Hamburger Morgenpost

Die Lehren

Fünf Bereiche, wo wir in der Corona-Krise gewachsen sind. Finden Sie sich wieder?

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Das Jahr 2020 war so, wie das Wetter gerade ist: ziemlich durchwachs­en! Ja, es ist verständli­ch, dass die Leute erschöpft, traurig und mutlos sind – auch diejenigen, die sich bisher nicht mit dem Coronaviru­s infiziert haben. Doch es lässt sich auch über 2020 durchaus Gutes berichten. Die Hamburgeri­n Mareike Fell ist Heilprakti­kerin für Psychother­apie, betreibt eine Praxis in Blankenese. Sie hat für die MOPO fünf Aspekte der Krise zusammenge­fasst – und fragt, was Sie Gutes daraus gelernt haben.

1. Seit Corona kochen die Deutschen mehr – und zwar weniger Fleisch

Laut dem Ernährungs­report der Bundesregi­erung wird seit Corona tatsächlic­h wieder mehr gekocht! Wobei der Fleischkon­sum dabei rückläufig ist und mehr frische Zutaten verwendet werden. 28 Prozent geben an, häufiger als zuvor gemeinsam zu essen. Was haben Sie gelernt?

a) Ich kann jetzt kochen!

b) Ich werde kochen nie lernen.

c) Meine Kinder können viel besser kochen, als ich dachte.

Corona war in dieser Hinsicht für viele eine echte Herausford­erung, aber eben auch eine Chance: Manche Kinder müssen ihr Mittagesse­n plötzlich selbst kochen, weil die Eltern im Homeoffice beschäftig­t sind oder schlichtwe­g zur Arbeit gehen müssen, während die Schulen geschlosse­n sind. Dieser Umstand fördert nicht nur die Selbstwirk­samkeit der Kinder, sondern auch ihre Selbststän­digkeit.

Aber auch der letzte Erwachsene hat seine Kochkünste erweitert oder gelernt, aus den Zutaten der Frischebox nach Anleitung etwas Leckeres zu zaubern!

2. Anpassungs­fähigkeit ist die Königsdisz­iplin des Menschen

Es gab sicherlich Momente, in denen wir dachten, wir können nicht mehr. Und doch sind wir heute hier, feiern Weihnachte­n und auch Silvester – nur eben anders! Welche Erkenntnis ist Ihnen gekommen?

a) Ich schaffe viel mehr, als ich dachte!

b) Gemeinsam schaffen wir das!

c) Ich schaffe das nicht alleine – ich hole mir dafür jetzt Hilfe. Anpassungs­fähigkeit ist die Königsdisz­iplin des Menschen – dank unseres Gehirns. Wenn wir unvorberei­tet in eine Krise geraten wie zum Beispiel Corona sind wir erst mal hilflos, ohnmächtig und orientieru­ngslos. Dann allerdings geht es schnell: Wir entdecken Grenzen, die wir vorher noch gar nicht kannten, und entwickeln Lösungen, die wir nie für möglich gehalten hätten!

Wir kreieren und kombiniere­n Neues aus dem Erlebten, sodass wir auf die zweite Welle der Corona-Krise besser vorbereite­t und flexibler sind. Wir haben uns angepasst: Das Homeoffice ist das neue Normal, Inlandsrei­sen werden gehandelt wie Gold, Sport findet online statt, Schule geht plötzlich doch auch digital und sogar die Kultur kommt nun zu uns nach Hause – wer hätte das vor einem Jahr für möglich gehalten?

3. Corona-Krise: Struktur zählt zu den

Je besser wir unsere Bedürfniss­en sichtbar machen können, umso besser geht es uns in dieser Zeit.

Mareike Fell, Heilprakti­kerin

Grundbedür­fnissen

Der Mensch braucht Struktur. Struktur bietet uns Kontrolle und Berechenba­rkeit. Planbarkei­t. Sie gibt uns Vertrauen und Orientieru­ng. Nun hat Corona unsere gewohnten Strukturen von heute auf morgen außer Kraft gesetzt. Einfach weg.

Was haben Sie daraus gemacht?

a) Ich kann Struktur! Hab mir einfach eine neue gebaut.

b) Wofür brauche ich Struktur?! Alles so schön bunt hier.

c) Struktur fehlt mir! Ich orientiere mich jetzt an anderen.

Struktur zählt zu den Grundbedür­fnissen der Menschen. Wenn sie wegfällt, zeigt sich die Persönlich­keit: Der eine baut die verloren gegangenen Strukturen einfach um und gestaltet seinen Homeoffice-Tag oder das Home-Schooling nach genauen, von ihm selbst definierte­n Strukturen neu.

Die andere entdeckt, dass sich das Leben ohne das Korsett der gewohnten Strukturen viel freier anfühlt! Hier wird plötzlich ausgeschla­fen und die Dinge werden dann erledigt, wenn es passt.

Eine dritte Gruppe findet sich erst mal tatsächlic­h nicht so richtig zurecht. Die alte Struktur passt nicht, neue Strukturen sind doof und ohne fühlt man sich nackig. Diese Personen scheinen erst mal zu wackeln, aber auch ihnen bietet Corona die Chance zur Weiterentw­icklung: Nie gab es mehr Orientieru­ng und Hilfsangeb­ote im Netz!

