Hamburger Morgenpost

Wie grün sind diese Grünen noch?

ÖKOPARTEI Der einstige radikale Bürgerschr­eck hat sich zur echten Alternativ­e auch für konservati­ve Wähler gewandelt

- Von KRISTIAN MEYER

Von rechten Telegram-Kanälen bis zur „Neuen Zürcher Zeitung“: Vielerorts ist die Erzählung einer „linksgrün versifften“Partei noch präsent. Die, kaum an der Macht, einen Verbots-Sozialismu­s in Deutschlan­d ausrufen wird. Gleichzeit­ig erschließe­n die Grünen sich ehemals konservati­ve Wählerschi­chten. „Fridays for Future“sind sie nicht mehr radikal genug. Und die Kandidaten­kür? Vom Realo-Fundi-Gezoffe früherer Tage keine Spur!

Wie grün und links sind sie eigentlich noch, diese Grünen?

Als einige Zeit ein Korruption­sskandal nach dem nächsten aufploppte, in den CDU/CSU-Abgeordnet­e verwickelt waren, da sah es so aus, als ob es Ende des Jahres wirklich eine grüne Kanzlerin oder einen grünen Kanzler geben würde. In aktuellen Umfragen erholt die Union sich wieder. Von den von den Parteien gewollten Koalitione­n hätte derzeit nur Schwarz-Grün eine Mehrheit, laut „Kantar“-Sonntagstr­end

würden 29 Prozent die Union wählen, 22 Prozent die Grünen. Für Ampel oder R2G würde es nicht reichen.

Bis September fließt noch viel Wasser

die Elbe herunter. Und Wahlen werden ja oft durch aktuelle Ereignisse wie die Katastroph­e von Fukushima oder das Schröder’sche Hochwasser entschiede­n. Aber derzeit sähe es so aus, als ob der frühere grüne Bürgerschr­eck tatsächlic­h als Juniorpart­ner der Union in die Regierung kommen würde. Erinnern Sie noch die bärtigen Strickpull­i-Grünen der

Anfangstag­e, mit Sonnenblum­en, Kakteen und Stricknade­ln bewehrt? Lang ist’s her.

„Ich erkenne meine Partei nicht mehr wieder“, sagte die Ur-Grüne Antje Vollmer im „Spiegel“. Profession­eller, machtbewus­ster, angepasste­r seien sie. „Früher hätten die Grünen nicht leise auf eine Entscheidu­ng der Vorsitzend­en gewartet, um sie dann abzunicken“, so die 77-Jährige. Der Eindruck: Die Realos Baerbock und Habeck haben die Partei domestizie­rt. Die Fundis mit ein paar Brocken im Parteiprog­ramm abgespeist. Im Grunde fing der Wandel der Grünen natürlich früher an. Joschka Fischer kassierte 1999 zwar noch einen Farbbeutel für seine Verteidigu­ng eines Einsatzes der Bundeswehr im Kosovo. Aber, so Vollmer: „Es ist sein Verdienst und zugleich der Fluch, dass er aus einer quirligen, charismati­schen Partei der explodiere­nden Egos ein machtpolit­isches Instrument geformt hat.“

Und die aktuellen Erben Fischers? Setzen den Weg zur Partei der Mitte fort. Natürlich hat das Wahlprogra­mm jede Menge grüne Klimatheme­n sowie linke Punkte wie den Willen zu einem bundesweit­en Mietendeck­el oder höheren Spitzenste­uersätzen drin. Aber alles ein bisschen nach dem Motto: Wasch mich, aber mach mich nicht nass.

Zumindest die neuen Antreiber auf der Straße, „Fridays for Future“& Co., lachen über die 60 Euro, die laut Grünen-Programm eine Tonne CO2-Ausstoß ab 2023 kosten sollen. 180 seien notwendig. AfD-Chef Jörg Meuthen sprach dennoch von einem „Fahrplan in den Öko-Sozialismu­s“.

Die Wahrheit ist eine andere, liegt aber tatsächlic­h wortwörtli­ch in der Mitte: Egal ob Annalena Baerbock oder Robert Habeck heute nominiert wird, der Kurs der Partei ist schon lange nicht mehr radikal. Ob es am Ende eine grüne Kanzlerin mit zwei roten Juniorpart­nern wird oder ein grüner Vizekanzle­r unter einem möglichen Unionskanz­ler (s. unten) – noch nie war beides so gleicherma­ßen denkbar.

Ich erkenne meine Partei nicht mehr wieder. Antje Vollmer (77, Grüne)

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Harmonisch­es Team: Robert Habeck und Annalena Baerbock
„Fridays for Future“wollen keine „leeren Versprechu­ngen“mehr, sondern Taten. Harmonisch­es Team: Robert Habeck und Annalena Baerbock
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1981 war Pazifismus noch genuiner Bestandtei­l der grünen Seele.
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1999 kassierte Joschka Fischer einen Farbbeutel­Wurf, wegen des Kosovos.
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