DER MORD AN HELGA (22)
Jagd auf den Täter vom Schanzenpark dauerte 17 Jahre.
Es war eine fröhliche, durchtanzte Nacht auf dem Kiez. Am Sonnabend, dem 8. März 1986, zog die englische Austausch-Studentin Helga Roberts zusammen mit Kollegen los. Im Club „Große Freiheit 36“tanzte die ausgelassene Gruppe zur Livemusik der Gruppe Queen Yahna. Erst am frühen Sonntagmorgen machte sich die 22-Jährige auf den Heimweg – und der führte am Sternschanzenpark vorbei. Dort traf sie auf ihren Mörder.
Die junge Frau hatte sich auf St. Pauli von ihren Freunden getrennt, war LandungsbrückenindieU3gestiegenund bis zur Haltestelle Sternschanze gefahren. Um 6.29 Uhr verließ sie den Bahnhof. Es herrschte dichtes Schneetreiben, als die junge Frau auf dem einsamen Weg am Schanzenpark entlang der Bahnstrecke ging. Sie wollte möglichst schnell nach Hause. Ihre Wohnung war an der nahen Rentzelstraße, unweit des Fernsehturms. Doch dort kam die 22-Jährige nie an. In
Höhe der Kita im ehemaligen „Norweger-Heim“(heute das Kulturhaus „Schrødingers“) wurde sie von einem Mann angegriffen.
Helga Roberts wehrte sich verzweifelt, kratzte, biss und schlug den Angreifer. Doch der war stärker und schleifte sie in den Kellereingang des Holzhauses. Dort riss er ihr die Kleider vom Leib, fesselte sie mit einem Schal und einer Krawatte und vergewaltigt sie. Schließlich zerrte er die 22-Jährige durch ein Fenster in den Waschraum des Hauses und stranguliert sie mit einem Halstuch mit Leopardenmuster bis zur Bewusstlosigkeit. Dann flüchteteer.
Es war 7.11 Uhr, als die Alarmanlage losging. Alarmierte Polizisten fanden das leblose Opfer im Waschraum. Der Notarzt der Feuerwehr konnte Helga Roberts zunächst wiederbeleben. Doch 23 Stunden später starb sie im Krankenhaus St. Georg.
Die ganze Stadt nahm Anteil an Helga Roberts’ Schicksal. Die Britin war aus Cambridge an die Elbe gekommen und unterrichtete wöchentlich zwölf Stunden Englisch am Helene-LangeGymnasium an der Bogenstraße (Harvestehude). Im Sommer wollte die angehende Lehrerin zurück nach England.
Einen Tag nach dem Mord zogen 600 Frauen in einem spontanen Fackelzug zum Tatort und weiter in die Schanze. Die Frauen skandierten: „Aus Trauer wird Hass. Aus Hass wird Wut. Zerschlagen wir die Männerbrut.“
Die Wut traf dann am Schulterblatt mehrere angetrunkene Männer, die aus
Kneipen kamen und den Fackelzug neugierig betrachteten. Der 22-jährige arbeitslose Maurer Dirk G. damals zur MOPO: „Ich hatte ,Bravo‘ gerufen, dann stürzten sich sechs Frauen auf mich. Ich rannte wie noch nie in meinem Leben.“Sein Kumpel Peter M. (22) war nicht schnell genug. Er kam mit Nasenbeinbruch, Prellungen und weiteren Verletzungen in eine Klinik.
Die Mordkommission versuchte alles, den Mörder zu fassen, die Ermittler wandten sich mehrfach an die Öffentlichkeit, doch niemand konnte Hinweise auf einen möglichen Täter geben. Erst 17 Jahre später gelang es, einen Verdächtigen zu ermitteln.
Die Spurensicherung hatte
1986 am Tatort und an der Leiche wichtige Spuren sichern können. So wurden Hautpartikel unter den Fingernägeln der Ermordeten entdeckt. 2003 gab es bei einem DNA-Routine-Abgleich ungelöster Fälle durch das BKA einen Treffer. Der führte zu dem 39-jährigen Uwe H. Der Mann saß als psychisch kranker und gefährlicher Rechtsbrecher seit 1998 im geschlossenen Haus 18 der Klinik Ochsenzoll. Er war unter anderem wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden.
Hamburger Ermittler suchten den Mann in der Klinik auf, seine Hände zitterten, als er mit dem Mordvorwurf konfrontiert wurde. Doch er stritt alles ab.
2005 kam es zum Prozess gegen Uwe H. Er schwieg zu den Vorwürfen, wollte sich an den Tattag nicht erinnern können. Ein Gutachter bescheinigte dem Angeklagten schwere sexuelle Störungen und eine „unterdurchschnittliche Intelligenz“. Dem Psychiater gegenüber hatte Uwe H. eingeräumt, Fantasien gehabt zu haben, bei denen er Menschen vergewaltigt und ermordet. Zudem hatte er dem Gutachter gegenüber erklärt, er sei im März 1986 frustriert und wütend gewesen, weil Familienangehörige ihn als „Schwachkopf“und „Spasti“beschimpft hätten. Er sei daraufhin im Sternschanzenpark „herumgestreunt“.
Aufgrund des Gutachtens erkannten die Richter auf eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit. Das Urteil fiel am 13. Dezember 2005: achteinhalb Jahre Haft, zusätzlich ordneten die Richter die weitere Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie auf unbestimmte Zeit an. Der Vorsitzende Richter Claus Rabe stellte fest: „Der Angeklagte ist eine Gefahr für die Allgemeinheit.“Uwe H. (57) befindet sich bis heute in der geschlossenen Abteilung der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll.
Während des Verfahrens kam ein grauhaariger Mann an jedem Verhandlungstag ins Gericht. Es war Geoffrey Roberts, der Vater des Opfers. Nach dem Urteil sagte er: „Jetzt hat Helga endlich Gerechtigkeit erhalten.“19 Jahre nach ihrem Tod im Schanzenpark. Nächsten Samstag: Der Amokläufer von Dulsberg