Hamburger Morgenpost

Hätte man mal auf sie gehört

CORONA-EXPERTINNE­N Drei Frauen mahnen seit Monaten – beharrlich, aber immer verzweifel­ter

- Von KRISTIAN MEYER

BERLIN/ FRANKFURT (MAIN) – Parallel zu den Infektions­wellen in Deutschlan­d läuft auch eine andere Welle, und zwar medial: Während anfangs bei Lanz & Co. vor allem eine Handvoll Männer der Nation die Pandemie, mal mehr mal weniger erfolgreic­h, erklärten, wurden die Gesprächsr­unden im Laufe der Zeit zusehends weiblicher. Vor allem drei Frauen tun sich seit Monaten durch klare und zutreffend­e Analysen hervor. Bloß: Sie werden leider zu selten von der Politik gehört.

Anfangs war da vor allem dieses Männer-Quartett im deutschen TV zugange: Lauterbach, Drosten, Kekulé, Streeck. Letzterer hat sich als Dauer-Danebenlie­ger erwiesen, Drosten hat sich bewusst zurückgezo­gen, zu zermürbend war die Rolle als kaum gehörter und dafür ständig angefeinde­ter Obermahner. An ihre Stelle als Corona-Erklärer traten unter anderem Viola Priesemann (38), Sandra Ciesek (43) und Melanie Brinkmann (47). Spielt deren Geschlecht eine Rolle? Im Grunde natürlich nicht, Analysen sind richtig oder falsch, mehr oder weniger fundiert, aber nicht unbedingt männlich oder weiblich. Schaut man sich die drei Frauen aber genauer an, fallen doch ein paar Aspekte ins Auge.

Manchmal, da gibt es diese Szenen, die scheinen aus einem anderen Jahrhunder­t zu kommen: Zu trauriger Berühmthei­t gelangte ein LanzTalk vor einer Woche, bei dem der Moderator und der bekennende FDP-Macho Wolfgang Kubicki der Virologin Brinkmann ständig ins Wort fielen. Dabei versuchte diese lediglich das zu erklären, was sie im Grunde seit dem Sommer 2020 predigt:

Die Zahlen müssen runter, sonst verharren wir im Auf und Ab des Dauer- und Immer-wieder-Lockdowns. Anfangs mochte sie die TV-Präsenz so gar nicht, formuliert­e dies auch oft. Denn: Anders

als mancher Kollege ist sie keine Selbstdars­tellerin, es geht ihr um die Sache.

Genau wie bei Viola Priesemann: Als Physikerin ist sie Spezialist­in für Berechnung­en und Modellieru­ngen. Schon Ende März 2020 entwarf sie eine Stellungna­hme auf Basis eigener Berechnung­en und Gesprächen mit Kolleg*innen unterschie­dlichster Fachbereic­he. Ihre Forderung: die Infektions­zahlen drücken – mit allen Mitteln.

Diese „No Covid“-Strategie unterstütz­t auch Brinkmann. Beide Frauen sagen immer wieder, grob zusammenge­fasst: Wir müssen uns an erfolgreic­hen Ländern orientiere­n, die es geschafft haben, das Virus unter Kontrolle zu kriegen. Inzidenzen runter, so Kontaktnac­hverfolgun­g ermögliche­n und dann vorsichtig öffnen. Und, ganz wichtig: als gesamteuro­päische Strategie. Denn: Das Dauer-Gegurke mit auf, zu, Lockdown light – das schadet am Ende allen: der Gesundheit, der Wirtschaft, den Nerven der Menschen.

Auch die Ärztin und Virologin

Sandra Ciesek, die seit einiger Zeit im Wechsel mit Drosten das NDR-„Coronaviru­s-Update“macht, plädiert für mehr Konsequenz. Ihr großes Thema, zu dem auch sie die Politik seit Monaten warnt: die Überlastun­g der Intensivst­ationen. „Wenn wir als Ärzte klar gegen Evidenz handeln, hat das massive Folgen. Wenn dies Politiker tun, ist es egal?“, polterte sie auf Twitter.

Alle drei Frauen scheinen bisweilen fassungslo­s: Sie und andere Wissenscha­ftler berechnen exakte Kurven, erklären geduldig, wie Viren sich verbreiten und wann Kipppunkte in Kliniken und bei der Kontaktnac­hverfolgun­g erreicht sind. Sie liegen nahezu immer richtig. Und dennoch hört man nicht auf sie. Im Gegenteil: Es werden trotz aller Warnungen Öffnungs-Experiment­e gestartet. „Da ist bei einigen ein Knoten im Gehirn“, so Brinkmann jüngst bei Maybritt Illner. Keinem Eisladen sei geholfen, wenn er jetzt öffnen darf und kurz darauf wieder schließen muss. „Je konsequent­er wir handeln, desto kürzer dauern diese Maßnahmen“, sagte sie. Mal wieder. Ob es etwas nützt?

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Sandra Ciesek (43) warnt vor überlastet­en Intensivst­ationen.
 ??  ?? Viola Priesemann (38) plädiert für paneuropäi­sches Vorgehen.
Viola Priesemann (38) plädiert für paneuropäi­sches Vorgehen.
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Melanie Brinkmann (47) sagt: Nur „No Covid“hilft wirklich!

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