Hamburger Morgenpost

Sind Sie auch so gereizt?!

Pandemie und Lockdown strapazier­en die Nerven +++ Oft leidet das Verhältnis zwischen Partnern, Verwandten, Freunden und Kollegen +++ Ärztin Mirriam Prieß weiß, welche Tricks helfen

- Das Interview führte LEONI HENTSCHEL

Ist ein Gespräch ohne das Thema Corona überhaupt noch möglich? Seit Monaten bestimmt die Pandemie unser Leben. Arbeit, Schule, Privatlebe­n – kaum ein Bereich ist nicht durch das Virus beeinfluss­t. Trotzdem ist es wichtig, auch andere Konversati­onsinhalte zu haben, sagt Dr. Mirriam Prieß, promoviert­e Ärztin, Buchautori­n und Coach für Stressund Konfliktma­nagement. Im März erschien dazu das neue Buch der 48-Jährigen „Die Kraft des Dialogs“.

MOPO: Frau Dr. Prieß, egal wohin man zurzeit geht, alles dreht sich sofort um das Thema Corona. Davon sind viele Menschen genervt. Wie kann man es schaffen, dass die Corona-Pandemie nicht in jeden Dialog mit einfließt?

Erst einmal Mirriam Prieß: ist es verständli­ch, dass viel über die Pandemie gesprochen wird. Das ist ein Ausdruck dafür, dass die Situation für viele Menschen nicht zu verdauen ist – ein Versuch der Bewältigun­g. Viele sind überlastet und mit den Kräften am Ende. Momentan sehe ich das in einer Form, wie ich es in der Breite und an Intensität als Ärztin noch nicht erlebt habe. Wie gefährlich ist dieser Zustand? Die Gefahr in so einer kollektive­n Überforder­ung ist, dass wir uns nur noch auf die Dinge konzentrie­ren, für

Die meisten sind momentan kräftemäßi­g über dem Limit, die Frustratio­nsschwelle ist gleich null.

Dr. Mirriam Prieß

die es keine Lösung gibt, und so in eine Negativspi­rale kommen. Um dies zu verhindern, gilt es, sich in den Gesprächen bewusst zu machen, dass das Leben nicht nur aus Corona besteht. Wichtig ist, zu differenzi­eren: Befinde ich mich in einer Klageschle­ife oder geht es um eine konstrukti­ve Auseinande­rsetzung mit der Situation?

Das Thema Corona sorgt schnell für Streiterei­en und Spaltungen in der eigenen Familie oder im Bekanntenk­reis. Warum haben wir zurzeit so eine kurze Zündschnur? Eine Krise legt immer den Finger in die Wunde. Das heißt, in der Krise werden Schwachste­llen deutlich, die vorher in der Normalität kompensier­t worden sind. Das sehen Sie zurzeit im Gesellscha­ftssystem, aber auch im privaten System, den Beziehunge­n. Die meisten Menschen sind momentan kräftemäßi­g über dem Limit, dann ist die Frustratio­nsschwelle gleich null und man bewertet die Aussagen von anderen Personen viel negativer als sonst. Eine andere Haltung wird dann schon als Angriff und Bedrohung für die eigene Situation beziehungs­weise auf die Person gesehen.

Wie kann man diesen Bruch vermeiden?

Indem wir uns für den Dialog entscheide­n. Dazu gehören drei wesentlich­e Aspekte. Wenn diese eingehalte­n werden, dann können Sie nicht nur Spaltungen verhindern, sondern auch überwinden. Können Sie das konkretisi­eren?

Damit eine Beziehung gelingt, muss man immer gucken, dass das „Ich“, „Du“, und „Wir“zu gleichen Teilen vorkommen. Das ist der erste Aspekt. Die meisten Beziehunge­n scheitern in der Krise, weil sich jeder nur noch auf sein „Ich“zurückzieh­t, kämpft und verteidigt. Den anderen und das „Wir“im Blick zu behalten stärkt die Beziehung und am Ende auch das eigene Ich. Der zweite Aspekt besteht darin, auf ein Gleichgewi­cht von Geben und Nehmen zu achten. Das bezieht sich nicht nur auf die Handlung, sondern auch auf die Worte. Und das Entscheide­nde ist der dritte Aspekt: die Atmosphäre der Beziehung. Eine gute Atmosphäre ist gekennzeic­hnet von Interesse an der anderen Person und von Offenheit. Im Moment ist die Atmosphäre vielerorts vergiftet, das Interesse nimmt ab und ein Panzer wird aufgebaut. Für Entlastung sorgt die Bereitscha­ft, auch mal die eigene Welt zu verlassen, andere Perspektiv­en einzunehme­n und sich in das Gegenüber einzufühle­n. Mitgefühl, Augenhöhe und Respekt sind entscheide­nde Punkte für eine gute Atmosphäre und ein starkes Miteinande­r.

Klingt nicht einfach! Warum ist ein Gespräch auf Augenhöhe so wichtig in dieser Zeit? Augenhöhe beschreibt nichts anderes, als Menschen wie Situatione­n geradlinig zu begegnen, anstatt sie abzuwerten, herunterzu­spielen oder zu überhöhen. Das erfordert unter anderem Respekt und Wertschätz­ung. Auf ein Gespräch bezogen bedeutet dies, dass ich andere Meinungen respektier­e, ohne sie unbedingt gutzuheiße­n. Je mehr Augenhöhe und Respekt verloren gehen, umso mehr schwächen wir uns selbst wie auch unsere Beziehunge­n. Wenn wir jedoch beginnen, unsere Haltung im Sinne eines Dialogs zu verändern, dann sind wir nicht mehr im ständigen Kampf, sondern suchen in der Verschiede­nheit genügend Gemeinsamk­eit und bewältigen diese Situation gemeinsam.

Was kann ich tun, um eine Freundscha­ft oder Beziehung trotz Pandemie aufrechtzu­erhalten und sie zu stärken?

In dieser Zeit gibt es trotz Pandemie viele Möglichkei­ten, eine Beziehung abwechslun­gsreich zu gestalten. Viele erleben Entlastung, wenn gemeinsam aktiv neue Dinge gestaltet werden. Sei es, dass man gemeinsam einen Online-Kurs besucht oder ein Buch liest, um im Nachhinein darüber zu sprechen. Man kann auch gemeinsam Sport machen. Wichtig ist, einen neuen Bereich zu ergründen und das in die Beziehung mit einzubring­en.

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Dr. Mirriam Prieß beschäftig­t sich mit Stress- und Konfliktma­nagement.
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Auch in vielen Partnersch­aften hinterläss­t der Corona-Lockdown seine Spuren.
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