Hätte man mal auf sie gehört
CORONA-EXPERTINNEN Drei Frauen mahnen seit Monaten – beharrlich, aber immer verzweifelter
BERLIN/ FRANKFURT (MAIN) – Parallel zu den Infektionswellen in Deutschland läuft auch eine andere Welle, und zwar medial: Während anfangs bei Lanz & Co. vor allem eine Handvoll Männer der Nation die Pandemie, mal mehr mal weniger erfolgreich, erklärten, wurden die Gesprächsrunden im Laufe der Zeit zusehends weiblicher. Vor allem drei Frauen tun sich seit Monaten durch klare und zutreffende Analysen hervor. Bloß: Sie werden leider zu selten von der Politik gehört.
Anfangs war da vor allem dieses Männer-Quartett im deutschen TV zugange: Lauterbach, Drosten, Kekulé, Streeck. Letzterer hat sich als Dauer-Danebenlieger erwiesen, Drosten hat sich bewusst zurückgezogen, zu zermürbend war die Rolle als kaum gehörter und dafür ständig angefeindeter Obermahner. An ihre Stelle als Corona-Erklärer traten unter anderem Viola Priesemann (38), Sandra Ciesek (43) und Melanie Brinkmann (47). Spielt deren Geschlecht eine Rolle? Im Grunde natürlich nicht, Analysen sind richtig oder falsch, mehr oder weniger fundiert, aber nicht unbedingt männlich oder weiblich. Schaut man sich die drei Frauen aber genauer an, fallen doch ein paar Aspekte ins Auge.
Manchmal, da gibt es diese Szenen, die scheinen aus einem anderen Jahrhundert zu kommen: Zu trauriger Berühmtheit gelangte ein LanzTalk vor einer Woche, bei dem der Moderator und der bekennende FDP-Macho Wolfgang Kubicki der Virologin Brinkmann ständig ins Wort fielen. Dabei versuchte diese lediglich das zu erklären, was sie im Grunde seit dem Sommer 2020 predigt:
Die Zahlen müssen runter, sonst verharren wir im Auf und Ab des Dauer- und Immer-wieder-Lockdowns. Anfangs mochte sie die TV-Präsenz so gar nicht, formulierte dies auch oft. Denn: Anders
als mancher Kollege ist sie keine Selbstdarstellerin, es geht ihr um die Sache.
Genau wie bei Viola Priesemann: Als Physikerin ist sie Spezialistin für Berechnungen und Modellierungen. Schon Ende März 2020 entwarf sie eine Stellungnahme auf Basis eigener Berechnungen und Gesprächen mit Kolleg*innen unterschiedlichster Fachbereiche. Ihre Forderung: die Infektionszahlen drücken – mit allen Mitteln.
Diese „No Covid“-Strategie unterstützt auch Brinkmann. Beide Frauen sagen immer wieder, grob zusammengefasst: Wir müssen uns an erfolgreichen Ländern orientieren, die es geschafft haben, das Virus unter Kontrolle zu kriegen. Inzidenzen runter, so Kontaktnachverfolgung ermöglichen und dann vorsichtig öffnen. Und, ganz wichtig: als gesamteuropäische Strategie. Denn: Das Dauer-Gegurke mit auf, zu, Lockdown light – das schadet am Ende allen: der Gesundheit, der Wirtschaft, den Nerven der Menschen.
Auch die Ärztin und Virologin
Sandra Ciesek, die seit einiger Zeit im Wechsel mit Drosten das NDR-„Coronavirus-Update“macht, plädiert für mehr Konsequenz. Ihr großes Thema, zu dem auch sie die Politik seit Monaten warnt: die Überlastung der Intensivstationen. „Wenn wir als Ärzte klar gegen Evidenz handeln, hat das massive Folgen. Wenn dies Politiker tun, ist es egal?“, polterte sie auf Twitter.
Alle drei Frauen scheinen bisweilen fassungslos: Sie und andere Wissenschaftler berechnen exakte Kurven, erklären geduldig, wie Viren sich verbreiten und wann Kipppunkte in Kliniken und bei der Kontaktnachverfolgung erreicht sind. Sie liegen nahezu immer richtig. Und dennoch hört man nicht auf sie. Im Gegenteil: Es werden trotz aller Warnungen Öffnungs-Experimente gestartet. „Da ist bei einigen ein Knoten im Gehirn“, so Brinkmann jüngst bei Maybritt Illner. Keinem Eisladen sei geholfen, wenn er jetzt öffnen darf und kurz darauf wieder schließen muss. „Je konsequenter wir handeln, desto kürzer dauern diese Maßnahmen“, sagte sie. Mal wieder. Ob es etwas nützt?