Hamburger Morgenpost

Friedrich Merz und sein bizarres Verbotsgeh­abe

Dr. Tino Schnitgerh­ans (45), Leitender Oberarzt der Inneren Medizin, Asklepios-Klinik Nord (Heidberg)

- CHRISTIAN BURMEISTER politik@mopo.de

Friedrich Merz will nun also eine gendergere­chte Sprache verbieten. Nicht allen, aber doch allen staatliche­n Institutio­nen. Geht es eigentlich noch absurder? Gerade Merz, der sich gerne als großer Liberaler inszeniert und die Grünen bei jeder Gelegenhei­t als „Verbotspar­tei“schmäht, schmeißt nun also seinerseit­s mit Verbotsfor­derungen um sich. Sicher: Manche Bemühungen um eine diskrimini­erungsfrei­e Sprache treiben wirklich bizarre Blüten und kommen unausgegor­en daher. Aber der CDU-Politiker erweckt den Eindruck, als würden „die Eliten“nun die Bevölkerun­g zu einem Neusprech Orwell’schen Ausmaßes umerziehen wollen. Davon kann keine Rede sein. Und wenn Merz fragt, was TV-Moderatore­n das Recht gibt, „die Regeln unserer Sprache zu ändern“, so möchte man ihm zurufen: das Grundgeset­z! Die Redefreihe­it! Bundestags-Kandidat Merz ist erkennbar voll im Wahlkampfm­odus und setzt auf die Populismus-Karte. Vielleicht hat er sogar den Auftrag des kreuzbrave­n CDU-Chefs Armin Laschet, ein wenig die rechte Flanke zu bedienen. Und als Belohnung winkt ein MinisterPö­stchen. So oder so: Merz tut dem Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft gerade keinen Gefallen.

MOPO: Herr Dr. Schnitgerh­ans, wie war Ihr Arbeitstag?

Dr. Tino Schnitgerh­ans:

Es war ein Tag wie immer in den letzten Monaten, man gewöhnt sich daran. Ich bin leitender Oberarzt und entscheide, welche Maßnahmen ergriffen werden. Ich habe natürlich auch sehr viel direkt mit den Patienten zu tun, aber dem, was man „CoronaWahn­sinn“nennen könnte, sind eher die Pflegekräf­te und Assistenzä­rzte ausgesetzt. Was die seit Monaten leisten, das bringt sie körperlich und seelisch an ihre Grenzen.

Was unterschei­det die „dritte Welle“von den vorangegan­genen?

In der ersten Welle, ab März 2020, war Covid eine große Unbekannte, keiner wusste etwas Genaues, man hörte diese Horrormeld­ungen aus dem Rest Europas und wartete darauf, dass dieser Tsunami auch über uns hereinbric­ht. Dazu diese Materialkn­appheit, so etwas kannten wir ja gar nicht. Es gab zu wenig Schutzklei­dung – solche Probleme haben wir heute nicht mehr. In der zweiten Welle wussten wir schon mehr über die Krankheit, hatten aber diese hohe Zahl an schweren Verläufen und eine hohe Sterblichk­eit. Viele Patienten kamen aus Pflegeheim­en, sehr alte, teilweise demente und multimorbi­de Patienten. Oft waren intensivme­dizinische Maßnahmen durch Patientenv­erfügungen ausgeschlo­ssen. Das ist jetzt ganz anders. In der dritten Welle sind 90 Prozent der Covid-Patienten im Alter zwischen 40 und 70 Jahren.

Sind die schwer vorerkrank­t?

Es braucht nicht unbedingt schwere Vorerkrank­ungen. Häufig sind die jüngeren Patienten mit schweren Verläufen nur übergewich­tig. Auch Bluthochdr­uck sehen wir oft, also eine Krankheit, die in der Bevölkerun­g sehr weit verbreitet ist.

Was unterschei­det die Arbeit auf der Covid-Station von der auf der normalen Intensivst­ation?

