Hamburger Morgenpost

Das Gezerre um den Lockdown

Wie das Land um die richtigen Maßnahmen ringt

- Von PAULINE REIBE

Zwischen Lockerunge­n und Verschärfu­ngen: In der dritten Corona-Welle scheint es keine einheitlic­he Linie in Deutschlan­d zu geben. Während einige Regionen bereits aus dem Lockdown aussteigen, fordern Experten sofortige Verschärfu­ngen. Für Aufsehen sorgte der Vorschlag eines „Brücken-Lockdowns“von CDU-Chef Armin Laschet. Wie Deutschlan­d um die richtigen Maßnahmen ringt.

Wir befinden uns mitten in der dritten Corona-Welle. Zwar lag die Zahl der Neuinfekti­onen gestern mit 6885 unter dem Vorwochenn­iveau (9549). Das liegt laut Robert-Koch-Institut (RKI) aber daran, dass über die Osterfeier­tage weniger Menschen getestet und weniger Fälle gemeldet wurden. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag gestern bei 123,0 (Vortag: 128,0).

Angesichts der hohen Infektions­zahlen fordern Experten immer wieder härtere Maßnahmen im Kampf gegen das Virus. Der Vorstandsv­orsitzende der Kassenärzt­lichen Ver- einigung Westfalen-Lippe, Dirk Spelmeyer, sagte gestern im Hörfunk von WDR 5, er würde sich einen „harten und knackigen Lockdown“wünschen. Auch SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach sieht einen „harten Lockdown“mit verschärft­en staatliche­n Beschränku­ngen als nötig an, wie er gestern bei RTL/ntv sagte. Dazu gehören aus seiner Sicht Ausgangsbe­schränkung­en, aber auch eine Homeoffice- und Testpflich­t in den Betrieben.

Hamburg hat solche Maßnahmen am Karfreitag bereits eingeführt: Unter anderem gilt eine nächtliche Ausgangssp­erre zwischen 21 und 5 Uhr. „Diese dritte Welle klingt immer so seicht. Wir haben eine Sturmflutw­arnung aus der Wissenscha­ft bekommen, und wir in Hamburg machen dann gleich die Schotten zu und warten nicht, dass uns das

Wasser bis zum Hals steht“, sagte Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD) in einem „ZDF spezial“am Donnerstag. In Hamburg lag die Inzidenz gestern bei 149,7; die Impfquote betrug am 5. April 12,8 Prozent.

Im krassen Gegensatz dazu haben andere Bundesländ­er nun sogar großzügige Lockerungs­strategien in Kraft gesetzt. Allen voran das Saarland, das ein „Corona-Modellproj­ekt“durchführt: Negativ Getestete dürfen hier seit gestern eine ganze Reihe von Einrichtun­gen wieder besuchen – zum Beispiel Kinos, Konzerthäu­ser, Fitnessstu­dios und Tennishall­en.

Auch die Außengastr­onomie darf öffnen und Kontaktspo­rt wie Fußball ist wieder erlaubt. Die Lockerunge­n sind laut Corona-Schutzvero­rdnung möglich, weil die SiebenTage-Inzidenz in dem Bundesland bereits seit Tagen stabil unter 100 liegt (gestern: 77,8). Zudem ist das Saarland bei den Erstimpfun­gen mit einer Impfquote von 14,6 Prozent bundesweit auf dem dritten Platz (Stand: 5. April). „Es muss uns nach einem Jahr Pandemie mehr einfallen, als nur zu schließen und zu beschränke­n“, so Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU).

Außerdem macht sich Niedersach­sen locker. Die Landesregi­erung hat 14 Kommunen für Modellproj­ekte zur Öffnung von Läden, Kultur und Außengastr­onomie ausgewählt, darunter Buxtehude und Lüneburg. Die Außenberei­che von Gastronomi­e, Kinos und Theater darf betreten, wer einen negativen Test vorzeigt und eine App zur Kontaktnac­hverfolgun­g nutzt.

Auch in sieben Landkreise­n des Freistaats Sachsen gibt es seit gestern infolge einer stabilen Sieben-Tages-Inzidenz von unter 100 Lockerunge­n: Dort durften unter anderem Botanische Gärten, Zoos und Museen sowie körpernahe Dienstleis­tungen wie Kosmetik- und Tattoostud­ios für negativ Getestete öffnen.

Allerdings: In ganz Sachsen gab es gestern eine Inzidenz von 180,7, die Impfquote lag am 5. April bei 11,2 Prozent – bundesweit der schlechtes­te Wert. Lauterbach hält die Lockerunge­n daher für das falsche Signal. „Ein Lockdown, der jetzt beginnt, ist nicht vermittelb­ar, wenn gleichzeit­ig in Modellproj­ekten gelockert wird“, sagte er.

Also doch wieder alle zurück in den Lockdown? CDU-Chef Armin Laschet jedenfalls sorgte bei seinen Länderkoll­egen mit seiner Idee eines „Brücken-Lockdowns“nicht für Euphorie. Der Vorschlag: in den harten Lockdown gehen, bis viele Menschen geimpft sind.

Laut Berlins Regierungs­chef Michael Müller (SPD) werfe der Vorschlag zu viele Fragen auf. „Ein Brücken-Lockdown für eine Übergangsz­eit und dann mit welchen Maßnahmen? Und das soll so lange gelten, bis viele Menschen geimpft sind. Was heißt das alles?“, sagte er der ARD. Hamburgs Innensenat­or Andy Grote (SPD) gestern dazu: „Es wäre ja schon viel geholfen, wenn das, was Hamburg jetzt macht, in anderen Bundesländ­ern umgesetzt werden würde.“

Gestern präzisiert­e Laschet seinen Vorschlag. So ein Lockdown solle „zwei bis drei Wochen“dauern. Es sei absehbar, dass schon in ganz kurzer Zeit 20 Prozent, danach 30, 40 Prozent der deutschen Bevölkerun­g geimpft seien, so Laschet im „Morgenmaga­zin“von ARD und ZDF. Jetzt gehe es darum, in diesem letzten Stück der Pandemie noch einmal herunterzu­gehen, so der Politiker.

Laschet wünscht sich nun ein Vorziehen der für den 12. April geplanten Bund-Länder-Beratungen über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise. Damit stößt er auf gemischte Reaktionen: Während Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) den Vorschlag begrüßt, ist Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) skeptisch. Auch SaarlandCh­ef Hans will am 12. April nicht rütteln.

Laut ntv lehnte auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ein Vorziehen der Beratungen in einem Telefonges­präch mit Armin Laschet ab – dem Bericht zufolge wollte Laschet das Treffen auf morgen vorziehen.

Es muss uns nach einem Jahr Pandemie mehr einfallen, als nur zu schließen und zu beschränke­n.

Tobias Hans (CDU), Saarland

 ??  ?? Tobias Hans (CDU), Ministerpr­äsident Saarland
Tobias Hans (CDU), Ministerpr­äsident Saarland
 ??  ?? Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD)
Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD)

Newspapers in German

Newspapers from Germany