Die Behörden wissen: Wer sich der Roten Flora in feindlicher Absicht nähert, riskiert Randale – Feuer und Scherben inklusive.
Der große Kampf um die Hafenstraße verbirgt viele kleinere Auseinandersetzungen um schöne alte Häuser, die ebenfalls in den 80er Jahren dem Abriss geweiht sind. In einer ganzen Reihe von Fällen gelingt es, die Gebäude zu retten und darin Wohnprojekte zu realisieren: in der Jägerpassage an der Wohlwillstraße (St. Pauli), in der Chemnitzstraße 3-7 (AltonaAltstadt), in der Großen Freiheit 73/75 sowie in der Großen Freiheit 84 (St. Pauli), in der Schanzenstraße 41a (Sternschanze), im Mohnhof 20 (Projekt „Greves Garten“in Bergedorf), im Kleinen Schäferkamp 46 (Eimsbüttel) oder in der Klausstraße 12/14 (Ottensen).
In den 1990er Jahren wird es ruhiger. Es gibt weniger Hausbesetzungen und wenn, dann scheitern sie schnell: Die Sternstraße 107 (Sternschanze) wird trotz Protesten im Februar 1990 abgerissen. Das Gleiche geschieht mit der Müggenkampstraße 15 (Eimsbüttel), mit der Carsten-Rehder-Straße
81-83 (Altona-Altstadt), der Emilienstraße 31/33 (Eimsbüttel), der Tegetthoffstraße 1 (Eimsbüttel) und der Budapester Straße 8 (St. Pauli).
Nur um ein Gebäude entzündet sich ein Streit, der das Niveau des HafenstraßenZoffs erreicht: die Rote Flora. Das ehemalige Konzerthaus am Schulterblatt ist bis heute das am längsten besetzte Haus Deutschlands und die Autonomenhochburg schlechthin.
Begonnen hat alles Ende der 1980er Jahre. Nachdem das Kaufhaus „1000 Töpfe“aus der im städtischen Besitz befindlichen Flora ausgezogen ist, droht der Abriss. Eine Musicalspielstätte für „Das Phantom der Oper“soll das alte Theater ersetzen. Die Anwohner fürchten den Einzug von Konsum und Kommerz in ihr Viertel und schaffen es mit zahlreichen Demonstrationen, diese Pläne zu zerschlagen. Am 1. November 1989 besetzen mehrere Initiativen die Reste des bereits in Teilen abgerissenen Gebäudes. Ein alternatives Stadtteilquartier, das zugleich Kulturzentrum ist, ist ihr Ziel. Eine „Flora für alle“.
Schnell wird eine „Volxküche“eingerichtet, ein Erwerbslosenfrühstück angeboten. Am Wochenende gibt es Partys und Konzerte gegen rechts. Die Stadt hält still. Noch einen zweiten Barrikaden-Schauplatz neben der Hafenstraße – das will keiner. Und so bleibt die Flora sich selbst überlassen. Während um sie herum alles immer schicker wird, die Schanze sich in eine Party- und Shoppingmeile verwandelt, pflegt die Flora mit wütenden Plakaten und Transparenten an den Außenwänden ganz bewusst ihr Anarcho-Image.
Und es gibt immer wieder reichlich Ärger. Die Behörden wissen: Mit den Rotfloristen ist immer zu rechnen, ihr Mobilisierungspotenzial enorm. Wer sich der linken Trutzburg in feindlicher Absicht nähert, der riskiert Randale – Feuer und Scherben inklusive. Dieses Problem will die Stadt 2001 lösen und verkauft das Gebäude für 190 000 Euro an den Immobilienkaufmann Klausmartin Kretschmer, der versprechen muss, am Status der Flora nichts zu ändern. Trotzdem bekommt Kretschmer Hausverbot.
Als Kretschmer 2010 in Geldnot gerät, verkündet er, das Gebäude für 19 Millionen Euro an einen US-Investor zu verkaufen. Die Rotfloristen werden nervös. Es rumort – so lange, bis die Stadt die Flora für 820 000 Euro zurückkauft.
Das Rumoren – es gehört bei der Flora einfach dazu. Egal ob am 1. Mai, bei Schanzenfesten oder anderen Demos. Die Hamburger kennen das und die meisten haben sich längst daran gewöhnt.
Eine Ausnahme ist da allerdings der G20-Gipfel 2017, als die linke Trutzburg in den Fokus gerät, weil die schlimmsten Krawalle direkt vor ihrer Tür stattfinden. Die Polizei und die Hamburger CDU versuchen, eine Verbindung zwischen der Flora und den Gewaltexzessen herzustellen. Erstmals seit Langem werden wieder Rufe nach einer Räumung laut – und verstummen schnell, als sich die Schuldzuweisungen als haltlos erweisen. „Die Rote Flora ist ein Stück Kultur dieser Stadt“, hat die frühere Grünen-Politikerin Antje Möller einmal gesagt. Daran wird sich wohl erst mal auch nichts ändern.
Die aufsehenerregendste Hausbesetzung in jüngster Zeit ist die des Gängeviertels mitten in der Innenstadt. 2009 droht dem Gebäudekomplex als letztem Überrest des historischen Quartiers, das sich einst vom Hafen über die Neustadt bis in die City zog, der Abriss: Der niederländische Investor Hanzevast Capital, der die Fläche 2008 erworben hatte, kündigt den Mietern mit dem Ziel, ein Neubauprojekt aus Glas und Stahl vor Ort zu realisieren.
Doch da hat er die Rechnung ohne die kampferprobte Hamburger HausbesetzerSzene gemacht. Eine Gruppe von 200 Künstlern und Kreativen besetzt am 22. August 2009 die alten Häuser zwischen Caffamacherreihe, Valentinskamp und Speckstraße. Unter dem Motto „Komm in die Gänge“fordern sie sowohl den Erhalt der historischen Gebäude als auch ein selbstverwaltetes Quartier mit Räumen für Kreative.
Diesmal gibt es kein jahrelanges Ringen. Auch aufgrund des öffentlichen Drucks sieht sich die Stadt gezwungen, die historischen Häuser für 2,8 Millionen von Hanzevast zurückzukaufen. Der Senat stellt 20 Millionen Euro für die Sanierung der Gebäude zur Verfügung, die bis heute andauert.
In der langen Geschichte der Hausbesetzungen in Hamburg nimmt das Gängeviertel einen besonderen Platz ein – weil der Konflikt schnell und friedlich gelöst wurde und weil es zu einem Symbol für städtebauliche Mitbestimmung wurde.