Hamburger Morgenpost

St. Paulis neue Strahlkraf­t

ENTWICKLUN­G Kiezklub glänzt auf dem Rasen. „Augenhöhe“mit den Topteams, attraktive Adresse

- NILS WEBER nils.weber@mopo.de

Der FC St. Pauli im Jahr 2021. Das F steht für Fußball, richtig guten Fußball. Nach einer jahrelange­n Durststrec­ke sorgt der Kiezklub wieder auf dem Rasen für Furore und Freude. Die Strahlkraf­t des Vereins geht seit einigen Monaten zu einem erfreulich hohen Maße vom Spielfeld aus. Das stärkt auch die Anziehungs­kraft.

Hätte man in den vergangene­n Jahren eine Umfrage unter Deutschlan­ds FußballFan­s gemacht, was sie mit dem FC St. Pauli verbinden, dann hätte man jede Menge Antworten bekommen. Soziales Engagement etwa, alternativ­e Fußballkul­tur, Kampf gegen Rassismus oder die besondere Atmosphäre am Millerntor wären sicherlich mit am häufigsten genannt worden, ganz sicher aber nicht: guter Fußball, erfolgreic­her Fußball, geschweige denn schöner.

Und heute? Platz eins in der Rückrunden­tabelle der Zweiten Liga, 31 Punkte seit Halbzeit der Saison (und damit doppelt so vielewiede­rHSVin dieser Zeitspanne), fünf Siege aus den letzten sechs Spielen und mit insgesamt 50 Saisontore­n schon nach 31. Spieltagen so viele Treffer auf dem Konto wie seit der Saison 2011/2012 nicht mehr.

Das spricht nicht nur Bände, es spricht sich auch herum. St. Pauli werde „mittlerwei­le anders wahrgenomm­en“, sagt Trainer Timo Schultz, und zwar „nicht nur von den gegnerisch­en Trainern und der Journaille, sondern auch vom Fußballumf­eld“.

Sein Verein steht für leidenscha­ftlichen und mutigen Angriffsfu­ßball, mit viel Tempo, vielen Abschlüsse­n, vielen Toren. Spiele der Kiezkicker sind alles – außer langweilig.

Der jüngste 2:1-Sieg gegen den Tabellenzw­eiten Greuther Fürth, dem mit Spitzenrei­ter Bochum spielstärk­sten Zweitligat­eam dieser Saison, sei nicht nur aufgrund des Resultates, sondern auch der Art und Weise ein Ausweis der enormen Entwicklun­g der Kiezkicker in den vergangene­n Monaten, betont Schultz. „Fußballeri­sch sind wir mittlerwei­le auf Augenhöhe.“Mannschaft­en wie Fürth ebenbürtig zu sein, aber auch Gegner aus der unteren Tabellenre­gion wie Würzburg oder Braunschwe­ig zu dominieren, sei „bemerkensw­ert“, findet der Coach. Sein Team habe „riesige Schritte“gemacht. „Das sieht jeder, egal, ob er wie ich als Trainer im Stadion sitzt oder vor dem Fernseher.“

Ja, dieser FC St. Pauli ist auch für den neutralen Fußballfan wieder ein echter Hingucker – nicht mehr nur für jene, die Abstiegska­mpfDrama lieben. Für die Anhänger der Braun-Weißen wiederum ist der Höhenflug ihrer Mannschaft etwas Balsam auf die Fan-Seele, die unter dem Millerntor-Entzug leidet.

Darüber hinaus erhöht der attraktive Spielstil, mit dem die Kiezkicker unter der Regie von Schultz nach erhebliche­n Startschwi­erigkeiten und ausbleiben­den Resultaten in den letzten Monaten so erfolgreic­h agieren und den sie in den besten Momenten regelrecht zelebriere­n, auch die Attraktivi­tät des Kiezklubs als Adresse für qualifizie­rte, ambitionie­rte, talentiert­e Spieler.

DerFCSt.Pauliseige­nerell „mit seiner Strahlkraf­t in einer Stadt wie Hamburg für sehr, sehr viele Spieler interessan­t“, weiß Schultz, aber der aktuelle Erfolg, die Spielphilo­sophie und augenfälli­ge Weiterentw­icklung von Einzelspie­lern seien „Argumente“in Gesprächen mit potenziell­en Neuverpfli­chtungen, berichtet er.

Ähnliche Töne hatte Sportchef Andreas Bornemann unlängst in einem Gespräch mit der MOPO angeschlag­en, in dem es in erster Linie um Leih-Geschäfte mit hochkaräti­gen Kickern wie Omar Marmoush oder Rodrigo Zalazar ging. „Ich bin überzeugt, dass wir eine gute Adresse für Leihspiele­r geworden sind, aber auch darüber hinaus für Spieler, die sich weiterentw­ickeln wollen“, so Bornemann.

In Zeiten der Pandemie, in denen der Kiezklub seinen aktuellen und potenziell­en Spielern kein Gesamterle­bnis Millerntor mit Heimspiele­n vor 30.000 Zuschauern als Argument für einen Verbleib oder Wechsel bieten kann, ist es umso wichtiger, dass die Anziehungs­kraft nicht von den Rängen ausgeht, sondern vom Rasen.DerFC

St. Pauli, bei dem soziales und politische­s Engagement weiterhin einen enorm hohen Stellenwer­t haben, überzeugt auch wieder als das, was er im Namen trägt: als Fußball-Club.

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Spaß-Fraktion: Die Leihspiele­r Rodrigo Zalazar (l.) und Omar Marmoush machen richtig Laune – und sie machen die Kiezkicker besser.
Hingucker: Rechtsvert­eidiger Luca Zander glänzte in den letzten Wochen gleich dreimal als Torschütze, erzielte beim 2:1 gegen Fürth die Führung. Spaß-Fraktion: Die Leihspiele­r Rodrigo Zalazar (l.) und Omar Marmoush machen richtig Laune – und sie machen die Kiezkicker besser.

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