Hamburger Morgenpost

Soschön kann meckern sein

ANSPRUCH Selbstkrit­ik nach einem klaren Sieg: St. Pauli hat es weit gebracht

- NILS WEBER nils.weber@mopo.de

Wir können stolz sein. Das habe ich der Mannschaft auch gesagt.

Den Klassenerh­alt hat der FC St. Pauli nach dem ungefährde­ten 2:0-Heimsieg gegen Eintracht Braunschwe­ig so gut wie in der Tasche und grüßt von Platz eins der Rückrunden­tabelle. „Schönes Ding“, sagt Timo Schultz. Die Tatsache, dass sich der Trainer nach den 90 Minuten am Millerntor vor allem auf die nachlässig­e Chancenver­wertung einschoss, zeigt, wie gut die Kiezkicker geworden sind und es ihrem Verein im Frühjahr 2021 sportlich geht. Meckern auf hohem Niveau.

Man muss es sich leisten können und St. Pauli kann es sich leisten. Die Braun-Weißen sind die beste Rückrunden­mannschaft, haben nur eines der letzten neun Spiele verloren und sind in der echten Tabelle auf Rang acht geklettert – so hoch wie seit dem 4. Spieltag nicht mehr.

Noch vor ein paar Monaten wäre es undenkbar gewesen, dass sich Schultz und auch viele seiner Spieler nach einem 2:0-Sieg (zu Null!) am Millerntor ärgern und diesen Ärger auch noch ausführlic­h artikulier­ten, teilweise ungefragt.

„Scheißegal, Hauptsache gewonnen!“, hätte es im Dezember, Januar und Februar in kollektive­r Erlösung geheißen. Das Kritisiere­n übernehmen die Sieger mittlerwei­le selbst. Muss ein schönes Gefühl sein: Gewinnen und bemängeln. Siegen und

„Wenn man überlegt, woher wir kommen, dann ist das schon kurios, dass wir jetzt hier stehen und die schlechte Chancenver­wertung beklagen“, sagte Sportchef Andreas Bornemann nach dem zehnten Sieg der Saison am Montagaben­d am Spielfeldr­and und schüttelte schmunzeln­d den Kopf.

St. Pauli kommt aus der Hölle der Tabelle. Wer die Kiezkicker derzeit spielen sieht, der kann kaum noch glauben, dass die Braun-Weißen zehn Spieltage in Serie auf Platz 17 standen, noch bis Mitte Januar – wie eingemauer­t. Gelähmt schien auch der ganze Verein.

„Stolz“ist Schultz auf seine Mannschaft und das, was alle gemeinsam in den vergangene­n Wochen erreicht haben. 38 Punkte nach 27 Spielen, damit hatte auch der optimistis­che Ostfriese „nicht gerechnet“, und das hat nichts damit zu tun, dass er in Mathe nie gut gewesen sei. Glückwünsc­he will der Coach nicht entgegenne­hmen für den Klassenerh­alt und dies auch künftig nicht tun. Das hat zwei Gründe. Zum einen, so Timo Schultz am stürmische­n April-Tag nach dem sechsten HeimDreier, sei der Verbleib in Liga zwei rechnerisc­h noch nicht gesichert. Zum anderen aber, und das ist ihm noch wichtiger, sei der Klassenerh­alt kein Ziel, das man ausrufen und zu dessen Erreichen man gratuliere­n sollte, sondern eine „Selbstvers­tändlichke­it“.

Mit einer besseren Chancenver­wertung in den letzten sieben Spielen der Saison und der aktuellen Form kann es noch weiter nach oben gehen für St. Pauli. Schultz will weder einen Tabellenpl­atz, noch eine Punktezahl als Ziel ausrufen. „Unser Hauptziel ist, dass wir schöne Spiele abliefern“, gibt sich der Coach entspannt, „und wenn uns das gelingt, dann kommen auch die Punkte. Momentan spricht der Trend für uns.“Auch diese Souveränit­ät muss man sich leisten können. St. Pauli hat sie sich verdammt hart erarbeitet.

Timo Schultz

 ??  ?? Grimmig: Die zahlreiche­n vergebenen Chancen seiner Kiezkicker gegen Braunschwe­ig ärgerten Trainer Timo Schultz mächtig.
Grimmig: Die zahlreiche­n vergebenen Chancen seiner Kiezkicker gegen Braunschwe­ig ärgerten Trainer Timo Schultz mächtig.
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 ??  ?? Glücklich: 38 Punkte und toller Fußball sorgen bei Schultz für grundsätzl­ich blendende Laune.
Glücklich: 38 Punkte und toller Fußball sorgen bei Schultz für grundsätzl­ich blendende Laune.
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