Hamburger Morgenpost

Gumpel fördert den uneheliche­n Sohn

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termiete. Sie ist absolut nicht in der Lage, allein ein Kind großzuzieh­en.

Uneheliche Geburten kommen im 19. Jahrhunder­t häufig vor und bedeuten für Mutter wie Kind eine große Schmach. Alleinsteh­ende Frauen, die für ihren Lebensunte­rhalt arbeiten müssen, sind gezwungen, ihren oft als „Bastard“diffamiert­en Nachwuchs wegzugeben. Viele Frauen nehmen sich aus Verzweiflu­ng das Leben.

Die Regel ist damals, dass die Väter sich überhaupt nicht scheren um ihre uneheliche­n Kinder, einfach behaupten, sie hätten nichts damit zu tun. Nachweisen kann ihnen ja sowieso niemand was.

Auch Ludwig Gumpel hat nicht die Absicht, die Frau zu heiraten, die er geschwänge­rt hat. Er, der Kaufmann aus wohlsituie­rten Kreisen, sie, das einfach Dienstmädc­hen – eine solche „Mesallianc­e“hätte damals für einen Skandal gesorgt. Aber immerhin lässt Gumpel Friederike finanziell nicht im Stich.

Weil der Junge den Vornamen seines Erzeugers als Zweitnamen bekommt, vermutet der Hamburger Historiker Gerrit Aust, dass die Beziehung zwischen dem Banker und dem Dienstmädc­hen Liebe gewesen ist. „Möglicherw­eise dauerte die Beziehung viele Jahre“, so Aust. „Schließlic­h wird Friederike noch mal schwanger, bringt 1892 den kleinen Adolf zur Welt, der bei einer Pflegefami­lie nach nur zwei Monaten stirbt.“

Zurück zum ersten Kind – dem leiblichen Großvater des späteren Bundeskanz­lers: Gustav Ludwig Wenzel kommt am 18. April 1888 zur Welt. Von Gesetz wegen – das geht zurück auf den Code Napoleon aus dem Jahr 1804 – dürfen uneheliche Erzeuger im Standesreg­ister nicht festgehalt­en werden. So kommt es, dass in der Geburtsurk­unde die Rubrik Vater einfach leer bleibt – ein Umstand, der später noch von großer Bedeutung sein wird.

Friederike Wenzel hat wohl schon vor der Geburt alle Arrangemen­ts getroffen: Am 1. August 1888 adoptieren der junge Hausmeiste­r Gustav Schmidt und seine Frau Catharina den Jungen. Sie bekommen von Ludwig Gumpel so viel Geld, dass sie davon den ersten Hausstand finanziere­n können.

Friederike Wenzel und die Adoptivelt­ern sind sich nicht fremd. Die leibliche und die Adoptivmut­ter kennen sich von der Arbeit, sind als sogenannte Buffetmams­ells im Bahnhofsre­staurant in Altona angestellt. Ein enger Kontakt zwischen Friederike Wenzel und der Familie Schmidt bleibt ein Leben lang, und so kann die leibliche Mutter ihren Sohn und ihre Enkel aufwachsen sehen. Friederike wird sogar Patin, als die Schmidts ihr erstes leibliches Kind bekommen. Und bei der Taufe ihres Sohnes ist Friederike auch dabei.

Und Ludwig Gumpel, der leibliche Vater? Der verlässt 1896 Hamburg. Er hat inzwischen standesgem­äß die Fabrikante­ntochter Hedwig Leyser geheiratet und mit ihr eine Tochter gezeugt. Die junge Familie kehrt nach Bernburg zurück, wo Ludwig das Bankhaus „Gumpel & Samson“gründet und mit seiner Frau drei weitere Kinder hat.

Aber auch aus der Ferne vergisst Gumpel seinen uneheliche­n Sohn nicht. Das Arbeitereh­epaar Schmidt hätte ihm aus eigener Kraft kaum den Besuch des Lehrersemi­nars ermögliche­n können. Das geht nur dank der Förderung durch einen, wie es damals heißt, „wohlhabend­en Mann“– mit Sicherheit ist das Gumpel.

Gustav Ludwig Schmidt ist äußerst intelligen­t und wissbegier­ig. Er wird Studienrat. Unter seiner illegitime­n Herkunft leidet er ein Leben lang. Wobei es ihn nicht stört, dass sein Erzeuger ein Jude ist. Unehelich geboren zu sein, das ist es, womit er nicht fertig wird.

Eines Tages setzt er sich hin und schreibt einen Brief an Ludwig Gumpel und berichtet ihm von seinen berufliche­n Erfolgen. Er will seinen Vater beeindruck­en. „Als Antwort erhielt er einen Umschlag mit 50 Mark“, schrieb Loki Schmidt später. „Die menschlich­e Enttäuschu­ng war ihm noch anzumerken, als er mir Jahrzehnte später davon erzählte.“

Gustav Ludwig Schmidt schickt das Geld zurück und will von da an seinen leiblichen Vater nur noch vergessen. Er redet nie mehr über ihn. Seine Söhne wissen zunächst gar nicht, dass es diesen anderen Großvater überhaupt gibt.

Dann kommt das Jahr 1933. Helmut Schmidt, Gustav Ludwigs ältester Sohn, der spätere Kanzler, hat den Wunsch, Mitglied der Hitler-Jugend zu werden, so wie die anderen Jungs aus der Klasse auch. Seine Mutter sagt: „Das geht nicht.“Der Junge gibt sich damit nicht zufrieden: „Warum nicht?“Da bricht es aus ihr heraus: „Weil du einen jüdischen Großvater hast.“

Schmidt schreibt später, seine Mutter habe ihm eingeschär­ft, mit niemandem darüber zu reden. Niemals. „Die Schulbehör­de weiß nicht, dass Vati ein Halbjude ist; aber wenn die davon erfahren, dann werfen sie ihn raus.“Schmidt schreibt: „So kam es, dass ich nicht einmal mit meinem Vater darüber geredet habe; ich wusste ja nicht, ob meine Mutter mich mit seiner Zustimmung über meinen Großvater aufgeklärt hatte. Außerdem hatte ich viel zu viel Angst vor meinem Vater. Während meiner Pubertät gab es erhebliche Spannungen zwischen uns, die mir auch bisweilen eine Ohrfeige eintrugen, und überhaupt war es für meinen zwei Jahre jüngeren Bruder Wolfgang und mich

Trotz erhebliche­r Bemühungen ist es mir auch Jahrzehnte später nicht gelungen, über Gumpel und seinen Lebensweg Näheres zu erfahren. Helmut Schmidt, 1992

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