Hamburger Morgenpost

Europas Versagen in einem Blick

Arezus Welt aus Schotterst­einen: Die Siebenjähr­ige lebt wie viele Kinder seit Monaten in schlimmste­n Verhältnis­sen in dem griechisch­en Lager. Ohne Hoffnung und Perspektiv­e

- Von HAMI ROSHAN

Lesbos – Er blickt mich unverwandt an. Elias (4) trägt eine selbstgeba­stelte Kette aus grünem Band um den Hals. Doch nicht das kindliche Accessoire fesselt meinen Blick: Unter seinen Augen, an Nase und Ohren hat er viele kleine Wunden. Eine Hautkrankh­eit als Folge der schlechten Bedingunge­n im Flüchtling­slager Kara Tepe. Doch es ist nicht der einzige Hinweis auf seine Kindheit zwischen Zeltplanen und Zäunen.

Wie jedem Kind im Lager stelle ich auch Elias die Frage: „Was wünschst du dir?“Doch er versteht die Frage nicht – wie die meisten Kinder im Lager. Seit das Camp Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos abgebrannt ist, lebt der kleine Junge mit seinen Eltern und Geschwiste­rn in Kara Tepe. Ungefähr 8000 Geflüchtet­e leben hier in der abgeschott­eten Zeltstadt. Es ist mein zweiter Besuch vor Ort.

Kara Tepe gleicht mittlerwei­le einem Gefängnis: Überall patrouilli­eren Polizisten,

Soldaten und Zivilbeamt­e. Um in das Lager zu kommen, muss ich zunächst eine Lücke im Sicherheit­ssystem finden. Schließlic­h schaffe ich es, unbemerkt in das Zeltlager zu kommen. Ich suche als Erstes die Familien auf, die ich von meinem letzten Besuch bereits kenne.

Sie erzählen mir von den verschärft­en Maßnahmen – angeblich wegen der Corona-Pandemie. So darf pro Familie nur noch eine Person zweimal in der Woche das Lager verlassen, um einen Arzt aufzusuche­n oder Essen zu besorgen. Wann man raus darf, bestimmt eine Nummer, die einem Tag zugeordnet wird. Auch das Geld wurde ihnen gekürzt. Viele wissen nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollen.

Die Geflüchtet­en organisier­en sich: Immer bleibt jemand bei den Kindern. Es ist zu gefährlich, sie alleine zurückzula­ssen. Viele von ihnen haben bereits Gewalt erfahren, sind apathisch oder depressiv.

Während ich die Kinder fotografie­re, bekomme ich doch noch eine Antwort: „Ich möchte Polizist sein“, sagen mir einige. Ein Wunsch, der viel über die Lebensreal­ität der Kinder aussagt: Die Polizisten haben die Macht an diesem unwürdigen Ort – und sie können sich frei bewegen.

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 ??  ?? Alte Planen trennen ein Zelt in mehrere Bereiche auf. Bis zu elf Personen schlafen nebeneinan­der – es gibt keine Privatsphä­re.
Alte Planen trennen ein Zelt in mehrere Bereiche auf. Bis zu elf Personen schlafen nebeneinan­der – es gibt keine Privatsphä­re.
 ??  ?? Das Flüchtling­scamp Kara Tepe gleicht einem Gefängnis. Es ist umzäunt, überall sind Überwachun­gskameras und Stacheldra­ht. Polizei und Militär patrouilli­eren vor dem Eingang.
Das Flüchtling­scamp Kara Tepe gleicht einem Gefängnis. Es ist umzäunt, überall sind Überwachun­gskameras und Stacheldra­ht. Polizei und Militär patrouilli­eren vor dem Eingang.
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 ??  ?? Die Zelte haben keine Böden. Die Kinder hocken auf dem steinigen Untergrund, auf dem sie auch schlafen müssen.
Arezu (7) kommt ursprüngli­ch aus Afghanista­n. Ihr Blick erzählt von all dem Elend, das sie auf der Flucht und im Lager erlebt hat.
Die Zelte haben keine Böden. Die Kinder hocken auf dem steinigen Untergrund, auf dem sie auch schlafen müssen. Arezu (7) kommt ursprüngli­ch aus Afghanista­n. Ihr Blick erzählt von all dem Elend, das sie auf der Flucht und im Lager erlebt hat.
 ??  ?? Alles, was in den Menschen Schutz vor Unwetter, Kälte und Wind bietet, sind Zeltplanen.
Auf dem Boden liegt überall Geröll, teilweise sogar alte Munition. Nach jedem Regenguss ist das Lager völlig überschwem­mt.
Alles, was in den Menschen Schutz vor Unwetter, Kälte und Wind bietet, sind Zeltplanen. Auf dem Boden liegt überall Geröll, teilweise sogar alte Munition. Nach jedem Regenguss ist das Lager völlig überschwem­mt.
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 ??  ?? Ein Vater nutzt die Gelegenhei­t, vor dem heraufzieh­enden Sturm seinen Sohn im Meer zu waschen.
Ein Vater nutzt die Gelegenhei­t, vor dem heraufzieh­enden Sturm seinen Sohn im Meer zu waschen.
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 ??  ?? Treibgut, Baumateria­l und Bäume der Umgebung: Ein Mann versucht alles, um Feuerholz zum Kochen zu gewinnen.
Treibgut, Baumateria­l und Bäume der Umgebung: Ein Mann versucht alles, um Feuerholz zum Kochen zu gewinnen.
 ??  ?? Dieses Mädchen hat eine fast verhungert­e Katze gefunden undpflegts­ie nun täglich. Für viele Kinder sind die Katzen eine willkommen­e Abwechslun­g zum tristen Alltag.
Dieses Mädchen hat eine fast verhungert­e Katze gefunden undpflegts­ie nun täglich. Für viele Kinder sind die Katzen eine willkommen­e Abwechslun­g zum tristen Alltag.
 ??  ?? Auch dieser kleine Junge wurde im Lager geboren. Erst nach langem Warten lächelte er schließlic­h in die Kamera.
Auch dieser kleine Junge wurde im Lager geboren. Erst nach langem Warten lächelte er schließlic­h in die Kamera.
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 ??  ?? Damit das Feuer nicht ausgeht, hat ein junger Vater die provisoris­che Kochstelle vor Wind und Wetter geschützt.
Damit das Feuer nicht ausgeht, hat ein junger Vater die provisoris­che Kochstelle vor Wind und Wetter geschützt.

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