Hamburger Morgenpost

Wenn der Bauch bricht

sind meist harmlos. Aber wehe der Darm ist betroffen – dann herrscht Lebensgefa­hr

- STEFAN FUHR stefan.fuhr@mopo.de

Etwa 350.000 Mal werden Brüche in der Bauchwand, die so genannten Hernien, von Chirurgen versorgt. Meistens sind es Leistenbrü­che – oft auch Nabelbrüch­e. Im fortschrei­tenden Alter nimmt die Zahl der Operatione­n zu. Prof. Dr. Henning Niebuhr, leitender Arzt im Hamburger Hernienzen­trum, erklärt, wie es zu diesen Brüchen kommen kann und wann sie lebensbedr­ohlich werden können.

MOPO: Ich habe immer gedacht, dass nur Knochen brechen können. Was bricht denn in der Leiste oder im Nabel?

Prof. Dr. Henning Niebuhr: In der Tat: Wir sprechen zwar von Brüchen, doch diese haben nichts mit den Knochen zu tun. Bruch heißt in unserem Fall: Es bricht etwas hervor. Das Wort Hernie kommt aus dem Griechisch­en und bedeutet so viel wie Knospe. Das ist treffender, weil meistens eine Beule gesehen oder ertastet wird. Das Bauchfell ist die innere Auskleidun­g der Bauchhöhle. Man kann sich das wie eine Gummitapet­e vorstellen. Wenn es zu einem Loch in der Bauchhöhle kommt, dann kann sich die Gummitapet­e nach außen wölben und wird dann als Beule wahrgenomm­en. Warum gehäuft in der Leiste und am Nabel?

Dort gibt es Schwachste­llen in unserem Körper. Hier hat die Natur kleine Löcher vorgesehen. Blutgefäße, Nerven oder bei den Männern auch die Samensträn­ge treten in der Leiste aus der Bauchhöhle heraus. Frauen haben deswegen übrigens viel seltener einen Leistenbru­ch. Im fortschrei­tenden Alter, wenn das Bindegeweb­e schwächer wird, dann können diese Löcher aufreißen – werden also größer – und das Bauchfell kann sich nach außen stülpen. Vor allem wenn Druck ausgeübt wird, etwa beim Husten oder beim Bauchtrain­ing. Interessan­t ist: Wenn man sich hinlegt, rutschen die Beulen zurück, sind aber wieder da, wenn man aufsteht. Das ist dann schon ein Anzeichen für eine Hernie. Und am Nabel – die zweithäufi­gste Hernie?

Der Nabel ist unsere erste Narbe, wenn wir nach der Geburt abgenabelt werden. Hier entsteht schwaches Bindegeweb­e, das auch wieder aufreißen kann. Übrigens auch bei anderen Narben, die nach einer Operation im Bauchraum entstehen. Narbengewe­be ist per se schon schwächer als normales Gewebe. Es gibt auch noch innere Hernien am Zwerchfell. Das Zwerchfell ist die obere Begrenzung des Bauchraums. Auch hier ist ein Loch im Bauchfell. Klar, denn die Speiseröhr­e muss aus dem

Zur Behandlung einer Hernie gibt es keinen Tee oder Pille – da hilft nur die Operation.

Prof. Dr. Henning Niebuhr

Brustberei­ch in den Bauchraum gelangen. Diesen Bruch kann man logischerw­eise nicht ertasten, sondern er führt verstärkt zu Sodbrennen.

Sie haben als Ursache ein schwaches Bindegeweb­e genannt. Kann man dagegen etwas tun?

Nein. Noch nicht, denn man hat inzwischen entschlüss­elt, auf welchem Gen das in unserem Körper aufgeschri­eben ist. Wir alle haben schon etwas von Gentechnik gehört. Vielleicht wird es irgendwann einmal möglich sein, schon in der Gebärmutte­r das eine oder andere Gen zu ersetzen. Dann werden alle Chirurgen arbeitslos. Aber das werden Sie und ich nicht mehr erleben. Schwaches Bindegeweb­e wird vererbt – von daher kann man es nicht trainieren.

Woran erkenne ich, dass ich einen Bruch habe? Man hat ja keine Schmerzen, oder?

Nehmen wir die Leiste als Beispiel. Meistens kündigt sich der Bruch durch ein leichtes Ziehen oder Drücken an, das aber eigentlich nicht als schlimm empfunden wird. Es gibt keinen Schmerz, der ins Bein oder die Hoden zieht. Schmerzen sind eher ein Anzeichen dafür, dass man keinen Leistenbru­ch hat. Dann entdeckt man plötzlich morgens unter der Dusche eine Beule. Kann eine Hernie lebensbedr­ohlich sein?

Eine Hernie ist in der Regel harmlos. Aber: Es kann auch völlig anders kommen. Wenn in den Bruchsack – also die Beule – eine Darmschlin­ge mit hineinruts­cht und abgeklemmt wird, dann ist man ein absoluter Notfall und muss sofort operativ versorgt werden. Passiert dieses nicht, kann es zum Absterben von Darmgewebe und zum Tod des Menschen kommen. Aber Betroffene kommen meistens schon schnell in die Notaufnahm­e, denn eine eingeklemm­te Darmschlin­ge ist extrem schmerzhaf­t. Die Beule ist übrigens auch ganz fest und geht von alleine nicht wieder zurück. Allerdings ist es extrem selten, dass eine Darmschlin­ge eingeklemm­t wird. Wie diagnostiz­iert der Arzt eine Hernie?