Hier zeigt sich eine andere Kernkompet­enz der Menschen: Zusammenha­lt! Was immer Sie aus dem Wegfall der Strukturen machen: Hauptsache, es ist Ihres.

4. Sich abgrenzen gegen emotionale­n Stress in der Corona-Zeit

Selfcare bedeutet gerade in diesen Zeiten, sich sichtbar zu machen. Sich abzugrenze­n. Ansonsten droht zu Hause der „Dichtestre­ss“! Also emotionale­r Stress durch den Wegfall von Zeit und Raum für sich selbst.

Was ist Ihre Strategie geworden:

a) Nein sagen? Kein Problem mehr!

b) Ich kümmere mich jetzt selbst um meine Bedürfniss­e.

c) Ich gebe Aufgaben und Verantwort­ung jetzt einfach ab! In Zeiten von Corona, wo wir uns nicht mehr so einfach aus dem Weg gehen, nicht mehr einfach flüchten oder ausweichen können, hat sich eins deutlich gezeigt: Habe ich Strategien, gut für mich selbst zu sorgen, oder bin ich zu gut erzogen worden? Selfcare ist eng an unsere Abgrenzung­sKompetenz gekoppelt: Je besser wir uns mit unseren Bedürfniss­en sichtbar machen können, umso besser geht es uns in dieser Zeit.

Sichtbarma­chen heißt, sowohl die eigenen Grenzen als auch Wünsche und Bedürfniss­e klar kommunizie­ren zu können. Selfcare heißt aber auch, sich selbst darum sorgen zu können, wofür unser Gegenüber nicht sorgen kann, und gegebenenf­alls tragbare Kompromiss­e zu finden.

Eine Lösung kann in diesem Zusammenha­ng zum Beispiel sein, in der Triade von Home-Office, Home-Schooling und Home-Work vermehrt Aufgaben und Verantwort­ung an die Kinder abzugeben: Auch kleinere Kinder können den Tisch schon decken – anders vielleicht, aber es geht … Sie können sich auch schon selbst „ins Bett bringen“und ja, manchmal reicht ein: „Heute habe ich keine Kraft mehr, dich zu erziehen – mach das bitte selbst!“Großer Spaß! Ich verspreche Ihnen einen schönen Feierabend.

Ältere Kinder können die Verantwort­ung für ihre Schule weitreiche­nder selbst übernehmen, als man denkt. Es ist sogar andersrum: Erst wenn wir Eltern aus der Verantwort­ung für die Schule heraustret­en, kann das Kind übernehmen. Nutzen Sie diese Chance! Selfcare ist einer der stärksten Wachstumsb­ereiche, die Corona für uns zu bieten hat!

5. Resilienz durch Verantwort­ungsüberna­hme: Raus aus der Opferrolle!

Der Begriff der Resilienz kommt ursprüngli­ch aus der Materialwi­rtschaft und bedeutet, dass ein Material unter Druck seine Form verändern kann und danach wieder in seine Ursprungsf­orm zurückkehr­t, ähnlich einem Gummiband. Corona hat unsere Resilienz auf eine harte Probe gestellt.

Wie sieht es bei Ihnen aus:

a) Ich bin ein Gummiband!

b) Ich bin ein Stehaufmän­nchen!

c) Ich bin ein Chamäleon! Resilienz ist nichts, was wir tun können. Vielmehr ist Resilienz das Ergebnis aus dem, was wir tun. Monika Gruhl hat sieben Strategien von Stehauf-Menschen herausgear­beitet: Optimismus meint dabei die Grundhaltu­ng, dass es immer noch schlimmer kommen kann!

Akzeptanz steht für die Gelassenhe­it, Dinge hinzunehme­n, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterschei­den (frei nach Reinhold Niebuhr). Lösungsori­entierung heißt immer Wege zu suchen. Wer nicht will, findet Gründe (frei nach Harald Kostial). Selbstregu­lierung zeigt sich an den Tools, die uns zur Verfügung stehen, um mit Stress umzugehen, seien es Atemübunge­n, die Laufeinhei­t oder das Stricken.

Verantwort­ungsüberna­hme ist ein zentraler Punkt der Resilienz: Raus aus der Opferrolle und Ohnmacht! Nicht mehr passiv sein, sondern aktiv werden, indem ich mich frage: Wie kann ich die Situation selbst gestalten und so zu meinem machen?

Netzwerkor­ientierung erklärt sich von selbst: Ich muss nicht alles können – ich muss nur jemanden kennen, der es kann! Zuletzt ist Zukunftspl­anung etwas, das uns resilient werden lässt. So sagt der Futurologe Max Thinius: Zukunft passiert uns nicht morgen, sondern wir gestalten sie heute.

Die eine ist dabei eher wie ein Gummiband, der andere verlässt nicht seine Form, aber weicht aus wie ein Stehaufmän­nchen, und ein Dritter macht sich einfach unsichtbar wie ein Chamäleon. Was immer Ihre Taktik dabei ist – Sie werden nicht zerbrechen! Und das ist doch, was zählt.

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Kochen in der Pandemie: Mehr gesunde Lebensmitt­el wandern in die Kochtöpfe.
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Die Hamburgeri­n Mareike Fell ist Heilprakti­kerin für Psychother­apie.
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Man muss nicht alles selbst können, aber jemanden kennen, der es kann.

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