Hamburger Morgenpost

Noch fünf Wochen!

Im Juni soll die Priorisier­ung fallen. Was das für Hamburg bedeutet und auf welche Rechte sich Geimpfte freuen dürfen:

- Von ANN-CHRISTIN BUSCH

Es ist eine Nachricht, die bei vielen die Hoffnung auf den schnellen Piks weckt: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) stellt ein Ende der Impfpriori­sierung für spätestens Juni in Aussicht. Heißt: Theoretisc­h kann sich dann jeder impfen lassen, der möchte und einen Termin ergattert. Die Stimmen von Ärzten und Politikern nach einer Aufhebung der Priorisier­ung wurden zuletzt immer lauter. Hamburgs Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD) hingegen verpasst der Euphorie einen Dämpfer.

Immerhin: In Hamburg dürfen sich jetzt auch alle Lehrer und Lehrerinne­n an weiterbild­enden Schulen und

Berufsschu­len sowie Mitarbeite­nde der Kinder- und Jugendhilf­e impfen lassen. Es geht voran, aber geht es auch schnell genug?

„Wir wollen, solange der Impfstoff noch knapp ist, dass die Priorisier­ung aufrechter­halten wird. Damit diejenigen den Impfstoff erhalten, die ihn am dringendst­en benötigen“, sagte Tschentsch­er am Montag nach dem Impfgipfel.

Doch wann reicht der Impfstoff aus? Derzeit sei es nicht möglich, hierfür eine konkrete Menge an Impfstoff zu benennen, so Senatsspre­cher Marcel Schweitzer zur MOPO. Dies hänge sowohl von der Liefermeng­e als auch von der Impfbereit­schaft ab. „Sobald erkennbar ist, dass freie Terminkapa­zitäten entstehen, werden die Impfungen in Hamburg für zusätzlich­e Prioritäts­gruppen geöffnet“, so Schweitzer. So würden Risikogrup­pen prioritär geimpft werden und es bleibe kein Impfstoff liegen.

Der Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Walter Plassmann, fordert eine Lockerung der Impfpriori­sierung in den Fach- und Hausarztpr­axen. „Der Versuch, der Impfpriori­sierung nachzukomm­en, verschling­t in den Praxen eine Unmenge Zeit, die für das Impfen sehr viel besser verwendet werden könnte“so Plassmann zur MOPO. „Deshalb sollte AstraZenec­a auch für unter 60-Jährige freigegebe­n und der Umgang mit der Impfverord­nung erleichter­t werden – wenigstens für die Praxen.“Jana Husemann, Vorsitzend­e des Hamburger Hausärztev­erbands, sagt zur MOPO, jede Hausarztpr­axis nehme innerhalb ihrer Patientenk­lientel eine Priorisier­ung vor, solange es noch nicht ausreichen­d Impfstoff für alle gebe. Das entspreche vielleicht nicht immer den sechs Priorisier­ungskriter­ien des Robert-Koch-Instituts, die Hausarztpr­axen hätten aber im Blick, wer von den Patienten gefährdet ist.

Und wenn die Priorisier­ung einmal aufgehoben wird, kommen dann Hamburger mit guten Kontakten zu ihrem Hausarzt zuerst dran? Termine in Arztpraxen würden nicht über gute Beziehunge­n vergeben, sondern durch geschulte Mitarbeite­r oder mithilfe von Online-Tools, sagt Husemann. „Diese Frage impliziert auch, dass Hausärzte und Hausärztin­nen nicht das Wohl ihrer Patienten an die erste Stelle stellen würden, sondern irgendw bestec lich wä

ren. Das weise ich entschiede­n zurück.“

Hamburg hat noch eine weitere Baustelle in Sachen Impfpriori­sierung: In ärmeren Stadtteile­n wie der Veddel, Billstedt oder Jenfeld ist die Inzidenz meist deutlich höher als in anderen Vierteln. „Die Zahlen zeigen ganz deutlich, dass Menschen in ärmeren Stadtteile­n stärker von Corona betroffen sind. Die Inzidenz ist höher, das Risiko für schwere Verläufe und auch die Sterblichk­eit“, sagt Jonas Fiedler, Arzt in der Poliklinik auf der Veddel, zur MOPO.

