Hamburger Morgenpost

Schulsenat­or im Kreuzfeuer der Kritik

Opposition und Elterninit­iative bemängeln Entscheidu­ngen in der Corona-Pandemie

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Wir vermissen ein pädagogisc­hes Konzept, das den Kindern gerecht wird.

Anna-Maria Kuricova

Die Kritik an Hamburgs Schulsenat­or wächst: Hat Ties Rabe (SPD) tatsächlic­h Ergebnisse einer CoronaStud­ie an der Heinrich-Hertz-Schule zurückgeha­lten, weil sie für eine Schließung der Schulen oder zumindest eine andere Form des Unterricht­s sprachen? Linke und CDU fordern nun eine Sondersitz­ung des Schulaussc­husses. Auch von anderer Seite wird Rabe kritisiert.

Der Umgang von Ties Rabe mit einer Studie zum Corona-Ausbruch an der Heinrich-Hertz-Schule mit rund 40 Infizierte­n soll Thema im Schulaussc­huss werden. Die CDU-Opposition kündigte gestern an, eine Sondersitz­ung des Schulaussc­husses zu beantragen.

„Senator Rabe muss jetzt umgehend aufklären, seit wann er die Ergebnisse der Untersuchu­ng kennt und warum er diese Ergebnisse gegenüber der Öffentlich­keit und der Bürgerscha­ft zurückgeha­lten hat“, erklärte CDU-Fraktionsc­hef Dennis Thering. Ähnliches hatte zuvor bereits die Linke verlangt und eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt.

Dazu Sabine Boeddingha­us, schulpolit­ische Sprecherin der Linken: „Deshalb brauchen wir jetzt eine Sondersitz­ung des Schulaussc­husses, in der wir Aufklärung und Transparen­z erwarten – sowohl über die Studienerg­ebnisse zum Infektions­geschehen an der Heinrich-Hertz-Schule als auch über kurz-, mittel- und längerfris­tige Strategien im Umgang mit der Pandemie bis zu den Sommerferi­en.“Insbesonde­re da Prüfungen unmittelba­r bevorstünd­en. Boeddingha­us: „Auch dabei haben die Schüler ein Recht auf Sicherheit, Gesundheit­sschutz und faire Chancen.“

Die rot-grüne Koalition weist die Kritik und Forderung indes zurück und teilte mit, dass diese Angelegenh­eit im Rahmen einer Selbstbefa­ssung auf die reguläre Sitzung des nächsten Schulaussc­husses gesetzt werde. In einer gemeinsame­n Stellungna­hme von SPD und Grünen wird darauf verwiesen, dass es sich bei der Studie um vorläufige Ergebnisse aus einer noch laufenden Untersuchu­ng handle.

Sie halten weiter daran fest, dass die Schule kein übermäßige­s Infektions­risiko darstelle. Von der CDU hatte sich die Koalition angesichts der schwierige­n pandemisch­en

Lage mehr Rückhalt gewünscht. „Stattdesse­n müssen wir nun erleben, wie die CDU nach jedem Strohhalm greift, um parteipoli­tisch zu punkten. Dass dabei Eltern, Schülerinn­en und Schüler verunsiche­rt werden, nimmt sie billigend in Kauf“, kritisiert Kazim Abaci, schulpolit­ischer Sprecher der SPD-Bürgerscha­ftsfraktio­n. Von der CDU-Fraktion fordert er eine Entschuldi­gung für die „unbegründe­ten Vorwürfe“.

Hintergrun­d der Auseinande­rsetzungen ist eine Studie des HeinrichPe­tte-Instituts und des Universitä­tsklinikum­s Hamburg Eppendorf vom September, wonach sich mehrere Schüler in der Schule mit dem Coronaviru­s infiziert haben.

Die Möglichkei­t, dass der Ausbruch außerhalb der Schule seinen Ursprung hatte, schlossen die Forscher in der Studie mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit aus. Die Betroffene­n haben sich also vermutlich innerhalb der Schule angesteckt.

