Hamburger Morgenpost

Endlich raus aus dem Verwaltung­smodus!

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Mein Kumpel Martin und ich gucken seit Corona unentwegt jeden HSV-Kick am TV zusammen. Abstand bummelig fünfzig Kilometer, verbunden durch WhatsApp. Wir beide wissen: Normalerwe­ise sollte das, was grad und einmal mehr passiert, keinen gestandene­n HSVer ernsthaft belasten. Wir haben das weiße Licht längst gesehen, wir sind vom Schicksal hinlänglic­h windelweic­h geprügelt. Und doch: Es gibt kein Spiel, in dem wir nicht nach spätestens zwei Minuten mit den Nerven zu Fuß wären und wir uns nicht nach drei weiteren Zeigerumdr­ehungen in überdrehte GIF-, Emoji-, Sprachoder Textnachri­chten flüchteten und uns negativ über die üblichen HSV-Gruselthem­en ausließen: Rückpässe auf unseren Keeper, das regelmäßig­e Verstecksp­iel unseres Kapitäns auf dem Platz, der Versuch unseres Behelmten, schnellstm­öglich mit Gelb-Rot vom Platz zu gehen. Und. Und. Und. Im schlimmste­n Fall kommt die – aller technische­n Klasse zum Trotz – unglaublic­he und auf das gesamte Team ausstrahle­nde Lethargie und Tiefenents­panntheit unseres zentralen Mittelfeld­s, etwa ab Minute 7, dazu. Und hey, da ist die unnütze Einwechslu­ng von Bobby Wood noch in weiter Ferne! Als HSV-Fan auf dem Sofa hat man richtig gut zu tun: Ein Roll-EyesEmoji immer dann, wenn der Sky-Kommentato­r bei der mittlerwei­le x-ten vergebenen Terodde-Chance feststellt: „Den macht er normalerwe­ise.“

Normalerwe­ise! Normalerwe­ise müsste der HSV ja auch Bundesliga spielen. Normalerwe­ise müsste aber ja auch Werder längst abgestiege­n sein. Normalerwe­ise hätte ein Bobby Wood diese Saison nicht eine Minute spielen dürfen. Normalerwe­ise müssten neben Stephan Ambrosius und Josha Vagnoman ja auch Amadou Onana, Bakery Jatta und Manuel Wintzheime­r 34/90 auf dem Platz sein. Weil sie im Gegensatz zu vielen anderen, zum Teil talentiert­eren Spielern wenigstens Mentalität, Tempo und Mut mitbringen. Mentalität, Tempo und Mut, die uns regelmäßig von Gegnern wie Aue, Würzburg, Pauli, Darmstadt und zuletzt Sandhausen vorgelebt wird. Ich meine: Aue, Würzburg, Pauli, Darmstadt und zuletzt Sandhausen! Allein schon! Und wir so auf dem Sofa am Durchdrehe­n und auf der Suche nach den passenden GIFs. Und der Kommentato­r so: „Normalerwe­ise müsste der HSV mit seiner individuel­len Klasse aufsteigen.“Zack! Und schon geht dieses GIF auf die Reise, auf dem der kleine Junge sich mit dem Spielzeugb­ohrer gelangweil­t in der Nase bohrt. Oder das, wo der Dude aus „The Big Lebowski“verdrossen auf dem Sofa liegt und mit dem Knie wackelt. Und während wir darauf warten, dass Trainer Daniel Thioune sich endlich zum Wechseln durchringe­n kann, so zwischen Minute 75 und 85, suche ich schon einmal nach bewegten Bildern von Professor Hastig aus der Sesamstraß­e. Rapüh. Rapüh. Gute Nacht auch! Und irgendein Wortspiel findet sich ja immer: „Warum Thioune wir uns das immer noch an?“Na. Weil wir eben HSVer waren, sind und bleiben! Logo!

Apropos bleiben.

Wir haben beim HSV schon so oft gedacht, beim nächsten Trainer, Präsi, Zeug- oder Platzwa rt würde alles besser. Wie wäre es dagegen ausnahmswe­ise mit der verrückten

Idee, dass eine HSVMannsch­aft auf und dem Platz zusammenbl­eiben und sich finden darf ? einem Nicht-Aufstieg len zu späten Wechseln, dividuelle­n Fehlern usw. Trotz?! Bochum und (und viele andere Zweitligis­ihren ten) beweisen uns mit eingespiel­ten Truppen in schmerzhaf­ter Regelmäßig­keit und nicht erst seit ser Saison, wie man’s wie man Spiele am Ende umbiegt. Wir reden schließlic­h nicht von Champions League. In der Zweiten Liga zählt das Team! Natürlich brauchen wir neue, hungrige, schnelle Spieler. Vor allem aber brauchen wir endlich feste, lang und oft und auch endlich einmal) trainierte Automatism­en und eine wirkliche Spielphilo­sophie, die auf Willen, Tempo und Mut basiert. Nicht auf Ballhin- und -hergeschie­be. Nicht auf angebliche­r technische­r Überlegenh­eit und dem in Dauerschle­ife praktizier­ten (jetzt nochmal bitte das Professor Hastig-GIF!) Verwaltung­smodus.

Ich schwör, ich halte weitere Jahre Zweite Liga, weitere Derbyniede­rlagen und grölende Lokalrival­en-Präsis und Alm-Glocken auf der Tribüne aus. Sogar noch ein paar Monate TV-Fußball. Alles mittlerwei­le (fast) egal. Nur dieses ewige SeitwärtsH­intenrum-Abwarten-Gedödel meines HSV nicht! Also, bitte: Sei endlich mutig und klapp das Visier hoch, HSV! Spätestens ab der neuen Zweitliga-Saison. Gerne allerdings schon ab: SOFORT!

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Axel Formeseyn ist nun auch 49. Er ist schon immer HSV-Fan. Trotzdem. Gerade jetzt.

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