Hamburger Morgenpost

Man muss auch gönnen können

CORONA-GIPFEL Impf-Priorisier­ung fällt. Aber Unklarheit bei Lockerunge­n

- MAIK KOLTERMANN chefredakt­ion@ mopo.de

Wie emotional aufgeheizt wir zurzeit diskutiere­n, das zeigte sich auch, als erstmals die Debatte über „Sonderrech­te“für Geimpfte und Genesene aufkam. Leser schrieben, so eine drohende behördlich­e Einordnung in Geimpfte und Nichtgeimp­fte, das erinnere sie an den Stern im Dritten Reich. Ein grauenvoll falsches Bild. Es sollte wohl anspielen auf Ungerechti­gkeit und Ausgrenzun­g. Das GönnenKönn­en spielte hingegen kaum eine Rolle. Und der Punkt, dass die Beschränku­ng der Grundrecht­e einen guten Grund braucht. Wer vollständi­g geimpft oder genesen ist, steckt ziemlich sicher niemanden mehr an, heißt es vom RKI. Weil sich aber niemand zurückgest­ellt fühlen soll und es auch keine indirekte Impfpflich­t geben soll, müssen alle Erleichter­ungen für Geimpfte offenbar auch für Getestete gelten. Weil Schnelltes­ts aber als unsicherer gelten, als vollständi­g geimpft zu sein, wird dann weniger freigegebe­n. Derzeit im Gespräch für Geimpfte: Beim Einkauf oder beim Friseurbes­uch keine Schnelltes­ts mehr vorzeigen müssen. Da sollten wir mehr gönnen, finde ich als Nichtgeimp­fter. Warum nicht sichere und attraktive Konzerte nur für Geimpfte und Genesene, zum Beispiel? Das brächte eine Perspektiv­e für alle.

BERLIN – Angela Merkel (CDU) fürchtete einen „Anklage-Gipfel“, am Ende sprach sie von einem „Gipfel der Hoffnung“: Das Treffen der Ministerpr­äsidenten mit der Bundeskanz­lerin bringt eine wichtige Neuerung. So soll die bisherige Impf-Priorisier­ung „spätestens im Juni“fallen – und Geimpfte ihre vollen Rechte zurückerha­lten. Wann genau, ist allerdings noch offen.

Die Impfpriori­sierung fällt – aber: „Das heißt nicht, dass dann jeder sofort geimpft werden kann“, sagte Merkel gestern. „Aber dann kann sich jeder um einen Impftermin bemühen, und die werden dann nach Maßgabe der Versorgung auch gegeben“, erklärte sie weiter. Dieser Schritt sei möglich, weil im zweiten Quartal, also bis Ende Juni, insgesamt 80 Millionen Impfdosen zur Verfügung stünden, so Merkel. In vielen Bundesländ­ern sind die Prioritäts­gruppen I und II bereits vollständi­g oder größtentei­ls geimpft und die Gruppe III geöffnet. Letztere umfasst Millionen Menschen, darunter viele mit Berufen wie Kassiereri­n oder Busfahrer. Die Impfreihen­folge war ursprüngli­ch von der Ständigen Impfkommis­sion (STIKO) und dem Ethikrat festgelegt worden.

Vor allem Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hatte die Reihenfolg­e noch vor dem Gipfel verteidigt:

„Dadurch haben wir Leben gerettet. Es war unbedingt richtig, zuerst die besonders Verwundbar­en zu impfen.“Dagegen hatte aber unter anderem CSUChef Markus Söder massiv Druck gemacht: Die Priorisier­ung entwickele sich „zunehmend zu einem Zeithinder­nis“, es brauche mehr Flexibilit­ät. Auch Andreas Gassen, Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, hatte sich für ein Ende der Priorisier­ung ausgesproc­hen, ohne aber ein Datum zu nennen. Mehrere Bundesländ­er wie etwa Berlin hatten die Priorisier­ung ohnehin schon teilweise aufgehoben – vor allem für den umstritten­en Impfstoff von AstraZenec­a.

Weit weniger klar blieb nach dem Gipfel, wie es mit Geimpften und Genesenen weitergeht. Für sie sollen viele Regeln wie Kontaktbes­chränkunge­n oder die Testpflich­t beim Shoppen oder Reisen eigentlich entfallen. Zwar versprach Merkel, nun eine entspreche­nde Verordnung zum Infektions­schutzgese­tz auf den Weg zu bringen, blieb aber genaue Details weitgehend schuldig. Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter sprach in diesem Zusammenha­ng von einer „sorgenvoll­en Diskussion“.

Offenbar blieben in der Bund-Länder-Runde vor allem rechtliche Fragen offen und umstritten. Abschließe­nd geklärt ist bisher nur, wer überhaupt in

die Gruppe der Geimpften und Genesenen fällt: Geimpft im rechtliche­n Sinne sind nur Personen, die – je nach Impfstoff – ein oder zwei Impfungen vor nicht weniger als 14 Tagen erhalten haben. Als genesen gilt, wer „ein mindestens 28 Tage zurücklieg­endes positives PCR-Testergebn­is nachweisen kann“, so Merkel. Das gilt bis zu sechs Monate nach Feststellu­ng der Genesung, so lange kann man nach jetzigem Kenntnisst­and von einem ausreichen­den Immunschut­z ausgehen.

Auch wie sich Genesene oder Geimpfte im Alltag identifizi­eren sollen, ist inzwischen geklärt: mit dem positiven PCR-Test, dem klassische­n Impfauswei­s oder dem digitalen Nachweis in der Corona-App. Diese soll bis Ende Juni zur Verfügung stehen. dann soll nach den Worten der

Kanzlerin auch die entspreche­nde Verordnung durch den Bundestag und Bundesrat verabschie­det worden sein.

Auf die Frage, ob bereits ein normaler Pfingst-Urlaub in Deutschlan­d möglich sein werde, wollte sich Merkel nicht festlegen: „Das hängt von der Inzidenz ab. Es gibt Hoffnung, aber in der Gegenwart sind die Probleme nach wie vor groß.“

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Warten auf den Piks: Geimpfte hoffen bald auf mehr Freiheiten.
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Gewohntes Bild: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt mit Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU, l.) zur Pressekonf­erenz nach dem Impfgipfel.

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