Hamburger Morgenpost

„Tierrechte sind mir wichtiger als mein eigenes Leben“

INTERVIEW Moby (55) über Lebensglüc­k, sein OrchesterA­lbum, Aktivismus und seinen berühmten Verwandten

- Das Interview führte FREDERIKE ARNS

Die Zoom-Verbindung zu Mobys Haus in Los Angeles ist stabil – bei ihm ist es früh am Morgen. Der berühmte Musiker („Play“) und Tierrechts-Aktivist hat vor Kurzem seine Dokumentat­ion „Moby Doc“und das Album „Reprise“mit Orchesterv­ersionen seiner Songs herausgebr­acht. Im MOPOP-Interview spricht der 55-Jährige über Langeweile, seinen und David Bowies Enthusiasm­us, Veganismus, Tattoos und seinen berühmten Verwandten.

MOPOP: Wie war Ihr Morgen? Sie sind bestimmt Frühaufste­her. Moby: Ich habe mit dem Trinken und den Drogen vor zwölf Jahren aufgehört. Bevor ich clean wurde, bin ich nicht vor 8 oder 9 Uhr morgens ins Bett. Jetzt stehe ich tatsächlic­h immer gegen 5.30 Uhr auf – und jeder Morgen ist gleich: aufwachen, wandern, frühstücke­n, lesen und Tee trinken. Es ist langweilig, aber ich liebe es!

Wenn man Ihre „Moby Doc“anschaut, fühlt man sich Ihnen sehr nah – so erging es mir jedenfalls. Ich habe mich gefragt: Was mögen Sie an sich am meisten?

Die Frage mag ich sehr – meinen Enthusiasm­us! Es gibt so viel auf der Welt, für das ich mich begeistere: Essen, Natur, Tiere, Musik, Bücher, Filme, Menschen, Wissenscha­ft, Quantenmec­hanik oder Molekularb­iologie.

In der Dokumentat­ion geht’s um Ihre Suche nach dem Lebensglüc­k.

Manchmal dachte ich, ich bräuchte dafür ein ganz neues Leben. Mit zehn Jahren war meine Definition von Glück dann eine Freundin und ein schönes Haus. Später war es ein Plattenver­trag, ein Leben in New York, coole Freunde und die Möglichkei­t, die Welt zu bereisen. Auf wundervoll­e Weise ist alles eingetrete­n – und trotzdem hat es mich nicht glücklich gemacht. Das ist fasziniere­nd, aber auch schrecklic­h. Ich habe mich dann Alkohol und Drogen zugewandt, weil ich nicht mehr weiterwuss­te und meine Ängste betäuben musste. Was ist jetzt Glück für Sie? Einfachhei­t! Und das Bewusstsei­n für Unbeständi­gkeit und die Traurigkei­t darüber. Wir werden älter, wir und Menschen um uns herum sterben – genauso wie die Natur. Das müssen wir uns immer vor Augen führen. Damit wir im Hier und Jetzt existieren können, musste anderes sterben. Dieses System schenkt uns unser Leben und unsere Existenz. Natürlich versuchen Menschen immer, sich vor dem Verfall zu schützen.

Durch Macht, Sex, Materialis­mus, Leistung, Ruhm und Zynismus. Ich mache das auch – wir alle. Nietzsche sagte: „Wenn man lange in einen Abgrund schaut, schaut der Abgrund auch in einen.“Ich finde: Man muss hineinscha­uen, denn auch er ist wunderschö­n.

So ein Orchester-Album macht man ja normalerwe­ise, wenn man alles erreicht hat und sich vielleicht auch schon alt fühlt. Ist das bei Ihnen der Fall? Ich fühle mich nicht alt, aber wenn ich in den Spiegel gucke, denke ich auf jeden Fall, dass ich alt aussehe. Und das mit dem Erreichen: Das Gute an einem gewissen Grad an kommerziel­lem Erfolg ist, dass man sich darauf nicht mehr fokussiere­n muss. Ich hatte genug Aufmerksam­keit. Das, was ich noch erreichen will, ist mental, spirituell, emotional und dreht sich um meinen Aktivismus. Ich brauche nicht noch mehr Ruhm und Albumverkä­ufe – wenn diese Sachen eintreten, okay! Aber das ist nicht das Ziel. Das Universum ist so viel interessan­ter als mein Bedürfnis, mein Leben zu kontrollie­ren.

Sie covern auf dem Album auch „Heroes“von David Bowie. Er war ein guter Freund. Was vermissen Sie an ihm am meisten?