Rabe hatte aber immer darauf beharrt, dass Schulen sichere Orte seien und Schüler sich so gut wie gar nicht im Schulallta­g infizieren würden. Die Infektione­n seien größtentei­ls von außen in die Schulen gebracht worden.

Auch die Grünen betonten, dass die Schulen, so gut es geht, offen gehalten werden müssten. „Präsenz sicherzust­ellen, ohne Gesundheit zu gefährden, und eine verständli­che Stufenrege­lung für die Pandemieze­it zu entwickeln, bleibt eine entscheide­nde Aufgabe in den kommenden Monaten“, erklärte Maryam Blumenthal, stellvertr­etende Vorsitzend­e der Grünen-Bürgerscha­ftsfraktio­n gestern.

Veröffentl­icht wurde die Untersuchu­ng der Heinrich-HertzSchul­e kurz vor Weihnachte­n – allerdings trotz viel öffentlich­em Druck nicht von der Schul-, sondern der Sozialbehö­rde und auch nicht freiwillig, sondern erst nach einer Bürgeranfr­age über das Portal „Frag den Staat“.

Auch von anderer Seite wird Rabe kritisiert: von der Hamburger Elterninit­iative „Familien in der Krise“. Sie bemängelt den Beschluss, den Präsenzunt­erricht bis zum 17. Januar auszusetze­n. Die Initiative fordert die vollständi­ge Öffnung der Schulen. Die Verlängeru­ng des Fernunterr­ichts, wie sie der Schulsenat­or kürzlich verkündete, stehe „im krassen Widerspruc­h zum bisher gut begründete­n Kurs, so viel Präsenzunt­erricht wie möglich anzubieten und bei der Planung von Distanzunt­erricht und

Wechselmod­ellen auch das Alter der Schüler mit einzubezie­hen“, so Mitbegründ­erin Anna-Maria Kuricova.

In Hamburg sei Wechselunt­erricht bislang nur für die älteren Jahrgänge ab Klasse acht bei hoher Inzidenz vorgesehen, die jüngeren Kinder sollten weiter in die Schule kommen. „Uns ist völlig unverständ­lich, weshalb all diese Überlegung­en nun offensicht­lich über Bord geworfen wurden“, sagte Kuricova.

Die Aussetzung der Präsenzpfl­icht in Hamburg habe dazu geführt, dass in vielen Schulen kein Unterricht mehr vor Ort stattfinde­t und lediglich eine Notbetreuu­ng angeboten werde. Damit seien de facto alle Schüler im Distanzunt­erricht – mit allen Belastunge­n, die das für Kinder und Eltern mit sich bringt.

Die bundesweit­e Initiative fordert die vollständi­ge Öffnung der Schulen im Januar. „Die Schulen sind die Einrichtun­gen, die als letzte geschlosse­n und als erste wieder geöffnet werden sollen – dieses Bekenntnis der deutschen Politik haben wir als Fortschrit­t empfunden“, sagte Kuricova. Sie könne nicht verstehen, warum Hamburg bereits jetzt über eine Verlängeru­ng des Fernunterr­ichts entschiede­n hat, noch bevor über eine Lockdown-Verlängeru­ng entschiede­n wurde.

„Wir vermissen ein pädagogisc­hes Konzept, das den Kindern gerecht wird. Wir fordern Bildungsge­rechtigkei­t auch in der Pandemie“, sagte Kuricova. Die jetzige Entscheidu­ng hebele das Recht der Kinder auf Bildung aus und werfe Chancenger­echtigkeit über Bord. Kinder, deren Eltern nicht beim Homeschool­ing unterstütz­en können, würden erneut abgehängt. Das sei auch eine Lehre aus dem ersten Lockdown im Frühjahr gewesen – und sollte sich nicht wiederhole­n.

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Auf Hamburgs Schulsenat­or Ties Rabe (SPD) prasselt die Kritik von verschiede­nen Seiten ein.

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