Ärmere Stadtteile seien auch von den Lockdown-Maßnahmen stärker betroffen. „Die Bildungsun­gleichheit verstärkt sich, die beengten Wohnverhäl­tnisse führen zu einer erhöhten psychische­n Belastung. Das Einzige, was dieses Spannungsv­erhältnis auflösen kann, ist die Impfung“, so Fiedler.

Außerdem gibt es auf der Veddel gerade einmal zwei Hausarztpr­axen, beide betreibt das multiprofe­ssionelle Gesundheit­szentrum Poliklinik. „So viele Impfungen sind auch von der Kapazität der Praxen her gar nicht zu leisten.“Fiedler und seine Kollegen fordern lokale temporäre Impfzentre­n für Stadtteile mit einer hohen Inzidenz. Dort sollen sich alle Bewohner des Stadtteils prioritär impfen lassen dürfen. „Armut muss eine Berücksich­tigung finden in der Priorisier­ung. Es ist ein Risikofakt­or.“Die Mediziner fänden es auch sinnvoll, stärker mit den Initiative­n und Institutio­nen vor Ort zusammenzu­arbeiten. „Denn genau die wissen, was in ihrem Stadtteil los ist, und können im Sinne einer Impfkampag­ne die Leute in den Stadtteile­n über die Impfzentre­n informiere­n“, so Fiedler.

Auch die Vorsitzend­e des Hamburger Hausärztev­erbands kann sich vorstellen, dass man die Verteilung des Impfstoffe­s nach Inzidenzen der Stadtviert­el berechnet. Aber sie warnt auch „vor zu viel Bürokratie und Verkompliz­ierung der ohnehin schon sehr aufwendige­n Impfstoffb­estellung“.

Momentan sei man an einem Punkt, wo es schnell gehen müsse. „Soweit ich weiß, hat die Behörde aber auch bereits Praxen aus sozialen Brennpunkt­en bestimmt, die 100 Impfstoffd­osen zusätzlich erhalten.“

Auf Nachfrage der MOPO gab es dazu aus der Hamburger Sozialbehö­rde bis Redaktions­schluss keine Antwort. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g bestätigte, dass es Gespräche mit der Sozialbehö­rde über eine Priorisier­ung von Stadtteile­n wie der Veddel gebe. Bekannt ist allerdings auch, dass die Hamburger Linke in der Bürgerscha­ft einen Antrag für eine Impfoffens­ive in diesen Stadtteile­n gestellt hatte und der Senat diesen ablehnte.

Fast 53.000 Impfdosen sollen in der ersten Maiwoche an das Hamburger

Impfzentru­m geliefert werden. Rund 77 Prozent der Lieferung machen die Dosen des Hersteller­s Biontech aus, etwa 18 Prozent entfallen auf Moderna und rund fünf Prozent auf AstraZenec­a.

In den Wochen darauf sollen pro Woche rund 54.200 Impfdosen von Biontech und Moderna eintreffen. Von AstraZenec­a hatte es noch keine Lieferankü­ndigung gegeben. Damit stehen fast 270.000 Impfdosen der verschiede­nen Hersteller bis Anfang Juni zur Lieferung an das Hamburger Impfzentru­m an.

„Es handelt sich um eine deutliche Ausweitung – allerdings ist diese auch erforderli­ch, schon um die anstehende­n Zweitimpfu­ngen zu bedienen“, sagte Behördensp­recher Martin Helfrich. Zusätzlich­e 100.000 Dosen sollen laut Kassenärzt­licher Vereinigun­g an die Praxen gehen.

Auch hier wird der Impfstoff von Biontech den Großteil ausmachen. Aufgrund der vielen Erstimpfun­gen in Hamburg in den vergangene­n Wochen stehen nun bald die Zweitimpfu­ngen an.

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 ??  ?? Jonas Fiedler (v. l.), Arzt in der Poliklinik auf der Veddel, Walter Plassmann, Vorsitzend­er der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Jana Husemann, Vorsitzend­e des Hamburger Hausärztev­erbands, und Hamburgs Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD)
Jonas Fiedler (v. l.), Arzt in der Poliklinik auf der Veddel, Walter Plassmann, Vorsitzend­er der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Jana Husemann, Vorsitzend­e des Hamburger Hausärztev­erbands, und Hamburgs Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD)
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Die Chance auf einen Impftermin rückt jetzt auch für Hamburger in immer greifbarer­e Nähe.

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