Hamburger Morgenpost

Tische raus!

... der Regen wird wärmer! Inzidenz sinkt auf Oktober-Wert +++ Senat stellt Gastro-Lockerunge­n zu Pfingsten in Aussicht +++ Wirte sauer über das Hin und Her +++ Wann die Sonne endlich zurückkehr­t:

- Von SINA RIEBE und NINA GESSNER

In immer mehr Bundesländ­ern wird gelockert. Die Inzidenzen sinken. Einzelhand­el und Gastronomi­e öffnen wieder. Nur Hamburg fährt einen Sonderweg – und ist mit Öffnungssc­hritten vorsichtig. Nach Kritik an der Zaghaftigk­eit des Senats will Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD) nun wohl einlenken.

Wie die MOPO aus Rathauskre­isen erfuhr, könnte es in einem zweiten Lockerungs­schritt bereits zu Pfingsten Öffnungen für die Außengastr­onomie in Hamburg geben. Das wäre ein klares Umdenken: Laut des in der vergangene­n Woche vom Senat vorgestell­ten Stufenplan­s sollte die Außengastr­onomie nämlich frühestens in vier Wochen öffnen.

Die CDU-Fraktion fordert seit Tagen eine schnellere Öffnung. Es gebe keinen Grund mehr, die Gastronomi­e weitere vier Wochen geschlosse­n zu halten und somit weitere Arbeitsplä­tze zu gefährden, meint der CDU-Bürgerscha­ftsfraktio­nschef Dennis Thering.

Mit der „verschlepp­ten Öffnung“schlage Hamburg einen Sonderweg ein. Nach dem bundesweit beschlosse­nen Öffnungspl­an könne die Gastronomi­e früher öffnen, nur in Hamburg nicht, kritisiert Thering. „Einzelhand­el und Gastronomi­e, gerade die zwei von der Krise besonders gebeutelte­n Branchen, sollen nicht nach dem bundesweit­en Stufenplan, den Peter Tschentsch­er selber mit beschlosse­n hat, in Hamburg geöffnet werden.“

Ein Sprecher des Senats verteidigt­e das Vorgehen: „Wie angekündig­t wird der Senat am kommenden Dienstag die Details des zweiten Öffnungssc­hrittes

– nach den Beratungen im Senat – mitteilen.“Tatsächlic­h hatte Innensenat­or Andy Grote (SPD) bereits nach der letzten Senatssitz­ung klargestel­lt, dass der rot-grüne Lockerungs­plan „nicht in Stein gemeißelt“sei und bei entspreche­nd positiver Entwicklun­g des Infektions­geschehens angepasst werden könne.

Auch Dirk Kienscherf, Vorsitzend­er der SPD-Bürgerscha­ftsfraktio­n, erklärt das Umlenken: „Die Entwicklun­g der Infektions­lage in den letzten Tagen ist sehr erfreulich. Wie schon in der vergangene­n Woche angekündig­t wird der Senat daher am Dienstag weitere Öffnungssc­hritte konkretisi­eren. Die Öffnung des Einzelhand­els ab Pfingstsam­stag und auch die Perspektiv­en für die Außengastr­onomie werden dabei ebenfalls Thema sein. Wichtig bleibt, dass wir schrittwei­se und verantwort­ungsvoll vorgehen.“

Und Dominik Lorenzen, Vorsitzend­er der Grünen-Bürgerscha­ftsfraktio­n, erklärte: „Wir alle sehnen die Öffnung der Hamburger Außengastr­onomie herbei. Gleichzeit­ig müssen wir für die Zukunft einen Jojo-Effekt unbedingt vermeiden.“

Für Hamburgs Gastronome­n ist die Öffnung ihrer Lokale zwar auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Doch der Schlingerk­urs des Senats sorgt bei vielen für Empörung.

„Das ist viel zu kurzfristi­g!“, schimpft Holger Völsch, Geschäftsf­ührer des Restaurant­s „Trude“in Barmbek, das seit November geschlosse­n ist. „Wir müssen ja erst mal die Ware besorgen“,

so Völsch. Und das könne dauern. Schließlic­h hätten alle Lebensmitt­elproduzen­ten die Produktion herunterge­fahren. Brauereien hätten seit Monaten kein Fassbier mehr gebraut. „Das dauert mindestens zwei bis drei Wochen, bis alles wieder hochgefahr­en ist.“

Völsch hat die Nachricht über die bevorstehe­nde Öffnung wie aus heiterem Himmel erwischt. „Wir hatten hier einen Wasserrohr­bruch und haben uns mit der Sanierung Zeit gelassen. Wenn wir gewusst hätten, dass es bald wieder losgeht, hätten wir uns mehr beeilt.“

Auch der Vizepräsid­ent des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga), Niklaus Kaiser von Rosenburg, kritisiert die Öffnung im Hauruck-Verfahren: „Wir brauchen einen klaren Stufenplan: Wann wird die Außengastr­onomie geöffnet? Wann die Innengastr­onomie? Und wann ist touristisc­hes Reisen wieder erlaubt?“, so Kaiser von Rosenburg. Alles andere sei ein „Herumgeeie­r“. Der Senat habe sich „superunpro­fessionell verhalten“.

Der Dehoga-Chef will Klarheit für seine Mitglieder. Schließlic­h müssten nicht nur Lieferkett­en wieder in Gang gebracht, sondern auch Dienstplän­e geschriebe­n werden. „Da hängen Menschen dran!“, mahnt Kaiser von Rosenburg.

Nach Meinung des Dehoga-Chefs wird die Öffnung in den Nachbarbun­desländern Schleswig-Holstein und Niedersach­sen kompetent umgesetzt. Hamburg hinke hinterher. Obwohl die Inzidenz unter hundert liegt, die Notbremse also außer Kraft gesetzt ist, passierte hier zunächst nichts. Kaiser von Rosenburg hat eine Vermutung, warum sich nun doch etwas bewegt. Erst am vergangene­n Dienstag waren die Dehoga-Mitglieder schriftlic­h über eine bevorstehe­nde Klage des Verbands gegen die Stadt informiert worden. „Es ist wohl kein Zufall, dass ich nur einen Tag später informell über die mögliche Öffnung nächste Woche informiert worden bin“, mutmaßt Kaiser von Rosenburg.

Der Direktor des Hotels „Baseler Hof“macht sich Sorgen um die gesamte Branche. „Dieses unklare Verhalten des Senats bedeutet für uns einen enormen wirtschaft­lichen Schaden. Es kostet uns Geld. Es kostet uns Mitarbeite­r, die sich lieber einen Job im Umland suchen.“

Auch „Trude“-Betreiber Völsch befürchtet Einbußen trotz der Öffnung. „Wir müssen erst mal die Details abwarten. Wenn die Menschen nur mit Test in die Lokale dürfen, kommen sie nicht.“Auch die Maskenpfli­cht könnte viele davon abhalten, ins Lokal zu gehen. Völsch plant daher, den Lieferdien­st beizubehal­ten. „Ob wir so Geld verdienen, steht in den Sternen.“

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 ??  ?? Ioannis Angelidis (40) vom „Nostalgia“in Ottensen hat schon mal zur Probe aufgebaut
Ioannis Angelidis (40) vom „Nostalgia“in Ottensen hat schon mal zur Probe aufgebaut
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Trude-Chef Holger Völsch kritisiert: „Viel zu kurzfristi­g!“
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Schon offen: In der Modellregi­on Eckernförd­e/ Schlei herrscht wie hier in Kappeln seit fast drei Wochen wieder Betrieb.
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Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er erwägt Öffnungen zu Pfingsten.

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