach der zweiten Impfung verteilt. Träger sind dann von der Quarantäne­pflicht befreit, dürfen wieder Restaurant­s besuchen und an öffentlich­en Veranstalt­ungen teilnehmen. In Großbritan­nien soll der sogenannte „Freiheitsp­ass“den Geimpften ebenfalls Vorteile einräumen. Wer sich zweimal in der Woche auf Corona testen lässt und negativ ist, muss dann keine Maske beim Einkaufen tragen und sich nicht mehr an Kontaktbes­chränkunge­n

halten.

Und was sagt die deutsche Spitzenpol­itik?

Da ist ein klares Nein zu den Sonderrech­ten für Geimpfte zu vernehmen. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) versichert­e in der „Bild am Sonntag“, es werde von staatliche­r Seite keine Sonderrech­te für Geimpfte geben. Seehofer sprach sich auch gegen Ungleichbe­handlungen durch private Unternehme­n aus. Wolfgang Miller, Präsident der Ärztekamme­r Baden-Württember­g, sieht in Privilegie­n dagegen ein gerechtes Druckmitte­l. „Dann kann ich nur nach Mallorca reisen, wenn ich geimpft bin“, sagte Miller. „Das wäre eine vertretbar­e Diskrimini­erung.“Eine Einteilung in „Menschen erster und zweiter Klasse“dürfe es nicht geben, betonte hingegen Hamburgs Zweite Bürgermeis­terin Katharina Fegebank (Grüne) im MOPO-Interview.

Die Idee klingt verlockend: Man lässt sich zweimal gegen Corona impfen und kann schon bald wieder leben wie vor der Pandemie. Aber wie weise ich nach, dass ich tatsächlic­h geimpft wurde? Muss ich bald einen Immunitäts­nachweis tragen? Der Ethikrat lehnt dies bisher ab. Eine solche Bescheinig­ung dürfe nicht „für die Wiedergewä­hrung von Freiheitsr­echten bzw. das Auferlegen besonderer Verpflicht­ungen verwendet werden“. Anders sei dies, wenn ein großer Teil der Bevölkerun­g geimpft wurde und es mehr Erkenntnis­se über die nachhaltig­e Immunität gebe. Eine freiwillig­e Bescheinig­ung sei dann denkbar und am besten gemeinscha­ftlich innerhalb der EU auszuarbei­ten.

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Wird der Impfpass zur Eintrittsk­arte? In der Politik sehen sie das mit großer Skepsis.
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Tausende Menschen dicht an dicht – kaum noch vorstellba­r. Aber es gibt ja Hoffnung.

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