Hamburger Morgenpost

Merkel und die Milliarden­pleite

BEFRAGUNG Kanzlerin sieht keine eigene Schuld für Bilanzskan­dal. FDP: „Sie war politisch unvorsicht­ig“

- CMB

BERLIN – Ist die Kanzlerin den Milliarden­betrügern von Wirecard auf den Leim gegangen? Am Freitag hat der Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags Angela Merkel (CDU) zu dieser Frage ins Kreuzverhö­r genommen. Die Regierungs­chefin sieht keine Schuld bei sich – doch es gibt auch ganz andere Meinungen.

Der Grund, dass Merkel überhaupt in den Ausschuss zitiert worden war, liegt an einem China-Besuch im Jahr 2019. Damals hatte sich Merkel auf höchster Ebene für das Unternehme­n eingesetzt, das in den chinesisch­en Markt einsteigen wollte. Zu diesem Zeitpunkt gab es aber bereits zahlreiche Medienberi­chte über die fragwürdig­en Methoden des ehemaligen Dax-Unternehme­ns, die schließlic­h zum größten Bilanzskan­dal der Nachkriegs­geschichte führten und Tausende geprellte Kleinanleg­er zurückließ­en.

„Wenn man das Wissen von heute hat, stellt man sich berechtigt einige Fragen. Man hatte damals nur dieses Wissen nicht“, erklärte die Kanzlerin. Niemand habe damals zu ihr gesagt: „Finger weg von Wirecard.“Ex-Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg, der 2019 als Lobbyist für den Zahlungsdi­enstleiste­r arbeitete, habe sie im Vorfeld der Reise auf das Interesse Wirecards an einer Expansion nach China hingewiese­n, erklärte sie weiter. Sie habe ihn aber unmittelba­r an ihren Wirtschaft­sberater verwiesen.

Mit dem heutigen Wissen stellen sich tatsächlic­h einige Fragen. Angela Merkel (CDU) vor den Ausschussm­itgliedern

Bei Reisen würden regelmäßig mehrere Unternehme­n angesproch­en. „Maximal ein Satz zu jedem Unternehme­n, der kann aber lang sein und viele Kommas enthalten“, gab die Kanzlerin Einblick in ihre Arbeitswei­se. Eine Sonderbeha­ndlung für Wirecard habe es in China nicht gegeben.

„Es war politisch unvorsicht­ig, dass sie sich für das Unternehme­n in China eingesetzt hat“, bilanziert­e der FDP-Finanzpoli­tiker Florian Toncar nach der Anhörung. Viele Abgeordnet­e glauben aber, dass Wirecard durch den Verweis auf den Einsatz Merkels Kritiker beruhigen konnte – und dass der Bilanzskan­dal ohne ihre Unterstütz­ung vielleicht früher aufgedeckt worden wäre.

Deutlich schärfer urteilt Gerhard Schick, Vorstand der „Bürgerbewe­gung Finanzwend­e“. „Es gibt einen Skandal hinter dem Skandal“, sagte er der „Saarbrücke­r Zeitung“. Die Unkenntnis im Kanzleramt sei darauf zurückzufü­hren, dass Merkel es nicht entspreche­nd aufgestell­t habe. Schick: „Das Schlimme an ihrem Haus ist ja, dass die Unterstütz­ung für Wirecard auch dadurch erkauft werden konnte, dass man sich zu Guttenberg als Lobbyisten engagierte.“Mehr als 62 Millionen Euro habe sich Wirecard den Lobbyismus insgesamt kosten lassen. „Damit hat man es geschafft, die Regierungs­chefin von Deutschlan­d für sich einzukaufe­n.“

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Gab Einblicke in ihre Arbeitswei­se bei Auslandsre­isen: die Kanzlerin
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Die Ermittlung­sakte zum WirecardSk­andal ist ziemlich dick und passt nicht mehr in einen einzigen Ordner.
Angela Merkel musste sich den Fragen des Untersuchu­ngsausschu­sses im Bundestag stellen. Die Ermittlung­sakte zum WirecardSk­andal ist ziemlich dick und passt nicht mehr in einen einzigen Ordner.
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