An Gier krepiert
Das Geschacher um immer mehr Ligen, Turniere, Teilnehmer, Geld. Eine Abrechnung
Wem gehört der Fußball? Eine vermeintlich einfache Frage, die aber gerade zur Zerreißprobe für die beliebteste Sportart der Welt wird. Mächtige, nimmersatte Kräfte wollen sie endgültig zu ihren Gunsten klären – doch sie haben die Rechnung ohne die Fans gemacht, ohne die der Fußball nichts wäre. Es regt sich Widerstand, der Hoffnung macht.
Als der FC St. Pauli Mitte April in einem offenen Brief den DFB dazu aufforderte, gegen die geplante Reform der Champions League zu stimmen, ahnte auch der stets um soziale (Fußball-) Gerechtigkeit kämpfende Kiezklub nicht, dass zwölf der bekanntesten Vereine der Welt im Hinterstübchen parallel dazu einen teuflischen Plan ausheckten: die Super League!
Super wäre die aus finanzieller Sicht für die abtrünnigen Klubs gewesen, von denen viele wie Real Madrid hochverschuldet sind: garantierte Teilnahme, insgesamt 3,5 Milliarden Euro Startkapital, keine Abgaben an die UEFA. Ein feuchter Traum für jeden Finanzvorstand – wenn er die Moral mal beiseitelässt, aber das sollte ja gelernt sein.
„Wir wollen den Fußball retten“, behauptete Real-Präsident und Super-League-Initiator Florentino Pérez auch noch frech. Das Lachen über die Lüge war in ganz Europa zu vernehmen. Doch es blieb nicht beim bloßen Kopfschütteln. In England gingen Fans spontan auf die Straße, um gegen die irrwitzige Liga der Super-Reichen zu protestieren. Die Bosse in Liverpool, Manchester und London waren offenbar völlig überrascht davon, dass es nach über einem Jahr der Geisterspiele noch Anhänger gibt, die nicht einfach alles mit sich machen lassen. Sogar Spieler und Trainer wie Jürgen Klopp wurden völlig überrumpelt und äußerten sich kritisch.
Panisch ruderten die sechs Super-LeagueKlubs von der Insel zurück, entschuldigten sich kleinlaut, die Liga der außergewöhnlich dreisten Gentlemen war (fürs Erste) Geschichte. Ein Sieg der Fans!
Doch damit ist natürlich längst noch nicht alles gut. Die UEFA, die sich in der Folge unverschämterweise als Siegerin und Retterin des Fußballs aufspielte, hat die Vereine mit ihrer unendlichen Gier ja erst auf solch abstruse Ideen gebracht. Bestes Beispiel ist besagte Reform der Champions League, die zumindest finanziell die gleichen Ziele wie die Super League verfolgt. Sie wurde entgegen allen berechtigten Bedenken natürlich gnadenlos durchgedrückt.
Das heißt aber noch nicht, dass die Königsklasse ab 2024 auch dermaßen aufgebläht durchgeführt wird. Denn im Gespräch mit Freunden und Kollegen, aber auch mit vielen Vereinsoffiziellen, Trainern und Spielern ist immer wieder, immer mehr und immer klarer rauszuhören: ES REICHT JETZT!
Wer guckt sich denn noch donnerstags um 21 Uhr ein Europa-League-Gruppenspiel von Hoffenheim an? Wer den Freitags-Bundesliga-Kracher Mainz gegen Augsburg? Ist die Champions League mit den immer gleichen Teams ab dem Achtelfinale noch sehenswert? Und welche Bezahl-Abos braucht man für all das überhaupt? Sky? DAZN? Amazon? Telekom?
Dann ist da ja noch das einstige LieblingsKind der Deutschen: die Nationalmannschaft. Viel weiter weg vom Kern des Sports kann man sich ja kaum mehr entfernen. Länderzum spiele sind für viele kein Grund mehr Einschalten. So einen sportlichen und vor allem moralischen Absturz muss man wenige Jahre nach dem WM-Triumph 2014 erst mal hinlegen. Chapeau, PR-Maschine DFB!
Und wer hat noch Lust auf die Nachhol-EM in diesem Sommer, die entgegen allen Pandein mie-Bedenken in elf verschiedenen Städten ganz Europa stattfinden wird, natürlich mit Tausenden Fans in den Stadien? Die veranstaltende (und kassierende) UEFA hätte zuvor kein größeres Eigentor schießen können als die Gründung der Nations League, deren Regeln kein Mensch versteht und die sportlich irrelevant ist. Ein klareres Zeichen, dass es ausschließlich um Gewinnmaximierung geht, hätte man nicht aussenden können. Wobei: Auch der neue dritte Europapokal, die „UEFA Europa Conference League“(Wussten Sie noch nicht? Kommt nächste Saison!), dient da als exzellentes Beispiel. Wenn der Durchschnitts-Fan dann noch weiß, dass die FIFA trotz all der Menschenrechtsverletzungen, toten Gastarbeiter und internationalen Proteste (sogar vom braven DFB!) die WM im Winter 2022 in der katarischen Wüste eiskalt durchziehen wird, wird er doch wahrscheinlich sagen: Könnt ihr sehr gerne alles so machen, aber dann halt ohne mich! Ich gehe lieber zu meinem Amateurverein um die Ecke. Für die größenwahnsinnigen Fußball-Macher scheint es schlichtweg undenkbar zu sein, dass ihnen ihre vermeintlichen Premiumprodukte vom Konsumenten nicht mehr kommentarlos aus den Händen gerissen werden. Sie werden sich wundern, denn dieser Prozess ist längst im Gange.
Ob die Deutsche Fußball-Liga (DFL) mit ihren 36 Bundesliga-Klubs das alles schon so genau verstanden hat, bleibt eine spannende Frage für die Zukunft des Profi-Fußballs in Deutschland. Wird nach den furchtbar tristen Geisterspielen alles so wie vorher? Oder haben die Fans die erzwungene Distanz dazu genutzt, sich mal ein paar Gedanken darüber zu machen, ob „ihr“Klub auch wirklich alles richtig macht und man ihm einfach weiter bedingungslos folgen sollte, koste es, was es wolle? Dass Dauer-Meister Bayern München den 33-jährigen Trainer des einzigen Verfolgers RB Leipzig für bis zu 20 Millionen Euro Ablöse aus seinem Vertrag herauskauft, ist jedenfalls kein Zeichen dafür, dass sich in den Köpfen der Macher etwas geändert hat oder ändern wird. Die Fans aber werden auch das genau registriert haben. Der Kampf um den Fußball, er ist im vollen Gange. Ausgang offen.