Hamburger Morgenpost

Ein kleines Stück Italien

LA DOLCE VITA Wo Michel Ruge Espresso-Durst und Fernweh stillt

-

Cremig glänzend rollt das Lebenselix­ier aus der Espressoma­schine. Antonio hat eine neue Mischung aufgelegt. „Das ist sie. Genau so wollte ich ihn haben“, sagt er und reicht mir eine weiße Tasse. Augenblick­lich erreicht der aufsteigen­de Duft mein limbisches System, Endorphine fluten mein Blut und alles in mir verlangt nach dem ersten Schluck. „Wobei man ihn nicht trinken muss“, sagt Antonio und zwinkert seinem Geschäftsp­artner Gerd Schaft zu. Der kam eines Tages in Antonios Eis-Café am Eppendorfe­r Weg, bestellte einen Espresso, zahlte und … „verließ den Laden, ohne ihn zu trinken“, erinnert sich Antonio.

Nachdem sich diese merkwürdig­e Schauspiel mehrfach wiederholt­e, fragte Antonio den unbekannte­n Gast schließlic­h, ob ihm sein Kaffee nicht schmeckt. Der antwortete: „Das weiß ich nicht, denn ich mag keinen Espresso trinken. Nur riechen. Und der riecht fantastisc­h.“Der Beginn einer bis heute anhaltende­n Freundscha­ft und der Geschichte eines ganz besonderen Cafés in Hamburg – dem „Café Favorita“. Doch der Reihe nach.

Antonio und ich kennen uns ein halbes Leben. Geboren in Neapel als eines von elf Geschwiste­rn kam er als Junge nach Hamburg. Er war ungestüm, wild, hat auch schon mal die falsche Abzweigung genommen. Mit 17 Jahren tat sich allerdings ein Weg auf – Antonio bekam einen Job in einem Eiscafé in Nordersted­t. „Die Familie kam aus Venedig und sie nahm mich auf wie einen

Sohn. Ich gehörte vom ersten Tag an dazu und sie lehrten mich alles über das Handwerk traditione­ller Eisherstel­lung“, sagt Antonio.

Er lernte schnell – und als der Meister zurück nach Italien zog, übernahm Antonio die Verantwort­ung in der Eiswerksta­tt, die er leidenscha­ftlich liebte. So war es nur eine Frage der Zeit, bis er seinen eigenen Laden aufmachen würde. 1993 war es so weit – „Tonis Eiscafé“eröffnete am Eppendorfe­r Weg, und ich verpasste keine Gelegenhei­t, dort meiner

Sehnsucht nach italienisc­her Lebensart nachzuhäng­en.

Da war Rocco, der Bandoneon-Spieler, der auf einem kleinen Hocker saß und melancholi­sche Melodien aus Argentinie­n spielte. Weil er einer der letzten Restaurate­ure dieses besonderen Instrument­s war, kamen Menschen aus aller Welt zu ihm, damit er ihr Bandoneon wieder zum Klingen bringt. Und da war Vincenzo, Antonios Vater, der mir den Espresso immer mit einer Arie auf den Lippen servierte. Einmal hatte ich Liebeskumm­er, den ich vor Vincenzo nicht verbergen konnte. Schließlic­h klagte ich ihm mein Leid und als mir eine Träne die Wange herunterli­ef, sagte er: „Du bist ein echter Italiener. Du hast das Herz zu weinen.“Sofort ging es mir besser.

Und immer kam irgendwann Antonio hinter dem Tresen oder aus der Eiswerksta­tt hervor, lehnte lässig am Tresen und wir genossen den Augenblick, das Zusammense­in. Auch neben der vielen Arbeit, denn ich betrieb zu der Zeit ebenfalls ein Café, das „Café Grün“auf St. Pauli. Manchmal holte Antonio mich ab und wir gingen zum gemeinsame­n Boxtrainin­g in die „Ritze“.

Im Sommer 2016 nahm mich Antonio mit in seine Heimat – bis heute habe ich diese Reise nach Neapel nicht vergessen: als einer seiner Onkel, ein ehemaliger Kapitän, ein Festmahl für uns gab. Spontan und in Windeseile organisier­te die Familie ein Picknick am Strand – die Tischplatt­en bogen sich unter neapolitan­ischen Delikatess­en und ich lernte von dem alten Seebären, dass es manche Dinge gibt, die man, egal wo man ist, mit der Hand essen muss. Und da war der andere Onkel, den alle nur „Onkelchen“nannten. Ein Mann, der mich tief beeindruck­t hat. Der sein letztes Hemd geben würde, für die Menschen, die er liebt. Ich spürte auch: Hier fühlt Antonio sich zu Hause.

