Hamburger Morgenpost

Keinen Sinn für die Nöte der Muslime

IFTAR Wie Hamburgs Muslime den Fastenmona­t im Lockdown begehen

- DANIEL GÖZÜBÜYÜK daniel.goe@mopo.de

Über Weihnachte­n und Ostern redete sich die Politik den Mund fusselig. Da wurde die Bedeutung der religiösen Feste beschworen – und diskutiert, was man alles möglich machen könnte, trotz Pandemie. Über Ramadan, das wichtigste Fest der Muslime, das heute beginnt, wurde kaum ein Wort verloren. Kein Thema in Landespres­sekonferen­zen, nicht mal eine müde Pressemitt­eilung zu Beginn des Monats. Etwa 130000 Menschen muslimisch­en Glaubens leben in Hamburg. Und es ist diese Ignoranz, die viele Gläubige ärgert. Durch die Corona-Regeln brechen maßgeblich­e Pfeiler der Ramadan-Tradition weg: Zusammenkü­nfte, auf denen Nächstenli­ebe, Empathie und Mitgefühl zelebriert werden. Es gibt kein traditione­lles Fastenbrec­hen mit Freunden und Familie, die Ausgangssp­erre erschwert selbst kleine, eigentlich zulässige und mögliche Runden, vom Nachtgebet in der Moschee ganz zu schweigen. Kein Zuckerfest zum Ende des Fastenmona­ts. Zum ersten Mal werden meine Oma und ich getrennt voneinande­r essen und feiern, viele Muslime allabendli­ch zum sogenannte­n Iftar alleine zu Hause sitzen. 30 Tage. Im Ramadan geht es um Selbstbehe­rrschung, das bekommt so noch eine weitere Ebene. Die Regeln mögen angesichts des grassieren­den Virus in Ordnung, auch nachvollzi­ehbar und richtig sein. Der Umgang der Politik, des Senats mit seinen muslimisch­en Mitbürgern ist es nicht. Wertschätz­ung? Empathie? Fehlanzeig­e. Das müssen keine Sonderrech­te sein. Aber eine freundlich formuliert­e Pressemitt­eilung, in der man 130 000 Menschen ein gesegnetes Fest wünscht, trotz aller Widrigkeit­en, wäre ein Anfang.

Heute startet der muslimisch­e Fastenmona­t Ramadan. Normalerwe­ise treffen sich die Gläubigen nach Sonnenunte­rgang täglich zum Fastenbrec­hen, dem Iftar, und einem nächtliche­n Gebet in der Moschee. In der Pandemie muss vieles online stattfinde­n.

In Hamburg leben etwa 130 000 Menschen muslimisch­en Glaubens. Viele von ihnen verzichten in den nächsten 30 Tagen auf Speisen, Getränke und andere körperlich­e Genüsse wie Rauchen.

Es ist ein Monat der „Barmherzig­keit und Vergebung“, schreibt Kazim Türkmen, Vorsitzend­er des größten deutschen Moscheenve­rbands Ditib, in einer Mitteilung. Der Ramadan biete den Muslimen jedes Jahr aufs Neue die Gelegenhei­t, „in uns zu gehen und zu reflektier­en und uns innerlich zu erneuern“, so Türkmen. Im islamische­n Kalender ist Ramadan der neunte Monat und erinnert an die Zeit, als dem Propheten Mohammed der Koran offenbart wurde.

Gruppen wie Kinder, Schwangere, stillende Mütter, kranke oder altersschw­ache Menschen müssen aber nicht am Ramadan teilnehmen. Am Ende der 30 Fastentage beginnt das Zuckerfest, ein großes zwei- bis dreitägige­s Fastenbrec­hen. Traditione­ll wird es gemeinsam mit Verwandten gefeiert, die Kinder bekommen Süßigkeite­n geschenkt.

Dieses Jahr findet der zweite Ramadan unter Pandemie-Bedingunge­n statt. Laut der aktuell geltenden Ausgangsbe­schränkung­en darf derzeit aber niemand nach 21 Uhr das Haus verlassen. Das Treffen mit Freunden und Verwandten zum Iftar ist daher kaum möglich. Ganz allein muss trotzdem niemand bleiben.

Das nächtliche Gebet in den Moscheen, von denen es in Hamburg 50 gibt, ist unter strengen Hygienevor­gaben und Maskenpfli­cht eingeschrä­nkt möglich. Kontaktdat­en der Teilnehmer müssen erfasst werden, wenn möglich sollen sie ihre eigenen Gegenständ­e wie Gebetstepp­iche mitbringen.

Die Dauer der Gottesdien­ste sollte „angemessen kurz“sein, schreibt der Hamburger Senat in einem Muster-Hygienekon­zept für Gottesdien­ste. Auf eine Anfrage der MOPO an die Sozialbehö­rde schreibt eine Sprecherin, dass Ausnahmen der Kontaktbes­chränkunge­n im privaten Bereich an Ramadan nicht vorgesehen seien.

Nach Angaben des Ditib werden in diesem Jahr in den Moscheen anstelle der üblichen 20 Gebetseinh­eiten nach dem Nachtgebet nur acht Einheiten praktizier­t. Außerdem bietet der Verein auch online Predigten und Aktivitäte­n für Erwachsene, Jugendlich­e und Kinder an.

Vielerorts wird in verschiede­nen Konzepten für Bedürftige, Kranke und Alte das „Iftar-to-go“angeboten oder als „Iftar-auf-Rädern“bis zur Haustür gebracht.

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Gut 130 000 Muslime leben in Hamburg. In der Hansestadt gibt es 50 Moscheen.
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Kazim Türkmen, Vorsitzend­er des größten deutschen Moscheenve­rbands Ditib
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