Man muss auch gönnen können
CORONA-GIPFEL Impf-Priorisierung fällt. Aber Unklarheit bei Lockerungen
Wie emotional aufgeheizt wir zurzeit diskutieren, das zeigte sich auch, als erstmals die Debatte über „Sonderrechte“für Geimpfte und Genesene aufkam. Leser schrieben, so eine drohende behördliche Einordnung in Geimpfte und Nichtgeimpfte, das erinnere sie an den Stern im Dritten Reich. Ein grauenvoll falsches Bild. Es sollte wohl anspielen auf Ungerechtigkeit und Ausgrenzung. Das GönnenKönnen spielte hingegen kaum eine Rolle. Und der Punkt, dass die Beschränkung der Grundrechte einen guten Grund braucht. Wer vollständig geimpft oder genesen ist, steckt ziemlich sicher niemanden mehr an, heißt es vom RKI. Weil sich aber niemand zurückgestellt fühlen soll und es auch keine indirekte Impfpflicht geben soll, müssen alle Erleichterungen für Geimpfte offenbar auch für Getestete gelten. Weil Schnelltests aber als unsicherer gelten, als vollständig geimpft zu sein, wird dann weniger freigegeben. Derzeit im Gespräch für Geimpfte: Beim Einkauf oder beim Friseurbesuch keine Schnelltests mehr vorzeigen müssen. Da sollten wir mehr gönnen, finde ich als Nichtgeimpfter. Warum nicht sichere und attraktive Konzerte nur für Geimpfte und Genesene, zum Beispiel? Das brächte eine Perspektive für alle.
BERLIN – Angela Merkel (CDU) fürchtete einen „Anklage-Gipfel“, am Ende sprach sie von einem „Gipfel der Hoffnung“: Das Treffen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin bringt eine wichtige Neuerung. So soll die bisherige Impf-Priorisierung „spätestens im Juni“fallen – und Geimpfte ihre vollen Rechte zurückerhalten. Wann genau, ist allerdings noch offen.
Die Impfpriorisierung fällt – aber: „Das heißt nicht, dass dann jeder sofort geimpft werden kann“, sagte Merkel gestern. „Aber dann kann sich jeder um einen Impftermin bemühen, und die werden dann nach Maßgabe der Versorgung auch gegeben“, erklärte sie weiter. Dieser Schritt sei möglich, weil im zweiten Quartal, also bis Ende Juni, insgesamt 80 Millionen Impfdosen zur Verfügung stünden, so Merkel. In vielen Bundesländern sind die Prioritätsgruppen I und II bereits vollständig oder größtenteils geimpft und die Gruppe III geöffnet. Letztere umfasst Millionen Menschen, darunter viele mit Berufen wie Kassiererin oder Busfahrer. Die Impfreihenfolge war ursprünglich von der Ständigen Impfkommission (STIKO) und dem Ethikrat festgelegt worden.
Vor allem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte die Reihenfolge noch vor dem Gipfel verteidigt:
„Dadurch haben wir Leben gerettet. Es war unbedingt richtig, zuerst die besonders Verwundbaren zu impfen.“Dagegen hatte aber unter anderem CSUChef Markus Söder massiv Druck gemacht: Die Priorisierung entwickele sich „zunehmend zu einem Zeithindernis“, es brauche mehr Flexibilität. Auch Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hatte sich für ein Ende der Priorisierung ausgesprochen, ohne aber ein Datum zu nennen. Mehrere Bundesländer wie etwa Berlin hatten die Priorisierung ohnehin schon teilweise aufgehoben – vor allem für den umstrittenen Impfstoff von AstraZeneca.
Weit weniger klar blieb nach dem Gipfel, wie es mit Geimpften und Genesenen weitergeht. Für sie sollen viele Regeln wie Kontaktbeschränkungen oder die Testpflicht beim Shoppen oder Reisen eigentlich entfallen. Zwar versprach Merkel, nun eine entsprechende Verordnung zum Infektionsschutzgesetz auf den Weg zu bringen, blieb aber genaue Details weitgehend schuldig. Berlins Regierender Bürgermeister sprach in diesem Zusammenhang von einer „sorgenvollen Diskussion“.
Offenbar blieben in der Bund-Länder-Runde vor allem rechtliche Fragen offen und umstritten. Abschließend geklärt ist bisher nur, wer überhaupt in
die Gruppe der Geimpften und Genesenen fällt: Geimpft im rechtlichen Sinne sind nur Personen, die – je nach Impfstoff – ein oder zwei Impfungen vor nicht weniger als 14 Tagen erhalten haben. Als genesen gilt, wer „ein mindestens 28 Tage zurückliegendes positives PCR-Testergebnis nachweisen kann“, so Merkel. Das gilt bis zu sechs Monate nach Feststellung der Genesung, so lange kann man nach jetzigem Kenntnisstand von einem ausreichenden Immunschutz ausgehen.
Auch wie sich Genesene oder Geimpfte im Alltag identifizieren sollen, ist inzwischen geklärt: mit dem positiven PCR-Test, dem klassischen Impfausweis oder dem digitalen Nachweis in der Corona-App. Diese soll bis Ende Juni zur Verfügung stehen. dann soll nach den Worten der
Kanzlerin auch die entsprechende Verordnung durch den Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden sein.
Auf die Frage, ob bereits ein normaler Pfingst-Urlaub in Deutschland möglich sein werde, wollte sich Merkel nicht festlegen: „Das hängt von der Inzidenz ab. Es gibt Hoffnung, aber in der Gegenwart sind die Probleme nach wie vor groß.“