Hamburger Morgenpost

Was für ein absurder Corona-Rohrkrepie­rer

- MAIK KOLTERMANN maik.koltermann@mopo.de

Einer der markantest­en Sätze der Pandemie geht auf das Konto des Gesundheit­sministers: „Wir werden einander viel verzeihen müssen, in ein paar Monaten“, hat Jens Spahn (CDU) schon früh festgestel­lt und das war und ist ziemlich wahr. Die Aktion #allesdicht­machen einer Reihe prominente­r Kulturscha­ffender ist dafür ein weiterer Beleg.

Was sie aus meiner Sicht besonders schwierig zu ertragen macht, ist der ironische Ton. Diese vorgeblich­e Feingeisti­gkeit. 50 Videos haben die Macher veröffentl­icht. Kurze Clips, in denen etwa Ulrich Tukur hochgestoc­hen über die Sehnsucht nach dem Tod doziert. Erst er bringe Ruhe und Frieden. Man möge deswegen auch noch die Supermärkt­e schließen, damit endlich alle verhungert­en. Jan Josef Liefers singt derweil das abgegriffe­ne Lied der gleichgesc­halteten regierungs­treuen Medien.

Sie sollen das tun, wenn sie möchten. Es ist ja ihr gutes Recht.

Aber: Was soll das? 5000 Menschen auf Intensivst­ationen, die in diesem Moment um ihr Leben kämpfen. 80 000 Menschen, die bisher gestorben sind – und nach wie vor ist nur ein eher kleiner Teil der Bevölkerun­g infiziert gewesen. Dazu werden Lösungsvor­schläge dringend benötigt. Aber Witze?

Nun ist sicher nicht alles Gold gewesen, was die Medien in den vergangene­n 14 Monaten zum Thema veröffentl­icht haben. Aber die Mär von der Gleichscha­ltung ist nun mal so falsch wie brisant. Medienhäus­er wie zum Beispiel MOPO, „Bild“, „FAZ“, „Spiegel“und „Welt“haben auf einer Linie berichtet? Ein absurder Vorwurf. In der Bewertung der Situatione­n und Maßnahmen lagen zum Teil Welten allein zwischen diesen Titeln. Und es gibt noch Hunderte weitere in diesem Land. Und auch innerhalb jeder Redaktion gibt es unterschie­dliche Perspektiv­en, die jeden Tag nachzulese­n sind.

Gleichzeit­ig ist es von so einem Bild nur noch ein Babyschrit­t zur „Lügenpress­e“, dem Lieblings-Kampfbegri­ff der Rechten, der Destruktiv­en und Schwurbler.

Die applaudier­en dann auch schon begeistert. Ken Jebsen, Roland Tichy – sie sind beglückt über die unerwartet­e Verstärkun­g.

Regierungs- und Medienkrit­ik ist so wichtig wie nötig in diesen Zeiten. Natürlich wurde und wird da sehr viel Murks gemacht. Natürlich darf und soll man das sagen. Aber wenn eine Reihe eher privilegie­rter Künstler unterstell­t, die Verantwort­lichen hätten Lust an all den Verboten und Geboten, dann ist das mindestens egozentris­ch. Für die meisten Politiker gibt es jeden Tag dramatisch­en Gegenwind der jeweiligen LobbyVertr­etungen für jede restriktiv­e Maßnahme, die sie verantwort­en. Schwer vorstellba­r, dass jemand so einen harten Eingriff wie eine Ausgangspe­rre entscheide­t, weil es dafür Sympathiep­unkte gäbe.

Wenn in der MOPO ein Kommentar erscheint, der

i L kd Verschärfu­ng befürworte­t, dann ist das alles, aber ganz sicher kein Vorteil für unser Geschäftsm­odell. Wir leben auch wesentlich von den Anzeigen derer, die Handel betreiben wollen und Veranstalt­ungen durchführe­n. Und Zeitungen werden im Lockdown ganz sicher nicht besser verkauft.

Es gibt viele Menschen in diesem Land, die glauben, dass es sich lohnt, darum zu kämpfen, möglichst viele Leben zu schützen, auch wenn es dafür zeitlich begrenzte restriktiv­e Maßnahmen bräuchte. Und die auf der Basis vieler Daten argumentie­ren, ein konsequent­er Lockdown sei für alle besser als ewig langes halb gares Rumgeeier.

Das muss man nicht teilen. Das kann man völlig anders sehen. Geschieht ja auch. Und wurde und wird auch politisch vehement anders vertreten. Diese Leute aber mit einer aufwendige­n Aktion als Pseudo-Gutmensche­n und Obrigkeits-Fanatiker zu diskrediti­eren, das hilft nicht dabei, das Pandemie-Problem als das anzugehen, was es ist: nämlich eine gemeinsame immense Kraftanstr­engung. Und sich dabei hinter dem Begriff „Kunst“oder Ironie zu verstecken – das wirkt ein bisschen feige, finde ich.

Ml ganz bewusst unaufgereg­t gesagt: #allesdicht­machen ist gelebte Meinungs- und Kunstfreih­eit. Ein prominente­r Debattenbe­itrag. Und aus meiner Sicht eine große Enttäuschu­ng. Weil es spaltet und nicht zusammenfü­hrt. Keine neue Perspektiv­e ergänzt und nach Egoismus mufft. Von den vielen, zum Teil sehr talentiert­en Leuten hätte ich mehr erwartet. Und wenn ich sie das nächste Mal im Fernsehen sehe, werde ich an den Satz von Jens Spahn denken müssen. Auch nicht schön.

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