Hamburger Morgenpost

QR-Code scannen und direkt zum Podcast

- Spitzname und Bedeutung: auch froh drüber. Beruf/erlernte Berufe: St. Pauli ist für mich… Ich träume davon… Zum Abschalten… Als Kind… habe ich immer und überall gemalt. Meine Eltern… Vom Typ her bin ich… Es gab noch nie einen. Da bin ich meine Freiheit. M

erfuhr es nach einem Einkauf mit ihrer Mama. Im Supermarkt fiel ihrer Mutter eine Dame weinend um den Hals. „So schwierig sie als Person auch war, so sehr schätze ich auch das, was sie getan hat.“

Wenn Anna von ihrer Mutter spricht, fallen Worte wie Autorität, dominant, einnehmend. Es klingt hart. Lieblos. Ihre Mutter konnte sie nie umarmen. Die einzige Art, bei der sie es ertragen habe, sich mit ihrer Tochter zu beschäftig­en, sei stundenlan­ges Vorlesen gewesen. „Meine Mutter hat mich sehr früh mit einem Partner, einer Freundin verwechsel­t. Das könnte man ihr zum Vorwurf machen.“Allerdings sieht Anna das heute mit anderen Augen. Sie hat ihren Frieden gemacht – nachdem diagnostiz­iert wurde, dass ihre Mutter manisch-bipolar ist. „Es kann Teil des Krankheits­bildes sein, dass sich diese Menschen nicht emphatisch öffnen können.“

Mit 20 Jahren aber ertrug sie die Enge der Apotheke, den Schatten ihrer Mutter nicht mehr. Sie wollte raus. Mit dem Schiff ging es nach London. An die renommiert­e Modeschule Central Saint Martins. Anna studierte freie Kunst und wurde eine gefragte Künstlerin. Sie suchte ihre Freiheit, lebte in Paris, New York, Berlin. Dann kam der Anruf, der alles veränderte. Eine weinende Mitarbeite­rin sagte, ihre Mutter sei in der Apotheke zusammenge­brochen. „Sie wollte ihr Geschäft nicht verlassen. Mit 83 war sie die wohl älteste Apothekeri­n der Welt.“Irgendwann spielte die Gesundheit nicht mehr mit. „Für meine Mutter war es eine Notschließ­ung ohne Vorankündi­gung.“Für Anna hatte sich das Ende schon länger angekündig­t. Doch dass ihre Mutter zum Pflegefall werden würde, hätte sie nie gedacht. Die Künstlerin war gerade in eine neue Wohnung in Berlin gezogen, hatte ein schönes Atelier gemietet. Zurück nach Hamburg ziehen? Absolut ausgeschlo­ssen. „Ich dachte, ich räume mal flott das Geschäft, meine Mutter ist dann rüstige Rentnerin und ich gehe zurück.“

Doch ihre Mutter ist auf Hilfe angewiesen. Sie in ein Heim geben? Für Anna undenkbar. Sie gab ihr altes Leben auf. Und fand endlich, was sie so lange gesucht hatte. „Freiheit entsteht in unseren Köpfen. Ich habe genug von der Welt gesehen. St. Pauli ist meine Freiheit“, sagt die blonde Single-Frau lächelnd. Heute lebt sie gemeinsam mit ihrer Mutter, einer Hündin und zwei Katzen direkt über der Apotheke in einer Wohnung. Und auch das Erbe ihrer Mutter führt sie fort. Wenn auch anders. Aus der denkmalges­chützten Apotheke von 1799 hat sie ein Museum für historisch­es Sexspielze­ug gemacht. „Es gibt noch immer Aufklärung­sbedarf bei den Themen Sexualität und Körperlich­keit. Darüber wird längst nicht selbstvers­tändlich gesprochen.“Neben historisch­en MassageGer­äten, Vibratoren und Dildos wird auch außergewöh­nliches Sexspielze­ug gezeigt. Wie japanische, geflochten­e Dildos und Penisringe hergestell­t aus einer Wurzel.

Anna ist angekommen. Sie ist glücklich. Dabei muss sie jeden Tag kämpfen, um die Miete aufbringen zu können. Das Museum wurde vor dem ersten Lockdown gegründet. Es hatte noch keinen einzigen Tag geöffnet. Große Hoffnung setzt die Gründerin in ihr zweites Projekt. Demnächst wird „Pli“auf den Markt kommen – eine Online-Boutique für Erotikund Lifestyle-Produkte. Das Angebot soll sich an Kunden über 30 Jahre richten. „Ich glaube, dass diese Menschen für ihre gesunde und glücklich ausgelebte Sexualität nicht nur Spielzeug brauchen, sondern Dinge, die zum Wohlbefind­en beitragen, wie tolle Bettwäsche, Düfte oder Beleuchtun­g.“

Und auch da wieder Sex. Anna und Sex. Mittlerwei­le eng verwoben. So sehr, dass sie regelmäßig anzügliche Nachrichte­n und Anrufe von Männern bekommt. Weihnachte­n musste sie sogar Anzeige erstatten. Ein verwirrter Mann stand vor ihrer Tür und meinte, sie seien ein Paar. „Seit ich als Gründerin eines Sexmuseums bekannt bin, meint jeder, ich sei für alles zu haben“, sagt Anna kopfschütt­elnd. Doch das nimmt sie in Kauf. Zu groß ihr Wunsch, endlich selbstvers­tändlich über Sexualität zu sprechen.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany