Hamburger Morgenpost

„Unsere jungen Ichs hätten uns zu Hause heimlich gehört“

Die Broilers über ihr neues Album „Puro Amor“, Punk, Pop, Hooligans und „Diddl“-Mäuse

- Das Interview führte FREDERIKE ARNS

Wir Menschen brauchen uns! Das ist etwas, was ich durch die Pandemie gelernt habe.

Sammy Amara (42)

Heute ist das achte Album „Puro Amor“der Düsseldorf­er Punkrock-Band Broilers erschienen. Die MOPO sprach mit Frontmann Sammy Amara (42) über das Bedürfnis nach viel Liebe in diesen schwierige­n Zeiten, ihre Anfänge als Oi!-Punks, Pop mit rauer Stimme und darüber, dass gerade viele Weichen für die Zukunft gestellt werden.

Das neue Album heißt „Puro Amor“. Liebt ihr euch in der Band eigentlich immer noch so wie am Anfang? Sammy Amara: Wir lieben uns sogar ein bisschen mehr. Wir streiten uns natürlich auch.

Wir sind ja nichts anderes als eine kleine Familie – oder sehr enge Freunde. Aber ein reinigende­r Streit ist ja auch manchmal gut!

Durch die Corona-Zeiten erfahren einige Gesellscha­ftsgruppen gerade zu wenig Liebe und bleiben auf der Strecke.

Auf jeden Fall! Wir haben auf dem Album ja auch den Song „Niemand wird zurückgela­ssen“. Den Song kann man sehr global sehen, aber auch auf die unmittelba­re Nachbarsch­aft beziehen. Man sagt ja, für Singles sei der Sonntag der schlimmste Tag – das ist ja quasi jetzt seit 13 Monaten so. Wer das Glück hat, in einer Partnersch­aft zu sein, kann das gar nicht richtig nachvollzi­ehen, wie schwierig das ist und reagieren dann vielleicht so: „Warum triffst du dich dennoch mit so vielen Leuten?“Da muss man selber auch mal zurücktret­en und das Kopfschütt­eln, das man hat, ablegen. So viele Leute können sich ins Alleinsein nicht hineinvers­etzen. Wir Menschen brauchen uns! Das ist etwas, was ich durch die Pandemie gelernt habe.

Im Video zu „Alles wird wieder OK!“erzählt ihr die Geschichte­n von Läden. Man konnte sich bewerben – es erscheint am 3. Mai. Aus Hamburg sind etwa die Astra Stube und die Brotmanufa­ktur dabei.

Wir haben für die Auswahl eine siebenstün­dige Zoom-Konferenz abgehalten. Es war schwierig, aus der Menge der Bewerbunge­n nur ein paar herauszuzi­ehen. Aber es war auch schön zu sehen, wie divers unsere Fans sind. Großeltern von Fans haben sich sogar beworben! Da gibt es etwa eine Firma, die hat noch nicht mal eine Webseite oder E-Mail. Im Video halten alle Läden ein Schild hoch, auf dem Name und Webseite stehen, bei dieser Firma steht dann da eben die Telefonnum­mer. Durch die Bewerbunge­n haben wir bemerkt, wie positiv die Leute trotz desolater Lage in die Zukunft blicken.

Ihr habt euch von kleinen Düsseldorf­er Oi!-Punks zu einer megaerfolg­reichen Band entwickelt. Hier zu Hause haben wir noch eure erste EP „Schenk mir eine Blume“von 1996 liegen.

Die wollte ich damals für sieben Mark verkaufen und bin dafür mit Bauchladen auf den Konzerten herumgelau­fen. Da wollte sie noch keiner haben – heute kostet sie definitiv mehr.

Was würden eure jungen Ichs zu eurem Erfolg sagen?

Die Vor-Broilers, die 1991 eine Punkband gründeten, würden sagen: „Ja klar, genau so haben wir es erwartet!“Die jungen Ichs, die diese Single aufgenomme­n haben, als sie 15, 16 Jahre alt waren, hätten nach außen geschimpft: „Das ist ja total Mainstream!“Aber zu Hause hätten sie uns dann heimlich gehört. (lacht) Ich weiß nicht, ob die jungen Ichs das damals schon richtig einschätze­n konnten: Das Wichtigste ist doch, dass man sich selbst treu bleibt. Das sind wir! Wir wissen, wo wir herkommen und wir sind stolz darauf, was wir erreicht haben. Ihr habt auch keine Angst vor Pop.

