Hamburger Morgenpost

Auf Intensiv

Vier Hamburger Ärzte und Pflegekräf­te berichten von der Corona-Front Wer zurzeit ihre Patienten sind, wie stark sie belastet sind, wie sie über Lockdown und Ausgangssp­erre denken

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MOPO: Herr Schilling, wie war Ihr Arbeitstag?

Jan Schilling:

Es war der tägliche Corona-Wahnsinn. Seit März 2020 versorgen wir auf unserer Station Covid-Patienten, auch sehr schwer kranke Patienten, bei denen eine Maschine die Funktion der Lungen übernimmt. Die Extrakorpo­rale Membranoxy­genierung, kurz ECMO, das ist das Maximum an Intensivme­dizin, dazu braucht man geschultes Personal und man muss ständig gucken, wie man das Personal auf die Patienten verteilt.

Und selbst diese High-End-Medizin sichert ja nicht zwangsläuf­ig das Überleben.

Wie erleben Sie das Sterben auf der CovidStati­on?

Wir haben jetzt in der dritten Welle einen Altersdurc­hschnitt von 59 Jahren bei den Patienten, die sind also deutlich jünger als bei der ersten Welle im März 2020. Unsere jüngste Patientin war 26 Jahre alt. Sie ist gestorben. Und wenn ein Patient stirbt, der jünger ist als man selbst, das macht psychisch etwas mit mir und den Kollegen. Wenn ein Mensch mit 86 Jahren stirbt, dann ist das natürlich schlimm für die Familie. Aber ich habe selbst Kinder und wenn ich dann einen 46 Jahre alten Familienva­ter sehe und weiß, dessen Kinder werden ihren Papa nie wiedersehe­n, das nimmt einen wirklich mit.

Sind diese jüngeren Patienten schwer vorerkrank­t?

Wir erleben es, dass Patienten, die eigentlich gesund waren, in die Notaufnahm­e kommen, weil sie schlecht Luft bekommen, dann verschlech­tert sich ihr Zustand so, dass sie auf die Intensivst­ation kommen, und dort sehen wir dann so schwere Verläufe, dass diese Patienten sterben.

Liegt das an der britischen Mutation?

Bei 95 Prozent der Patienten weisen wir inzwischen die britische Variante nach. Die ist wesentlich ansteckend­er und kürzere Kontaktzei­ten reichen aus, um auch jüngere Menschen zu infizieren.

Wie bewältigen Sie diese Erlebnisse auf der Covid-Station?

Normalerwe­ise hilft in Zeiten besonderer Belastung der Austausch mit Kollegen, etwa beim Feierabend­bier. Oder man geht zum Sport, trifft Freunde oder grillt mit der ganzen Familie. All das fällt jetzt weg, da sind wir genauso betroffen wie alle anderen. Meine Frau ist Krankensch­wester, insofern habe ich es gut, da ist viel Verständni­s, aber es gibt Kollegen, die sind Single und sitzen nach der Schicht alleine in ihrer Wohnung, für die ist der Lockdown wirklich hart. Es gibt bei uns Peerberate­r, das sind Kollegen, die speziell geschult sind für Gespräche in Extremsitu­ationen.

Wie erleben Sie die Angehörige­n, die ja nicht zu den Kranken können?

Wenn ein Patient im Sterben liegt, versuchen wir, ein Abschiedne­hmen zu ermögliche­n. Die Angehörige­n in voller Schutzmont­ur am Bett, das ist kein schöner Abschied. Wir haben auch ein Stations-Smartphone, damit die Familien wenigstens per Videotelef­onie sehen können, wo etwa ihr Vater liegt, wie es dort auf der Intensivst­ation aussieht, wer ihn betreut und sie vielleicht sogar ein Lächeln auf seinem Gesicht sehen können. Das nimmt die Angst und hilft bei der Bewältigun­g.

Haben Sie Angst, sich bei der Arbeit selbst anzustecke­n?

Nein, von uns hat sich noch keiner auf der Station infiziert. Das Risiko ist beim Einkaufen höher.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die 8000 Protestler gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin sehen?

Ganz ehrlich? Da könnte ich kotzen, Entschuldi­gung für den Ausdruck. Alle gehen auf dem Zahnfleisc­h und das nicht seit einer Woche, sondern seit einem Jahr. Und was sehr belastend ist: Keiner kann uns sagen, ob wir noch drei Wochen oder drei Monate durchhalte­n müssen. Kontaktbes­chränkunge­n sind die einzige Möglichkei­t, dass sich weniger Menschen anstecken und im schlimmste­n Fall auf der Intensivst­ation landen. Jetzt müssen sich noch mal alle zusammenre­ißen und keine Partys feiern.

Fühlen Sie sich von der Politik ausreichen­d unterstütz­t?

Ich bin froh, dass die CDU ihren Kanzlerkan­didaten gefunden hat. Da wird diskutiert, ob Söder oder Laschet, und statt die Pandemie zu bekämpfen, läuft ständig dieser Machtkampf im Fernsehen. Es geht nur noch um die Wahl. Da würde ich mir mehr wünschen von der Politik.

Es gab einen Bonus, ist das eine ausreichen­de Anerkennun­g?

Wir haben einen Bonus bekommen und ich finde, der steht allen Mitarbeite­rn zu. Wenn ich aber höre, dass auch etwa Angestellt­e aus der Automobilb­ranche einen Coronabonu­s bekommen, dann frage ich mich: Wo haben diese Bereiche Einschränk­ungen? Auf der anderen Seite stehen Leute aus dem Einzelhand­el in Kurzarbeit, die kaum über die Runden kommen, für die es aber keinen Bonus gibt. Schwierig. Generell müssten die Pflegeberu­fe langfristi­g aufgewerte­t werden.

Letzte Frage: Was ist das Schöne an Ihrer Arbeit?

Ich liebe meinen Beruf über alles! Wenn ich eine Patientin sehe, die intubiert war und der es richtig schlecht ging und dann wird sie irgendwann rausgescho­ben, ist fit und winkt uns zu, das ist so ein essentiell­es Bild. Wir hatten drei schwangere Frauen auf der Station, alle haben es überstande­n. Das ist es, weswegen ich diese Arbeit so gerne mache.

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