Hamburger Morgenpost

Autos raus, Leben rein

RADIKALE UMGESTALTU­NG: Wie Anwohner in Eimsbüttel Straßen und Parkplätze zu Lebensraum machen wollen

- Von FLORIAN BOLDT

INITIATIVE Parks statt Autos – Barcelona dient dabei als Vorbild

Tempo 10 für Autos, Spielstraß­en, Vorrechte für Fußgänger*innen und Fahrradfah­rer*innen – so stellt sich eine Initiative die Mobilität der Zukunft in Eimsbüttel vor. Kurzum: Der Stadtteil soll zu „Superbütte­l“werden. Vorbildfun­ktion für die ganze Stadt inklusive.

Der ADFC-Fahrradkli­matest hat zuletzt bewiesen, dass Hamburg noch reichlich Nachholbed­arf hat. Zu schmale Radwege, zu schnell fahrende Autofahrer*innen, falsch geparkte Fahrzeuge und nicht optimale Ampelschal­tungen gehören demnach zu den größten Sorgen der Hamburger Radelnden. Das kann so nicht bleiben, findet die Initiative „Kurs Fahrradsta­dt“und will Eimsbüttel zum Vorbild für ganz Hamburg machen.

Rund um die Rellinger Straße hat Initiator Kai Ammer einen Plan erarbeitet. Es sollen Spielstraß­en entstehen, neue Grün- und Erholungsf­lächen angelegt und der private Pkw-Verkehr weitgehend durch alternativ­e Angebote ersetzt werden. Für jedes Vorhaben gelte: Die Menschen stehen im Vordergrun­d.

„Jeder Parkplatz, der umgewandel­t wird, ist wie ein neues Kinderzimm­er auf der Straße“, sagten Ammer und weitere Initiatore­n im Gespräch mit der „Zeit“.

Auf ein eigenes Auto müsse zwar niemand verzichten – zugleich aber eine Diskussion darüber, wie der öffentlich­e Raum genutzt werde, möglich sein.

Eimsbüttel sei dank seiner Einwohnerd­ichte gut für ein solches Modellproj­ekt geeignet. Knapp 18 000 Menschen leben dort auf einem Quadratkil­ometer. Nur Hoheluft-West ist mit über 19 000 Bewohner*innen je Quadratkil­ometer noch dichter besiedelt. Die

Initiative rechnet vor, dass es im geplanten „Superbütte­l“insgesamt nur 5,8 Quadratkil­ometer Grünfläche­n gibt – ganze 3,19 Prozent der Fläche. Hier sieht „Kurs Fahrradsta­dt“den dringendst­en Handlungsb­edarf und will die Grünfläche­n schon zu Projektsta­rt um knapp 5,5 Quadratkil­ometer erweitern.

Orientiert hat sich die Initiative dabei an Vorbildern aus dem europäisch­en Ausland. So gibt es in Barcelona autofreie grüne „Superblock­s“.

Über 500 solcher Wohnquarti­ere sind dort geplant, seit 2017 wird das Projekt bereits umgesetzt. Mit Erfolg: Das Institut „BCN ecologia“hat vorgerechn­et, dass die Lebenserwa­rtung bereits um knapp 200 Tage gewachsen ist. In Paris gibt es seit 2016 das Projekt „Paris respire“(zu Deutsch: Paris atmet auf ). Teile der Stadt werden jeden Sonntag für den Autoverkeh­r gesperrt und stehen dann den Bürger*innen zur Verfügung.

Vieles, was Hamburg im Bereich der Mobilitäts­wende anstoße, geht aus Sicht der Initiative in die richtige Richtung. Denn dass der Verkehr der Zukunft in Hamburg auf zwei Rädern fließt, ist auch für den Senat ein wichtiges Thema. „Lärm-, Luft- und Stau-Probleme“gilt es laut Koalitions­vertrag zu verringern. Damit das klappt, hat Rot-Grün den Radverkehr zu einem Investitio­nsschwerpu­nkt der Legislatur­periode ausgerufen. Allerdings fehle eine Vision, was die Stadt genau erreichen will, kritisiert „Kurs Fahrradsta­dt“.

Immerhin: Till Steffen (Grüne) hat dem Vorhaben bereits seine Unterstütz­ung zugesicher­t. „Sehr spannendes Projekt für mehr Lebensqual­ität rund um die Rellinger Straße“, twitterte der frühere Justizsena­tor. Unterstütz­ung sucht die Initiative auch in der Bevölkerun­g: Eine Petition an Peter Tschentsch­er (SPD) kommt schon auf 6700 Unterschri­ften.

Jeder Parkplatz, der umgewandel­t wird, ist wie ein neues Kinderzimm­er auf der Straße.

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 ??  ?? Bald autofrei? Die Rellinger Straße mit der Grundschul­e heute (unten) und wie sie in Zukunft nach den Ideen der Initiative einmal aussehen soll.
Bald autofrei? Die Rellinger Straße mit der Grundschul­e heute (unten) und wie sie in Zukunft nach den Ideen der Initiative einmal aussehen soll.
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Der Kreuzungsb­ereich an der Methfessel­straße und Lappenberg­sallee: Die Initiative „Kurs Fahrradsta­dt“setzt sich unter anderem für mehr Spielplätz­e und Grünfläche­n im öffentlich­en Raum ein.
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Kai Ammer ist Initiator von „Kurs Fahrradsta­dt“.

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