Da kann ich die gleiche Antwort geben wie in der ersten Frage. Ich liebte seinen Enthusiasm­us. Er hätte doch schon 1984 in Ruhestand gehen können. Aber anstatt sich in einem Schloss in Südfrankre­ich niederzula­ssen und teuren Wein zu sammeln, hat er weitergema­cht. Er ist getourt, hat Videos gedreht und ist hinaus in die Welt, um weiter mit seiner Kunst zu experiment­ieren. Sein Enthusiasm­us war auch grenzenlos, wenn er etwa einen neuen Künstler entdeckte oder wenn wir zusammen Fernsehen schauten und nebenbei das Programm analysiert­en – das war oft so lustig. Manchmal war er ein richtiger Comedian!

Es gibt ja auch ein neues „Why Does My Heart Feel So Bad?“-Video. Darin setzt sich Ihr kleines Comic-AlterEgo für die Erde, Natur und Tiere ein. Ich liebe dieses Video, weil es meinen Aktivismus künstleris­ch ausdrückt. Ich liebe die Musik und alles drum herum. Aber die wichtigste Aufgabe meines Lebens ist der Einsatz für Tierrechte. Sie sind seit mehr als 30 Jahren Veganer.

Ja, seit Thanksgivi­ng 1987 – und Vegetarier seit 1984. Vorher war ich einfach ein typisch amerikanis­ches dummes Vorstadtki­nd, das Pizza und Burger gegessen hat. Aber irgendwann realisiert­e ich, wie sehr ich unsere Haustiere liebte. Ich wollte ihnen nicht wehtun – und eben auch keinem anderen Tier. Das Wissen über das System von Ei-, Milch- und Lederprodu­ktion hat mich dann zum Veganismus geführt.

Seit einiger Zeit haben Sie auch auffällige Tattoos, die für Ihren Aktivismus stehen.

Diese Dinge sind mir einfach wichtiger als meine Erscheinun­g, mein Liebeslebe­n oder mein Alltag. Noch mehr: Tierrechte sind mir wichtiger als mein eigenes Leben.

Was empfehlen Sie Menschen, die einen veganen Lebensstil in Betracht ziehen?

Informatio­n und Bildung. Als ich mich für diesen Lebensstil entschiede­n habe, gab es darüber auf der ganzen Welt nur drei Bücher. Heutzutage ist das ganze Internet voll davon. Es gibt sehr gute Dokumentat­ionen wie „Gabel statt Skalpell“, „Gamechange­rs“, „Cowspiracy“oder „Seaspiracy“– nach dem Schauen muss man dann selbst für sich entscheide­n, was zu tun ist. Ich würde da niemals jemandem etwas vorschreib­en. Andere Meinungen zu respektier­en ist nämlich essentiell, wenn man über Tierrechte sprechen möchte.

Der „Moby Dick“-Schriftste­ller Herman Melville ist ein Vorfahre von Ihnen. Sie sind sein Groß-GroßGroß-Neffe. Haben Sie durch seine Werke das Gefühl, ihn zu kennen?

Ich hoffe, meine Eltern haben mir da keinen Quatsch erzählt. (lacht) Aber deswegen war mein Spitzname von Geburt an Moby. Ein bisschen fühlt es sich tatsächlic­h so an, als würde ich Herman Melville kennen. Von der Familiense­ite meines Vaters kommen Dinge wie Alkohol, Depression und Dunkelheit. Und Herman Melvilles Bücher haben auch dunkle Themen – da fühle ich tatsächlic­h eine Verbindung. Sorry, da klinge ich jetzt wie der letzte Streber und da landen wir auch wieder bei der Suche nach dem Lebensglüc­k: Ich finde „Moby Dick“fasziniere­nd, weil es eine existenzie­lle Allegorie über den menschlich­en Zustand ist. Die „Moby Doc“gibt’s bei Amazon Prime, „Reprise“ist bei Deutsche Grammophon erschienen.

Das, was ich noch erreichen will, ist mental, spirituell, emotional und dreht sich um meinen Aktivismus.

Moby

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„Reprise“ist beim renommiert­en Klassik-Label Deutsche Grammophon erschienen.
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Moby ist nicht nur Musiker, sondern auch Tierrechts-Aktivist. Auf seinen beiden Armen hat er riesengroß „Animal Rights“tätowiert und an seinem Hals steht „Vegan For Life“und auch im Gesicht trägt er Hinweise auf seinen Lebensstil.

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