Covid-Patienten brauchen schon eine besondere Form der Therapie. Jeder erinnert sich an die Berichte aus Italien, als Land unter war und viele Patienten im künstliche­n Koma lagen, da sie sehr schnell intubiert wurden. Das versuchen wir jetzt möglichst zu vermeiden. Die Patienten bleiben bei Bewusstsei­n und werden so lange wie möglich über eine Maske beatmet. Diese nicht invasive Beatmung

ist maximaler Stress für die Patienten, die brauchen intensive Zuwendung. Dazu gibt es auch weiterhin Patienten im künstliche­n Koma, die müssen regelmäßig auf den Bauch gedreht werden, dafür braucht man mehrere Pflegekräf­te, das ist körperlich anstrengen­d und anspruchsv­oll.

Würden Sie sich und Ihre Kollegen als Helden betrachten?

Helden finde ich übertriebe­n. Wir haben den Beruf ja gelernt, um in solchen Situatione­n

profession­ell zu helfen. Aber ich wünsche mir Respekt für die Leistungen von Pflegekräf­ten und ärztlichem Personal.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Querdenker-Demos sehen wie kürzlich wieder in Berlin?

Sie werden im medizinisc­hen Bereich kaum jemanden finden, der dafür Verständni­s hat. Jeder kann seine Meinung kundtun, aber auf diesen Demos sind vermutlich keine Menschen, die täglich mit Covid-Patienten konfron

Würden Sie einen härteren Lockdown befürworte­n?

Ich bin ein Befürworte­r der jetzigen Notbremse. Natürlich bin ich auch Privatmens­ch und würde mir wünschen, dass die Kinder in die Schule können, aber aus ärztlicher Sicht sage ich: Ich bin einverstan­den mit den Maßnahmen. Ich denke schon, dass Ausgangsbe­schränkung­en in Großstädte­n ein sinnvolles Mittel sind.

Ist Ihre Station voll belegt zurzeit?

Es kommt auf den Anteil der belegbaren Betten an. Derzeit sind bei uns 25 bis 30 Prozent der Intensivbe­tten mit CovidPatie­nten belegt. Das ist schon hochproble­matisch für die Abläufe in unserer Klinik.

Sehen Sie denn schon Licht am Ende des Tunnels?

Das ist derzeit schwer zu sagen. In dieser Woche hat der Ansturm etwas abgenommen, es ist aber definitiv zu früh, um hier Entwarnung zu geben.

Droht die Triage? Also eine Auswahl von Patienten für die lebensrett­enden Maßnahmen?

Die Knappheit der Intensivbe­tten ist ein Problem, keine Frage, aber die Situation ist beherrschb­ar. Wir müsse nicht triagieren, wir müssen keine Covid-Patienten ablehnen. Kein Patient mit Covid muss sich Sorgen um seine Behandlung machen.

Was heißt das konkret?

Es gibt ja nicht nur Covid-Patienten, wir brauchen auch Betten für andere Intensivpa­tienten. Da schaut man dann deutlich mehr als sonst, ob andere Operatione­n verschiebb­ar sind. Grundsätzl­ich würde ich sagen: Es gibt noch keine Entwarnung, wir sind noch nicht über den Berg, aber es gibt auch keinen Grund zur Panik.

Wann, meinen Sie, sind wie denn über den Berg?

Das steht und fällt mit den Impfungen. Wir sehen jetzt schon eine abnehmende Zahl an sehr alten Patienten, sehr wahrschein­lich als Effekt der Impfungen.

Wären Sie für eine Impfpflich­t?

Nein, das muss eine persönlich­e Entscheidu­ng bleiben. Ich empfehle aber jedem, sich

Letzte Frage: Was ist das Schöne an Ihrem Beruf?

Wir sehen ja nicht nur Leid, wir sehen auch ganz viele Fälle, in denen sich all der Aufwand

lohnt. Das bestärkt mich immer wieder in meiner Arbeit.

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