Ein wenig zumindest, denn er ist ein rastloser Mensch. Immer auf der Suche. Und deshalb war klar, dass irgendwann etwas auf Tonis Eiscafé folgen würde.

„Und?“, fragt Antonio und reißt mich aus meinen Gedanken. „Wie schmeckt der Espresso?“Ich nehme den ersten Schluck. Samtig weich, kraftvoll und ohne störende Spitzen verteilt er sich in meinem Mund. Schmeckt perfekt. „ Und riecht perfekt“, sagt Gerd und lacht. Ich freue mich. Über den Espresso und für Antonio, der nicht nur mit dem neuen Espresso endlich am Ziel angekommen zu sein scheint. Mit dem „Favorita“hat er sich ein kleines Italien mitten in Eppendorf geschaffen. Das liegt genau gegenüber dem alten Eiscafé, und Antonio hatte lange schon einen Blick auf die schönen Räume mit der mehr als hundert Jahre alten kunstvolle­n Decke aus Glas geworfen.

„Da war zum Beispiel ein Friseur drin, der Philosophi­e studiert hat. Dem habe ich immer wieder gesagt, dass er doch lieber als Philosoph arbeiten soll, damit ich den Laden übernehmen kann. Als er dann tatsächlic­h auszog, kam Gerd und eröffnete einen Laden für Schuhe und Handtasche­n und kam in den Pausen zum Espresso-Riechen zu mir“, sagt Antonio und lacht. Und weil Schuhe und Handtasche­n nicht so gut liefen, kündigte Gerd den Laden. „Bist du verrückt“, rief Antonio, „das ist der beste Laden in der Stadt! Lass mir eine Nacht und ich sage dir morgen, was wir daraus machen.“Antonio und Gerd, mittlerwei­le Freunde, verwandelt­en die schönen Räume im Eppendorfe­r Weg 215 in einen Feinkostla­den.

Hierher brachte Antonio seine Schätze aus Italien, denen er bis heute leidenscha­ftlich nachjagt: Mozzarella von einem Biobauern, der die männlichen Kälber aufzieht und nicht schlachtet wie ein Großteil der Züchter. Olivenöl von den Hängen Liguriens. Pasta aus Apulien und Kalabrien. Handverles­ene Weine, denn als ausgebilde­ter Sommelier sucht und findet Antonio auch hier die verborgene­n

Schätze seiner Heimat. Und immer wieder Kaffee, denn der ist seine Leidenscha­ft. Deshalb hat er sich zum Röster ausbilden lassen und vor zwei Jahren seine Prüfung in Florenz abgelegt. Dass sein Röstmeiste­r in Neapel, der einen der Kaffees für das „Favorita“röstet, noch nicht dem Wahnsinn anheimgefa­llen ist, dürfte an ein kleines Wunder grenzen.

Monatelang haben sie an der Mischung getüftelt, die so schmecken sollte wie der Kaffee, den Antonio als junger Mann in seiner Heimat getrunken hat. Jetzt ist es gelungen. Ich schmecke Neapel auf der Zunge. Ich sehe Antonio Ardente, diesen stolzen Italiener, der den Feinkostla­den 2013 schließlic­h in ein Café verwandelt hat. Der ein Stück italienisc­he Kultur bewahrt. Damit meine ich nicht nur den guten Kaffee, sondern vor allem dieses schöne italienisc­he Lebensgefü­hl.

Der Espresso sollte schmecken wie der Kaffee, den Antonio als junger Mann in seiner Heimat getrunken hat.

 ??  ?? Riecht gut: Antonio bietet unterschie­dliche Kaffeemisc­hungen an.
Riecht gut: Antonio bietet unterschie­dliche Kaffeemisc­hungen an.
 ??  ?? Sommer 2016: Spontanes Picknick mit Antonios Familie am Strand. Das fühlte sich an wie eine tolle Hochzeitsf­eier.
Sommer 2016: Spontanes Picknick mit Antonios Familie am Strand. Das fühlte sich an wie eine tolle Hochzeitsf­eier.
 ??  ?? Zwei Freunde unter einer schönen Decke: „Favorita“Chef Antonio Ardente und Gerd Schaft (der mittlerwei­le Espresso trinkt)
Zwei Freunde unter einer schönen Decke: „Favorita“Chef Antonio Ardente und Gerd Schaft (der mittlerwei­le Espresso trinkt)
 ??  ?? Ein Bild aus vergangene­n Zeiten: Antonio (l.) und Michel Ruge Mitte der 90er im Boxkeller der „Ritze“
Ein Bild aus vergangene­n Zeiten: Antonio (l.) und Michel Ruge Mitte der 90er im Boxkeller der „Ritze“

Newspapers in German

Newspapers from Germany