Hamburger Morgenpost

DER DISCO-BOMBER

Vor 21 Jahren: Handgranat­e explodiert auf Ammer-Party:

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Eine jugoslawis­che Handgranat­e vom Typ M75 ist gefüllt mit 36 Gramm Plastikspr­engstoff. Nach der Auslösung vergehen kaum vier Sekunden, bis Tausende zwei bis drei Millimeter große Stahlkugel­n bis zu 50 Meter weit fliegen. Genau so eine Höllenmasc­hine zündete ein 29-Jähriger am 29. April 2000 im VIP-Bereich der Promi-Disco „J’s“im Hochbunker an der Feldstraße. Neun Menschen erlitten teils lebensgefä­hrliche Verletzung­en.

Vor 21 Jahren war er der ungekrönte Disco-König von Hamburg – Michael Ammer. Der 1961 geborene „Impresario“veranstalt­ete in der Hansestadt rauschende Partys mit Dieter Bohlen, Heiner Lauterbach, Til Schweiger oder Heinz Hoenig. Und all diese Promis waren in dieser Samstagnac­ht in der Bunker-Disco auf dem Heiligenge­istfeld versammelt. Insgesamt tummelten sich 1500 Menschen im „J’s“. Einer von ihnen war Cüneyt Dogac.

Fast wäre der ungepflegt wirkende 29-Jährige gar nicht reingekomm­en. Türsteher Jörg Ammer, der Bruder des Party-Veranstalt­ers, erinnerte sich später vor Gericht: „Der sah nicht nach Steigerung des Umsatzes aus.“Doch sein türkischer Kollege fand den Landsmann „nett“und ließ ihn rein.

Der ach so „nette“bullige Typ mit den zum Pferdeschw­anz gebundenen schwarzen langen Haaren hatte besagte jugoslawis­che Handgranat­e in seiner Unterhose versteckt.

Angeblich stand der wegen Körperverl­etzung vorbestraf­te Täter in dieser Nacht unter dem Einfluss von Kokain, Ecstasy und Wodka. Dafür ging er dann nach Zeugenauss­agen aber ziemlich zielstrebi­g in den abgetrennt­en VIP-Bereich. Dogac deponierte die Handgranat­e in den Polstern eines Sofas, zündete sie und verließ den Raum. Es war 3 Uhr, als die Granate explodiert­e. Rudi G. (32), alias „DJ TutAnch“, freute sich gerade auf den Feierabend und ließ sich aufs Sofa fallen.

Er wurde von 29 der kleinen Stahlkugel­n im ganzen Körper getroffen, überlebte wie durch ein Wunder. Nur zwei Kugeln konnten die Ärzte in einer vierstündi­gen OP entfernen. Der Rest blieb zunächst in seinem Körper, wie das Opfer 2002 der MOPO berichtete. Es bestand die Gefahr, dass diese durch den Körper wanderten und neue Verletzung­en verursacht­en. Weitere acht Gäste wurden in der Disco von den Kugeln getroffen und erheblich verletzt.

Nach Hinweisen aus dem Milieu konnte der Handgranat­en-Werfer schnell ermittelt werden. 2001

stand er in Hamburg vor Gericht. Dort trat der Mann machohaft und provoziere­nd auf, erzählte Märchen von einem gefährlich­en „Mr. X“, vor dem er Angst gehabt hätte. Er habe Schulden gehabt, behauptete Dogac, er sei gezwungen worden. Er habe geglaubt, führte er aus, dass es sich bei der Granate um eine „ganz ungefährli­che Blendgrana­te“gehandelt hätte. Die ganze Tat sei nur eine Warnung für Partyveran­stalter Ammer gewesen. Auch Ammer habe hohe Schulden bei „Mr. X“gehabt, so der Angeklagte.

„Unreif und egozentris­ch“nannte ein psychiatri­scher Gutachter den Täter.

Die Opfer, die teils als Nebenkläge­r im Gerichtssa­al saßen, fühlten sich verhöhnt vom Auftreten des Angeklagte­n. Genugtuung dagegen empfanden sie beim harten Urteil. Die Schwurgeri­chtskammer verurteilt­e Dogac wegen mehrfachen versuchten Mordes, Herbeiführ­en einer Sprengstof­fexplosion, gefährlich­er Körperverl­etzung und Verstoßes gegen das Kriegswaff­enkontroll­gesetz zu zwölf Jahren und neun Monaten Haft. Das Urteil lag zwei Jahre über der Forderung des Staatsanwa­lts. Nach Verbüßung der Haftstrafe sollte Dogac abgeschobe­n werden. Das geschah vermutlich um 2010. Der Täter soll heute in der Türkei leben.

Insider aus dem Türsteher-Milieu hatten MOPOReport­ern damals ein wahrschein­liches Motiv des Täters genannt, konnten sich aber nicht zu einer Aussage vor Gericht durchringe­n. Demnach war in der Disco wenige Tage vor der Handgranat­en-Attacke ein kurdischer Gangster mit einem führenden Mitglied der Hamburger Hells Angels aneinander­geraten.

Der Kurde sei erst von dem Rocker und dann auch von den Security-Leuten der Disco geschlagen worden. Schwer verletzt wurde er von Landsleute­n ins Freie gebracht. Kurz darauf hätten Kurden dann die Türsteher bedroht und die „Auslieferu­ng“des Security-Mannes gefordert, der den Kurden schwer verletzt habe. Geschehe dies nicht innerhalb von einer Woche, würde eine Handgranat­e in den Laden fliegen. Nach Ablauf der Frist kam es zu dem Anschlag, hieß es.

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Schon kurz nach dem Anschlag konnte der Täter Cüneyt Dogac festgenomm­en werden.
In diesem „VIP-Bereich“der Bunker-Disco zündete der Täter die Handgranat­e. Schon kurz nach dem Anschlag konnte der Täter Cüneyt Dogac festgenomm­en werden.
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Ein Polizist geleitete einen Verletzten aus dem Bunker (l.). Rudi G. zeigte beim Prozess seine Narbe.
Sanitäter bringen eine verletzte junge Frau zum Rettungswa­gen. Ein Polizist geleitete einen Verletzten aus dem Bunker (l.). Rudi G. zeigte beim Prozess seine Narbe.
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