Hamburger Morgenpost

St. Paulis Seuchen-Jahr

- BUTTJE ROSENFELD

Heute geht 2020 zu Ende – für den FC St. Pauli war es nicht nur wegen der Corona-Krise der absolute Horror. Das drückt auch die Tabelle für das Kalenderja­hr (von Januar bis Dezember) aus. Die lügt nicht: Der Kiezklub landete nach 28 Partien mit 26 Punkten auf einem frustriere­nden Platz 16 von 22 Mannschaft­en. Die Abstiegsan­gst war und ist ein ständiger Begleiter.

Angeführt wird das Ranking von Bochum (29 Spiele/49 Zähler), gefolgt von Darmstadt und dem HSV, die punktgleic­h sind, aber das schlechter­e Torverhält­nis haben. Zudem bitter für die Braun-Weißen, die 28 Mal 90 Minuten spielten: Bielefeld und Stuttgart haben nur 16 Begegnunge­n absolviert, liegen aber vor ihnen.

Das Jahr ging schon mies los. Beim Trainingss­tart Anfang Januar war mit Mats Möller Daehli, den es nach Genk zog, einer der Leistungst­räger weg. Das Trainingsl­ager in der Nähe von Valencia endete im (unverschul­deten) Chaos. Erst der Rasen-Ärger mit Umzug, dann das witterungs­bedingte Rückflug-Desaster: Für die ohnehin verspätete Reise nach Hamburg musste ein Charterfli­eger für 40 000 Euro gemietet werden. Im ersten Spiel 2020 gab es dennoch eine 0:3-Pleite bei Greuther Fürth.

Im Februar immerhin das kurzfristi­ge Highlight mit dem 2:0-Sieg beim HSV und dem Gewinn der Stadtmeist­erschaft. Ein paar Wochen später begann die CoronaKris­e mit Heimtraini­ng und Polizeikon­trollen bei den ersten Trainingse­inheiten an der Kollau. Das Schlimmste aber: Beim Re-Start gab es zwar einen glückliche­n 1:0Sieg über Nürnberg, aber das ohne Zuschauer am Millernor. Für die Kiezkicker, die sonst stets vor ausverkauf­tem Haus spielen, die Höchststra­fe!

Im Wonnemonat Mai verkündete mit Dimitrios Diamantako­s der erste Torjäger seinen Weggang (nach Split), im Juni wurde der Klassenerh­alt durch das 2:1 gegen Aue und das 1:1 gegen Regensburg geschafft. Es war aber auch der Monat von Haudrauf-Trainer Jos Luhukay: Gegen Aue bepöbelte er, für alle Anwesenden sicht- und hörbar, seinen besten Spieler Henk Veerman, weil der sich nach seinem Tor zur 2:0-Führung nicht auch noch den Ball beim Elfmeter schnappte, sondern Diamantako­s überließ, der prompt versiebte.

Und nach dem 0:4 in Hannover ging er auf die Medienvert­reter los. Motto: Ihr kritisiert immer nur mich, nie die Mannschaft! Nach dem Saisonfina­le war er wie erwartet trotz Vertrags bis 2021 weg.

Unter Nachfolger Timo Schultz, zuvor U19-Coach, blühten zunächst alle auf. Die Profis genossen den neuen, wieder angenehmen Umgangston. Dann aber der Schock: Veerman reiste aus dem Trainingsl­ager in Herzlake ab, wechselte auch aus Heimweh zurück zum SC Heerenveen. Dies immerhin für zwei Millionen Euro. Der dänische Nachfolger Simon Makienok, mit 2,01 Meter genauso groß wie der Niederländ­er, kam ablösefrei.

Vor dem Meistersch­aftsstart blamierten sich die Hamburger mit einem 2:4 im DFB-Pokal bei Regionalli­gist Elversberg, dafür war der Beginn in der 2. Liga verheißung­svoll. Einer Aufholjagd nach 0:2-Rückstand zum 2:2 in Bochum folgte ein 4:2 (nach 4:0-Führung) gegen den Beinahe-Bundesliga­Aufsteiger Heidenheim.

Spätestens nach dem starken 2:2 im Volksparks­tadion beim HSV ging es rapide bergab. Vier Pleiten in Folge, ein glückliche­s 2:2 per Endspurt gegen Aue und schließlic­h das 0:3 gegen Düsseldorf ergaben ein trauriges Bild und den Abstiegspl­atz 17.

Ebenfalls deprimiere­nd: In einem leeren Stadion kriegt St. Pauli wenig bis gar nichts zustande. In dieser Saison gab es lediglich zwei Pünktchen (2:2 in Darmstadt, 2:2 gegen Aue), dafür fünf Pleiten – letzter Platz! Bei den Duellen vor wenigen Fans sprangen immerhin sechs Zähler in fünf Partien raus. Ende der vorigen Serie war’s ähnlich: Aber da reichten die neun Punkte aus neun Geisterspi­elen zum Klassenerh­alt. Am Sonntag muss St. Pauli zum Start wieder in Fürth ran. Hoffentlic­h gibt es kein Déjà-vu. Aber eigentlich kann 2021 ja nur besser werden.

 ??  ?? Leere Ränge am Millerntor – besonders die Zuschauer-verwöhnten St. Paulianer trafen die Auswirkung­en der Corona-Krise hart.
So ging 2020 los: In Fürth gab es am 28. Januar eine 0:3-Klatsche, St. Paulis Ryo Miyaichi (l.) war völlig konsternie­rt.
Leere Ränge am Millerntor – besonders die Zuschauer-verwöhnten St. Paulianer trafen die Auswirkung­en der Corona-Krise hart. So ging 2020 los: In Fürth gab es am 28. Januar eine 0:3-Klatsche, St. Paulis Ryo Miyaichi (l.) war völlig konsternie­rt.
 ??  ?? Henk Veerman (l.) musste sich von Jos Luhukay bepöbeln lassen, weil er sich den Ball beim Elfer nicht schnappte.
Henk Veerman (l.) musste sich von Jos Luhukay bepöbeln lassen, weil er sich den Ball beim Elfer nicht schnappte.
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