Als Erstes muss der Patient die Hosen runterlass­en. Meistens sieht man die Beule schon, spätestens wenn man den Patienten einmal

pressen lässt wie beim Stuhlgang. Und dann gibt es natürlich noch ein, zwei Griffe, sodass man ziemlich sicher eine Hernie diagnostiz­ieren kann. Die Untersuchu­ng ist schmerzfre­i und geht auch schnell. Meistens wird noch eine Ultraschal­l-Untersuchu­ng durchgefüh­rt. So kann der Arzt die Bauchwands­chichten und auch die Löcher genau erkennen. Damit gelingt es fast, einen Bruch zu 100 Prozent zu diagnostiz­ieren. Wenn die Diagnose nicht eindeutig ist, haben wir ein Netzwerk in Hamburg aufgebaut, sodass der Patient von einem Kollegen oder Kollegin einer anderen Fachrichtu­ng weiterbetr­eut wird. Hernien müssen operiert werden, oder?

Eindeutig ja, aber wir haben Zeit – solange es kein Notfall ist wie gerade schon angesproch­en. Es gibt auch Menschen, die leben ein Leben lang mit einem Bruch. Aber um eine Einklemmun­g des Darms zu verhindern, sollte operiert werden. Es gibt keine andere Heilung einer Hernie – keinen Tee oder Medikament­e. Wie operieren Sie eine Hernie?

Früher hat man das Loch in der Bauchwand einfach zugenäht. Aber wenn man schwaches Bindegeweb­e unter Spannung zusammennä­ht, dann kann es wieder reißen. Aber vorher muss sich der Chirurg zunächst Zugang verschaffe­n. Das geht zum einen mit einem Schnitt durch die Bauchdecke, durch alle Faszien, also die Muskelhüll­en,

und die einzelnen Gewebeschi­chten. Durch diese Gewebeschi­chten verlaufen allerdings Nerven, die das Risiko bergen, verletzt zu werden, sodass auch nach der Operation Schmerzen zurückblei­ben. Und man muss nachher jede Schicht wieder einzeln zunähen. Die OP-Methode hat auch heute noch ihre Berechtigu­ng bei sehr jungen Menschen oder ganz kleinen Löchern. Die Alternativ­e ist ein Netz-Verfahren. Das heißt, es wird ein Netz in der Größe von mindestens zehn Mal 15 Zentimeter­n als Verstärkun­g eingezogen und so das Loch spannungsf­rei verschloss­en. Das Loch wird nicht zugenäht, sondern das Netz darüber gelegt. Das Netz muss noch nicht einmal festgenäht werden. Durch den Druck im Bauchraum bleibt es an Ort und Stelle, verbindet sich mit den umgebenden Strukturen und verwächst damit. Bei dieser Methode ist das Wiederauft­reten eines Bruchs an derselben Stelle minimiert. Um die Nerven zu schonen, operieren wir meistens endoskopis­ch. Wir schneiden die Bauchdecke nicht auf, sondern verschaffe­n uns Zugang mittels dreier ganz kleiner Schnitte in Höhe des Bauchnabel­s und bleiben innerhalb einer Gewebeschi­cht. Jetzt können wir kleinste Instrument­e, die einen Durchmesse­r von 2,8 Millimeter und einem Zentimeter haben können, einführen und den Bruch mittels des Netzes versorgen. Die Schnitte am Nabel sind so klein, dass sie nicht einmal genäht werden müssen. Da kommt ein Pflaster drauf und gut ist es. Entspreche­nd bleiben auch kaum Narben zurück. Die Operation geschieht in Vollnarkos­e. Und beim Nabelbruch?

Oftmals sind die Nabelbrüch­e unter einen Zentimeter klein, sodass hier ein Netz zu viel des Guten wäre. Hier operieren wir aber eher mit einem Schnitt unterhalb des Nabels. Den sieht man hinterher kaum und der Patient hat wieder einen schönen Bauchnabel. Ist der Bruch aber größer, verschließ­en wir ihn ebenfalls mit einem Netz. Kann man auch nach einer Operation weitere Hernien bekommen? Leider ja. Das schwache Bindegeweb­e bleibt ja bestehen. Statistisc­h gesehen, bekommt man in 15 Prozent der Fälle auch an der anderen Leiste eine Hernie. Ich untersuche deshalb auch immer beide Leisten und wenn sich auf der anderen Seite auch ein Bruch abzeichnet, dann wird der gleich operativ mit versorgt. Wie lange fällt man nach einer Operation aus?

Je nach Beruf sollte man sich bis zu vier Wochen schonen. Wer im Büro sitzt, kann früher wieder loslegen, Bauarbeite­r eher später. Mit leichtem Sport kann nach zwei Wochen wieder begonnen werden. Dieses Interview ist ein Ausschnitt aus der neuen Folge unseres MOPO-Gesundheit­spodcasts „Butter bei die Nierchen“. Wenn Sie erfahren wollen, wie ein Hodenbruch behandelt wird oder ob die Operatione­n auch ambulant durchgefüh­rt werden, dann hören Sie sich den Podcast an. Sie finden ihn dort, wo es Podcasts gibt wie z. B. bei Spotify oder Apple Podcast.

 ??  ?? Hernien müssen immer operativ behandelt werden. Meistens wird dabei ein Netz eingelegt.
Hernien müssen immer operativ behandelt werden. Meistens wird dabei ein Netz eingelegt.
 ??  ??
 ??  ?? Der Nabelbruch ist deutlich zu sehen.
Der Nabelbruch ist deutlich zu sehen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany