Hamburger Morgenpost

Sind Nord- und Ostsee überhaupt noch zu retten?

Seit 2008 ist die Anzahl von Todeszonen im Meer laut UN weltweit dramatisch gestiegen

- Von ANNALENA BARNICKEL

Die dort lebenden Fische schwimmen weg und Seesterne oder Seeschneck­en sterben.

Nadja Ziebarth, BUND

Wo es keinen Sauerstoff mehr gibt, dort existiert kein Leben. Das gilt auch für die Ozeane. Seit 2008 ist die Anzahl solcher Todeszonen laut den Vereinten Nationen (UN) weltweit stark gestiegen. Die Nord- und Ostsee sind ebenfalls davon betroffen – eine BUND-Meeresexpe­rtin erklärt die Gründe.

Im zweiten „World Ocean Assessment“zum Zustand der Meere, den die UN am Mittwoch in New York vorgestell­t haben, heißt es, dass die Zahl dieser Zonen von 2008 bis 2019 von mehr als 400 auf etwa 700 gestiegen ist.

Todeszonen heißen die Gebiete, in denen der Sauerstoff­gehalt so gering ist, dass weder Pflanzen noch Tiere überleben können. Besonders davon betroffen: der Golf von Mexiko, das Südchinesi­sche Meer – und eben auch Ost- und Nordsee.

Nadja Ziebarth ist Meeresschu­tzreferent­in vom Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND), für sie sind die Todeszonen kein neues Thema. „Jährlich gelangen aus Deutschlan­d Hunderttau­sende Tonnen zusätzlich­e Nährstoffe in die Nord- und Ostsee und zerstören damit das Gleichgewi­cht im Meer“, sagt sie der MOPO.

Denn die Nährstoffe führen zu übermäßig vielen Algen. Diese sterben ab, sinken zum Meeresbode­n und werden von Bakterien zersetzt. Dieser Prozess verbraucht den Sauerstoff im Bodenwasse­r und setzt gleichzeit­ig giftigen Schwefelwa­sserstoff frei. „Die dort lebenden Fische schwimmen weg und Seesterne oder Seeschneck­en sterben“, erzählt Ziebarth.

Woher kommen die Nährstoffe? Laut der Meeresschu­tzreferent­in vor allem aus der Landwirtsc­haft. Denn gelangen die dort eingesetzt­en Düngemitte­l in zu großer Menge auf die Felder, können nicht die gesamten Nährstoffe aufgenomme­n werden. Diese gelangten dann über das Grundwasse­r, Flüsse oder die Atmosphäre ins Meer.

Ein weiterer Grund sei der Klimawande­l, vorangetri­eben durch Industriea­bgase, Auto-, Schiffs- und Flugverkeh­r. In den steigenden Wassertemp­eraturen fühlten sich die Algen pudelwohl.

Vor allem in der Ostsee breiten sich die toten Zonen immer weiter aus. Das betrifft besonders den Abschnitt zwischen der schwedisch­en Küste auf der einen sowie Estland, Lettland und Litauen auf der anderen Seite.

„Die Ostsee ist durch den eingeschrä­nkten Wasseraust­ausch stärker gefährdet als die Nordsee“, sagt Ziebarth. „Die toten Zonen sind tiefer und größer. In der Nordsee gibt es das durch die Ebbe und Flut sowie den Austausch mit dem Nord-OstAtlanti­k und dem Ärmelkanal weniger.“

Die UN sehen in ihrem Bericht indes keine Anzeichen für eine Verbesseru­ng. „Es wird geschätzt, dass sich der menschenge­machte Stickstoff­eintrag an den Küsten in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunder­ts verdoppeln wird“, heißt es dort.

Angesichts des Berichts forderte die Umweltorga­nisation „Greenpeace“Sofortmaßn­ahmen der Bundesregi­erung wie etwa eine Verringeru­ng der Stickstoff­einträge in die Meere und das Einrichten großflächi­ger Schutzgebi­ete.

„Der Mix aus Überdüngun­g, Klimaerhit­zungsfolge­n und jahrzehnte­langer Überfischu­ng bringt unsere Hausmeere immer näher an den Kipppunkt, von dem es kein Zurück mehr geben wird und ab dem sich die Negativeff­ekte selbst verstärken“, sagte „Greenpeace“-Meeresbiol­oge Thilo Maack.

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Regenwolke­n über der Ostsee. Aus Trauer über die vielen Todeszonen im Meer?

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