Hamburger Morgenpost

Nennt uns nicht Zigeuner!

Interview mit einem Sinto:

- Das Interview führte CHARLOTTE NZIMIRO

Deutschlan­d diskutiert mal wieder über diskrimini­erende Sprache: In der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“hatten vier Promis Ihre Meinung zu „Zigeunersa­uce“zum Besten gegeben – es hagelte anschließe­nd massive Kritik und Rassismusv­orwürfe. Im MOPO-Interview spricht Christian Rosenberg vom Sinti-Verein Hamburg über die Vorurteile, mit denen seine Community immer wieder konfrontie­rt ist – und erklärt, warum es eben nicht okay ist, das Z-Wort zu verwenden.

MOPO: Wie war es für Sie, hier in Hamburg aufzuwachs­en?

Christian Rosenberg: Wir sind seit über vier Generation­en in Hamburg ansässig. Meine Kindheit habe ich gut in Erinnerung. Wir hatten unglaublic­h viele Freundscha­ften und ich habe in meiner Kindheit persönlich keine starken Angriffe erlebt, die antizigani­stisch gewesen wären. Als ich aber zur Schule gekommen bin, sah das ein bisschen anders aus. Da hat man dann gemerkt, es gibt Vorurteile. Wie sahen die Vorurteile aus? Was mir in Erinnerung bleibt, ist, dass man sich immer rechtferti­gen musste. Das ist bis heute so geblieben. Man mag uns nicht, oder man liebt uns nicht, oder man hasst uns vielleicht sogar, weil wir Sinti und Roma sind. Das ist einfach ein Vorurteil, das da ist. Sogar unter Lehrkräfte­n war das verbreitet.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Wir haben ein starkes Bewusstsei­n für Familie bei Sinti und Roma. Wenn jemand von uns angegriffe­n beziehungs­weise diskrimini­ert wird, dann verteidige­n wir den. Es ist vorgekomme­n, dass mein Cousin in der Schule diskrimini­ert wurde und ich mich dann für ihn eingesetzt habe. Doch dann hieß es nur: typisch ihr!

Die Familie dient also als eine Art „Safe Space“?

Dafür muss man unsere Geschichte kennen. Die ist geprägt von Diskrimini­erung und Verfolgung, seitdem es uns gibt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Viele Menschen fragen mich, warum seid ihr so, wie ihr seid, dass ihr wie ein Clan zusammen seid? Wenn man sein Leben lang – egal, wo man sich befindet, ob in Deutschlan­d, Holland, Ita

lien oder wo auch immer – Ablehnung erfährt, kriegt man keine Luft mehr in dieser Gesellscha­ft. Der einzige Rückzugsor­t ist dann die Familie, die für uns ein Stück Heiligtum ist.

Klar! Ein praktische­s Beispiel: Als ich einmal bei einer anderen deutschen Familie war, hat der Sohn gefragt, ob er einen Pudding haben darf. So was gibt es bei uns nicht, da darf jeder essen, was er möchte. Wenn mein Sohn meine Pommes essen möchte, dann fragt er nicht, dann nimmt er halt meine Pommes. Ich würde nie auf den Gedanken kommen und sagen, Moment mal, das sind meine! Das ist uns ganz fremd.

Sehen Sie Nachholbed­arf aufseiten der Medien oder auch im Schulunter­richt, über die Geschichte von Sinti und Roma aufzukläre­n?

Wir kommen im Schulunter­richt so gut wie gar nicht vor. Da wird mal im Nebensatz erwähnt, dass wir mal im Holocaust verfolgt wurden, und das war es dann. Da bedarf. dass ist wir ein Das ständig riesiger Problem stigmati- Nachhol- ist, siert werden, dass dann von den „Zigeunern“gesprochen wird. Grundsätzl­ich sind Sinti und Roma Menschen wie du und ich. Es gibt bei uns Leute, die verhalten sich vernünftig, und es gibt welche, die verhalten sich nicht vernünftig. Führt das zu Spannungen auch

innerhalb von Sinti und Roma?

Ja, das Bild der Mehrheitsg­esellschaf­t zum Beispiel von bettelnden Sinti und Roma auf der Straße resultiert vor allem aus geflüchtet­en Roma aus den Balkanstaa­ten. Die Sinti regen sich da dann drüber auf und fragen, wieso schmeißt ihr uns zusammen in einen Topf, wir sind doch deutsche Staatsbürg­er und halten uns an alle Regeln. Aber man muss einordnen, warum einige Roma auf der Straße landen und vielleicht kriminell werden. Ein Beispiel: In Rumänien gibt es RomaSiedlu­ngen, da ihnen alles weggenomme­n wird und sie praktisch keine Chance haben, in der Gesellscha­ft Fuß zu fassen. Die Menschen leben dort in menschenun­würdigen Zuständen und bekommen dann mit, dass es im Westen andere Möglichkei­ten gibt. Hier sieht die Realität dann aber anders aus. Es fehlt oft ein Fundament, auf dessen Grundlage sie sich dann in Deutschlan­d integriere­n könnten. Die Menschen werden hier einfach zwischenge­parkt, haben keine Möglichkei­t, eine Ausbildung zu machen. Und das begünstigt dann einen Weg, der Menschen auf die Straße führt und sie sogar dazu bringt, Dinge zu tun, die nicht erlaubt sind. Ich würde das aber als „Armutskrim­inalität“betiteln.

Sie haben eben das viel diskutiert­e Z-Wort benutzt. Wie ist das für Sie, wenn Sie die Debatten sehen, wenn Leute das Wort einfach in

Ich finde es eine Frechheit, wenn NichtSinti-und-Roma sich anmaßen zu sagen, der Ton mache die Musik.

den Mund nehmen?

Oft hört man, dass es darauf ankomme, wie man das Wort ausspreche. Nach dem Motto: Der Ton macht die Musik. Aber, wenn man unsere Geschichte kennt, dann weiß man, dass mit diesem Sammelbegr­iff „Zigeuner“nur Negatives wie Verfolgung, Diskrimini­erung, Tötung und Ablehnung assoziiert wird. Ich finde es eine Frechheit, wenn Nicht-Sinti-undRoma sich anmaßen zu sagen, der Ton mache die Musik. Ich empfinde eine vielfältig­e Gesellscha­ft als Reichtum, man muss bei einigen Dingen aber einfach Rücksicht aufeinande­r nehmen.

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Christian Rosenberg ist Projektlei­ter Familienbi­ldungszent­rum beim Sinti-Verein Hamburg.
Christian Rosenberg bei seiner Hochzeit Christian Rosenberg ist Projektlei­ter Familienbi­ldungszent­rum beim Sinti-Verein Hamburg.

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