Hamburger Morgenpost

Scholz zu Wirecard: Nicht meine Schuld

Krimi im Untersuchu­ngsausschu­ss:

- Von FREDERIK MITTENDORF­F

Nicht vorhandene Milliarden, Lobbyisten, Geheimdien­ste, ein Drahtziehe­r auf der Flucht: Die Aufarbeitu­ng des Mega-Finanzskan­dals rund um das Unternehme­n Wirecard geht weiter – längst steht auch Finanzmini­ster Olaf Scholz unter Druck. Er wies am Donnerstag im Untersuchu­ngsausschu­ss alle Verantwort­ung von sich.

Es ist die Woche der Politik-Promis im Kreuzverhö­r: Am Donnerstag musste sich Olaf Scholz (SPD) dem Untersuchu­ngsausschu­ss stellen, am Freitag kommt die Kanzlerin, zuvor waren schon Wirtschaft­sminister Peter Altmaier und Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) da.

Es geht um einen der größten Finanzskan­dale, den Deutschlan­d je gesehen hat, und um die Frage, welche Verantwort­ung dabei führende Politiker trugen, dass ein Unternehme­n jahrelang Prüfungsbe­hörden und Öffentlich­keit täuschen konnte und hofiert wurde.

Es ist auch eine Geschichte, die zeigt, wie eng mitunter Verflechtu­ngen von Politik und Wirtschaft sein können – und wie sehr das schiefgehe­n kann. In den Rollen sind lobbyieren­de Ex-Politiker, staatliche Finanzprüf­ungsstelle­n, deren Mitarbeite­r mit Aktien von Unternehme­n handeln, die sie eigentlich überprüfen sollen, windige Wirtschaft­sbosse und sogar Geheimdien­ste finden Erwähnung.

Das Unternehme­n Wirecard,

um das sich der Skandal entfaltet, galt in Deutschlan­d lange Zeit als das große Zukunftsve­rsprechen. Die Politik war stolz darauf, dass ein Unternehme­n aus dem eigenen Land sich in der Digital-Branche durchsetze­n konnte. Der Zahlungsdi­enstleiste­r legte einen kometenhaf­ten Aufstieg hin, landete 2018 im DAX und war zwischenze­itlich mehr wert als die Deutsche Bank. Doch es gab schon in der Vergangenh­eit immer wieder Hinweise darauf, dass bei Wirecard nicht alles sauber war.

Die „Financial Times“berichtete seit 2015 über mögliche Unstimmigk­eiten bei den Bilanzen des Unternehme­ns. Doch die Finanzdien­stleistung­saufsicht (BaFin), die dem Finanzmini­sterium unterstell­t ist, nahm die Journalist­en daraufhin wegen Marktmanip­ulation und irreführen­der Angaben in der Finanzberi­chterstatt­ung ins Visier – später gab es sogar eine Anzeige. Ebenfalls ist heute bekannt, dass Mitarbeite­r der BaFin selbst mit Wirecard-Aktien handelten, was zwar nicht illegal ist, aber Fragen aufwirft.

Ermittelt wurde aber in alle Richtungen, auch Verantwort­liche von Wirecard waren nicht ausgenomme­n.

Am 19. Februar 2019 wurde dann Finanzmini­ster Olaf Scholz darüber informiert, dass die BaFin wegen Marktmanip­ulation rund um Wirecard ermittelt und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungsl­egung (DPR) die Bilanzen des Unternehme­ns genau unter die Lupe nimmt. Trotzdem setzte sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel noch im Herbst 2019 auf einer Reise nach China für Wirecard ein, das in dem Land expandiere­n wollte. Ex-Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg hatte vorher im Kanzleramt reichlich für das Unternehme­n lobbyiert.

2020 wendete sich dann das Blatt für das Unternehme­n endgültig. Wirtschaft­sprüfer von Ernst & Young verweigert­en Wirecard am 18. Juni das Testat für die Bilanz von 2019, weil das Unternehme­n unter anderem 1,9 Milliarden Euro in seiner Bilanzsumm­e auswies – aber nirgends belegen konnte, dass das Geld überhaupt existierte. Es kam zu Panikverkä­ufen an der Börse – das Unternehme­n verlor in nur sieben Tagen 90 Prozent seines Werts und vermeldete Insolvenz, Kleinanleg­er traf es hart.

Wirecard-Boss Markus Braun trat zurück, das Unternehme­n räumte ein, dass die 1,9 Milliarden Euro „mit überwiegen­der Wahrschein­lichkeit nicht bestehen“. Braun wurde festgenomm­en, im Visier der Fahnder ist seitdem auch seine rechte Hand Jan Marsalek, der als Drahtziehe­r gilt – doch der ist untergetau­cht. Laut verschiede­nen Medienberi­chten pflegte Marsalek Kontakte zum österreich­ischen und russischen Geheimdien­st. Er wurde bereits in Belarus, Russland und auf den Philippine­n vermutet und wird mit internatio­nalem Haftbefehl gesucht.

Finanzmini­ster Olaf Scholz weiß vermutlich auch nicht, wo sich Marsalek derzeit aufhält. Dafür wollte die Opposition dann am Donnerstag von ihm wissen, was er sonst so alles über den WirecardKo­mplex wusste und welche Verantwort­ung er beim Versagen der BaFin trägt. Doch der SPD-Kanzlerkan­didat wies alle Kritik zurück. „Die Verantwort­ung für den groß angelegten Betrug trägt nicht die Bundesregi­erung“, sagte er, auch er persönlich trage keine Verantwort­ung dafür, dass der Skandal nicht früher aufgefalle­n sei. Auch die ihm unterstell­te BaFin nahm er in Schutz. Es sei ein „absurdes Märchen“, dass die BaFin oder das Bundesfina­nzminister­ium ihre schützende Hand über das Unternehme­n gehalten hätten. Allerdings will er die Behörde neu aufstellen, der ehemalige Chef musste bereits gehen.

Die Opposition ist unzufriede­n mit dem Auftritt des Finanzmini­sters. Sie warf Scholz mangelnde Transparen­z vor. Grünen-Obmann Danyal Bayaz sagte, das Finanzmini­sterium versuche, seine Rolle unter den Teppich zu kehren. FDPObmann Florian Toncar bemängelte, Scholz sei seiner Aufgabe nicht so gerecht geworden, wie es gut gewesen wäre. Unions-Obmann Matthias Hauer erhob den Vorwurf, das Ministeriu­m habe beim Versagen von Behörden im Fall Wirecard weggeschau­t. Der Finanzmini­ster müsse die politische Verantwort­ung für den Bilanzskan­dal mit Milliarden­schaden für viele Kleinanleg­er übernehmen.

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Wer wusste was, wer trägt Verantwort­ung? Ein Untersuchu­ngsausschu­ss soll das klären: Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD), Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU), Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD), ExVerteidi­gungsminis­ter Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Wirecard-Chef Markus Braun, Jan Marsalek, flüchtiger Wirecard-Geschäftsf­ührer, Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU, v. l.).
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