Auch damals hatten wir schon Popsongs. Die klangen nur rauer, weil es bei mir nicht mal den Anflug von echtem Gesang gab. Ich habe die Töne noch nicht getroffen, wie ich wollte und habe das erst mit der Zeit „aus Versehen“gelernt.

In „Nicht alles endet irgendwann“singst du die Zeile „Jugendlich­e von 40 Jahren“. Das ist ein krasses Privileg, oder?

Ja! Dafür bin ich enorm dankbar. Ich habe das Gefühl, dass die Entwicklun­g in der Gesellscha­ft generell so ist, dass wir viel länger jugendlich sein können. Was mich persönlich betrifft: Ich habe heute noch um 1 Uhr nachts mit einer „Playstatio­n“-Pistole im Wohnzimmer gestanden und Aliens abgeschoss­en. Und ich kann auch bis in die Nacht arbeiten und immer ohne Wecker aufstehen. Mein Zimmer hier mit den ganzen Gitarren sieht ja auch aus wie von jemandem, der einfach viel Taschengel­d bekommt.

Der neue Song „Schwer verliebter Hooligan“und der alte „Paul, der Hooligan“. Ihr seid doch gar keine großen Fußball-Fans, warum dennoch diese Thematik? Ronald Hübner ist als einziger krasser Fortuna-Düsseldorf-Fan. Dieser Song jetzt ist auch ein augenzwink­ernder Schultersc­hluss mit der alten Single. Die habe ich damals über einen Klassenkam­eraden geschriebe­n. Der hatte auch nichts mit Hooligans am Hut, aber dennoch so ein Hooligan-Gebaren. Der neue Song ist entstanden, weil ich den Ausdruck „Chelsea Smile“so spannend fand. Das hört sich freundlich an, ist aber etwas ganz Grausames: „Chelsea Smiles“haben britische Gangster gemacht – mit einem Messer durch die Mundwinkel ziehen. Das, was der „Joker“bei „Batman“auch hat. Und am Ende ist dabei eine tanzbare Nummer herausgeko­mmen, die an 80erSka erinnert. Aber grundsätzl­ich: Unser Publikum ist ein Schmelztie­gel von Leuten. Da steht der ältere Herr neben ganz jungen Kids neben einer Hausfrau, die „Diddl“-Mäuse sammelt neben eben einem Hooligan.

Ihr habt mit Ines Maybaum eine Bassistin. Nervt es, auf etwas, das selbstvers­tändlich sein sollte, immer wieder angesproch­en zu werden?

Sehe ich auch so: Es müsste nicht erwähnt werden, es nervt. Aber trotzdem ist es wichtig. Deswegen haben wir das auch wieder in unsere aktuelle Bandbiogra­fie aufgenomme­n. Weil wir das Gefühl haben, dass gerade ein Umbruch stattfinde­t. Das muss man ausnutzen. Die Diskussion ums Gendern ist wichtig. Es ist wichtig, dass es Ärztinnen und Ärzte und Pilotinnen und Piloten gibt. Das öffnet die Sprache und das Denken. Auch dass „Black Lives Matter“so viel Aufmerksam­keit bekommt: Wir stellen jetzt die Weichen für die Zukunft. Und genau das soll bitte die Richtung sein und nicht die AfD mit ihrem Wahl-Slogan „Deutschlan­d, aber normal“.

Auf dem Album positionie­rt ihr euch auch wieder gegen Rassismus. Das ist notwendig in diesen Zeiten.

Absolut. Ich würde mich nicht wohlfühlen, wenn ich in solchen Zeiten die Hände in den Schoß legen und deswegen ein paar mehr Platten verkaufen würde. Ich möchte meine Position da ganz klar machen und am liebsten ohne erhobenen Zeigefinge­r den Menschen einen Anstoß geben, über gewisse Dinge nachzudenk­en. Denn es gilt immer noch der alte Kalendersp­ruch: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“. Das ist doch eigentlich ganz simpel. „Puro Amor“ist heute über Skull & Palms Recordings erschienen.

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Die Broilers haben keine Angst vor Pop und Kitsch. Die MOPO sprach mit Sammy Amara (Mitte).
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Die erste EP „Schenk mir eine Blume“erschien 1996 und ist heutzutage auf Ebay viel wert.
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Die letzten beiden Alben landeten auf dem ersten Chartplatz. Ob „Puro Amor“das auch schafft?

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