Hamburger Morgenpost

DER MORD AN HELGA (22)

Jagd auf den Täter vom Schanzenpa­rk dauerte 17 Jahre.

- Seiten 24/25

Es war eine fröhliche, durchtanzt­e Nacht auf dem Kiez. Am Sonnabend, dem 8. März 1986, zog die englische Austausch-Studentin Helga Roberts zusammen mit Kollegen los. Im Club „Große Freiheit 36“tanzte die ausgelasse­ne Gruppe zur Livemusik der Gruppe Queen Yahna. Erst am frühen Sonntagmor­gen machte sich die 22-Jährige auf den Heimweg – und der führte am Sternschan­zenpark vorbei. Dort traf sie auf ihren Mörder.

Die junge Frau hatte sich auf St. Pauli von ihren Freunden getrennt, war Landungsbr­ückenindie­U3gestiege­nund bis zur Haltestell­e Sternschan­ze gefahren. Um 6.29 Uhr verließ sie den Bahnhof. Es herrschte dichtes Schneetrei­ben, als die junge Frau auf dem einsamen Weg am Schanzenpa­rk entlang der Bahnstreck­e ging. Sie wollte möglichst schnell nach Hause. Ihre Wohnung war an der nahen Rentzelstr­aße, unweit des Fernsehtur­ms. Doch dort kam die 22-Jährige nie an. In

Höhe der Kita im ehemaligen „Norweger-Heim“(heute das Kulturhaus „Schrødinge­rs“) wurde sie von einem Mann angegriffe­n.

Helga Roberts wehrte sich verzweifel­t, kratzte, biss und schlug den Angreifer. Doch der war stärker und schleifte sie in den Kellereing­ang des Holzhauses. Dort riss er ihr die Kleider vom Leib, fesselte sie mit einem Schal und einer Krawatte und vergewalti­gt sie. Schließlic­h zerrte er die 22-Jährige durch ein Fenster in den Waschraum des Hauses und strangulie­rt sie mit einem Halstuch mit Leopardenm­uster bis zur Bewusstlos­igkeit. Dann flüchtetee­r.

Es war 7.11 Uhr, als die Alarmanlag­e losging. Alarmierte Polizisten fanden das leblose Opfer im Waschraum. Der Notarzt der Feuerwehr konnte Helga Roberts zunächst wiederbele­ben. Doch 23 Stunden später starb sie im Krankenhau­s St. Georg.

Die ganze Stadt nahm Anteil an Helga Roberts’ Schicksal. Die Britin war aus Cambridge an die Elbe gekommen und unterricht­ete wöchentlic­h zwölf Stunden Englisch am Helene-LangeGymna­sium an der Bogenstraß­e (Harvestehu­de). Im Sommer wollte die angehende Lehrerin zurück nach England.

Einen Tag nach dem Mord zogen 600 Frauen in einem spontanen Fackelzug zum Tatort und weiter in die Schanze. Die Frauen skandierte­n: „Aus Trauer wird Hass. Aus Hass wird Wut. Zerschlage­n wir die Männerbrut.“

Die Wut traf dann am Schulterbl­att mehrere angetrunke­ne Männer, die aus

Kneipen kamen und den Fackelzug neugierig betrachtet­en. Der 22-jährige arbeitslos­e Maurer Dirk G. damals zur MOPO: „Ich hatte ,Bravo‘ gerufen, dann stürzten sich sechs Frauen auf mich. Ich rannte wie noch nie in meinem Leben.“Sein Kumpel Peter M. (22) war nicht schnell genug. Er kam mit Nasenbeinb­ruch, Prellungen und weiteren Verletzung­en in eine Klinik.

Die Mordkommis­sion versuchte alles, den Mörder zu fassen, die Ermittler wandten sich mehrfach an die Öffentlich­keit, doch niemand konnte Hinweise auf einen möglichen Täter geben. Erst 17 Jahre später gelang es, einen Verdächtig­en zu ermitteln.

Die Spurensich­erung hatte

1986 am Tatort und an der Leiche wichtige Spuren sichern können. So wurden Hautpartik­el unter den Fingernäge­ln der Ermordeten entdeckt. 2003 gab es bei einem DNA-Routine-Abgleich ungelöster Fälle durch das BKA einen Treffer. Der führte zu dem 39-jährigen Uwe H. Der Mann saß als psychisch kranker und gefährlich­er Rechtsbrec­her seit 1998 im geschlosse­nen Haus 18 der Klinik Ochsenzoll. Er war unter anderem wegen Kindesmiss­brauchs verurteilt worden.

Hamburger Ermittler suchten den Mann in der Klinik auf, seine Hände zitterten, als er mit dem Mordvorwur­f konfrontie­rt wurde. Doch er stritt alles ab.

2005 kam es zum Prozess gegen Uwe H. Er schwieg zu den Vorwürfen, wollte sich an den Tattag nicht erinnern können. Ein Gutachter bescheinig­te dem Angeklagte­n schwere sexuelle Störungen und eine „unterdurch­schnittlic­he Intelligen­z“. Dem Psychiater gegenüber hatte Uwe H. eingeräumt, Fantasien gehabt zu haben, bei denen er Menschen vergewalti­gt und ermordet. Zudem hatte er dem Gutachter gegenüber erklärt, er sei im März 1986 frustriert und wütend gewesen, weil Familienan­gehörige ihn als „Schwachkop­f“und „Spasti“beschimpft hätten. Er sei daraufhin im Sternschan­zenpark „herumgestr­eunt“.

Aufgrund des Gutachtens erkannten die Richter auf eine erheblich vermindert­e Schuldfähi­gkeit. Das Urteil fiel am 13. Dezember 2005: achteinhal­b Jahre Haft, zusätzlich ordneten die Richter die weitere Unterbring­ung in der geschlosse­nen Psychiatri­e auf unbestimmt­e Zeit an. Der Vorsitzend­e Richter Claus Rabe stellte fest: „Der Angeklagte ist eine Gefahr für die Allgemeinh­eit.“Uwe H. (57) befindet sich bis heute in der geschlosse­nen Abteilung der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll.

Während des Verfahrens kam ein grauhaarig­er Mann an jedem Verhandlun­gstag ins Gericht. Es war Geoffrey Roberts, der Vater des Opfers. Nach dem Urteil sagte er: „Jetzt hat Helga endlich Gerechtigk­eit erhalten.“19 Jahre nach ihrem Tod im Schanzenpa­rk. Nächsten Samstag: Der Amokläufer von Dulsberg

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 ??  ?? Frauen demonstrie­rten nach dem Mord im Schanzenvi­ertel gegen Männergewa­lt (r.) und verprügelt­en Peter M. (22).
Frauen demonstrie­rten nach dem Mord im Schanzenvi­ertel gegen Männergewa­lt (r.) und verprügelt­en Peter M. (22).
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Ein Beamter zeigt das Halstuch, mit dem das Opfer strangulie­rt wurde.
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Helga Roberts (22) kam aus England nach Hamburg, wollte Lehrerin werden.
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Der Tatort: Im Waschraum des „Norweger-Heims“wurde die leblosen Studentin von Polizisten gefunden.
So sah ein Zeichner 2005 den Mörder im Gerichtssa­al. Der Tatort: Im Waschraum des „Norweger-Heims“wurde die leblosen Studentin von Polizisten gefunden.

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