Unser Buchtipp
Weil es kaum Menschen gibt, die es mit ihm aufnehmen können, tritt Naucke nun gegen Vierbeiner an. Im Sommer 1879 kommt es im Tivoli am Schulterblatt zum großen Wettbewerb mit zwei kräftigen Arbeitspferden. „100 Mark für das Pferd, das Herrn Naucke besiegt!“, so steht es in der Zeitung. Auf spektakuläre Weise demonstriert der Kraftathlet, dass in jedem seiner Arme mindestens ein PS steckt.
Naucke tourt durch ganz Europa. Ob in Paris, Wien oder Berlin, ob in London, Petersburg, Helsinki oder Kopenhagen – er wird gefeiert. In Dresden, wo er acht Tage gastiert, verfolgen fast 47000 Menschen seine Kraft- und Kunststücke. Im Publikum sind immer wieder auch gekrönte Häupter. In Madrid ruft ihn beispielsweise König Alfonso XII. in seine Loge und lädt ihn ein, eine Vorstellung bei Hofe zu geben. In Schwerin findet Großherzog Franz II. Gefallen an Naucke und besucht dessen Vorführungen wiederholt.
Es ist tatsächlich beeindruckend, was der Hamburger auf der Bühne leistet: „Emil Naucke schleudert eine eiserne Kugel von ungefähr 70 Pfund, welche an einer Kette befestigt ist, durch die Luft, um sie dann mit seinem Genick aufzufangen“, schreibt die Hamburger Freie Presse. „Zweitens streckt er eine Hantel von 212 Pfund mit einer Hand. Zum Schluss sei noch das Exerzitium mit dem einzig auf der Welt existierenden eisernen Riesengewehr gedacht. Mit demselben übt Emil Naucke ,Griffe‘, dass einem jeden Militär beim bloßen Anblick die Knochen im Leibe krachen.“
1888 und 1889 ist Naucke auf USA-Tournee. In New York feiert er am Broadway riesige Erfolge und wird dann auch noch zum Star einer Konferenz der „Fat Men’s Association“. Auf deren Einladung führt er mit einer vierspännigen Kutsche einen Umzug durch die Stadt an. Später schreibt er an einen Freund: „Als wir im Vereinshause ankamen und ich gewogen wurde, stellte sich heraus, dass ich noch 78 englische Pfund schwerer als der schwerste Mann
Amerikas bin.“
Grotesk und humoristisch waren Nauckes Nummern eigentlich immer schon, ab 1890 aber verwandelt sich der Artist und Schwerathlet vollends zum Komiker. Den richtigen Partner dafür findet er in Peter Hansen, einem Gastwirt aus Schleswig, der – zumindest optisch – das genaue Gegenteil von ihm ist, denn Hansen, dessen Körpergröße 98 Zentimeter beträgt, bringt gerade mal 43 Pfund auf die Waage. Wenn „Colossalmensch“Naucke verkleidet als „Pauline vom Ballett“im Tutu süß lächelnd auf der Bühne tanzt und dabei von einem „Heinzelmännchen“umworben wird, dann löst das beim Publikum nicht enden wollende Beifallsstürme aus und alle kringeln sich vor Lachen.
Naucke wird ein reicher Mann. Gemeinsam mit seiner Frau verbringt er die „Sommerfrische“regelmäßig in seiner Villa in Bad Oldesloe, die er 1890 erwirbt. 1896 verewigt er sich in St. Paulis Vergnügungskultur, indem er am Spielbudenplatz
sein eigenes Theater eröffnet. Sein berühmter Name prangt jetzt in Riesenlettern über dem Eingang: „Naucke’s Varieté“ist jeden Abend ausverkauft.
Kurz vor der Jahrhundertwende erlebt Deutschland einen wahren Fahrradboom – und das bringt Naucke auf die Idee, das neumodische Gefährt in sein Programm einzubauen. Er selbst nennt sich jetzt „schwerster Radfahrer der Welt“und lässt diesen Slogan auch auf Werbepostkarten drucken. Man muss sich das vorstellen: Ein-235 Kilo-Koloss, der auf der Bühne mit seinem ungleichen Partner Hansen Fahrradakrobatik vorführt, und das dann auch noch synchron – zum Schreien komisch ist das!
Naucke wird beschrieben als äußerst großzügiger und hilfsbereiter Mensch. Als der Deutsche RadfahrerBund „Gau Hamburg“im Januar 1900 eine Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten von Hamburgs Kindergärten veranstaltet, lässt er sich daher auch nicht lange bitten: Natürlich ist das Duo Naucke/Hansen mit von der Partie. Die beiden Humoristen geben zur Freude der Anwesenden eine Kostprobe ihres Könnens.
Für Naucke ist es der letzte Auftritt seines Lebens:
Der Applaus in Sagebiels Etablissement an der Drehbahn ist noch nicht verhallt, da äußert er, dass ihm schlecht sei. Sekunden später bricht er tot zusammen. Herzinfarkt mit 44.
Hamburg ist geschockt. Die Stadt hat ihren größten Star verloren. „Nauckes Tod wurde heute von Jedermann erörtert“, schreiben die „Hamburger Nachrichten“, „ist doch in dem Verstorbenen die ,gewichtigste‘ und zugleich wohl auch eine der populärsten Persönlichkeiten nicht nur Hamburgs, sondern wohl von ganz Deutschland aus dem Leben geschieden.“