„Tierrechte sind mir wichtiger als mein eigenes Leben“
INTERVIEW Moby (55) über Lebensglück, sein OrchesterAlbum, Aktivismus und seinen berühmten Verwandten
Die Zoom-Verbindung zu Mobys Haus in Los Angeles ist stabil – bei ihm ist es früh am Morgen. Der berühmte Musiker („Play“) und Tierrechts-Aktivist hat vor Kurzem seine Dokumentation „Moby Doc“und das Album „Reprise“mit Orchesterversionen seiner Songs herausgebracht. Im MOPOP-Interview spricht der 55-Jährige über Langeweile, seinen und David Bowies Enthusiasmus, Veganismus, Tattoos und seinen berühmten Verwandten.
MOPOP: Wie war Ihr Morgen? Sie sind bestimmt Frühaufsteher. Moby: Ich habe mit dem Trinken und den Drogen vor zwölf Jahren aufgehört. Bevor ich clean wurde, bin ich nicht vor 8 oder 9 Uhr morgens ins Bett. Jetzt stehe ich tatsächlich immer gegen 5.30 Uhr auf – und jeder Morgen ist gleich: aufwachen, wandern, frühstücken, lesen und Tee trinken. Es ist langweilig, aber ich liebe es!
Wenn man Ihre „Moby Doc“anschaut, fühlt man sich Ihnen sehr nah – so erging es mir jedenfalls. Ich habe mich gefragt: Was mögen Sie an sich am meisten?
Die Frage mag ich sehr – meinen Enthusiasmus! Es gibt so viel auf der Welt, für das ich mich begeistere: Essen, Natur, Tiere, Musik, Bücher, Filme, Menschen, Wissenschaft, Quantenmechanik oder Molekularbiologie.
In der Dokumentation geht’s um Ihre Suche nach dem Lebensglück.
Manchmal dachte ich, ich bräuchte dafür ein ganz neues Leben. Mit zehn Jahren war meine Definition von Glück dann eine Freundin und ein schönes Haus. Später war es ein Plattenvertrag, ein Leben in New York, coole Freunde und die Möglichkeit, die Welt zu bereisen. Auf wundervolle Weise ist alles eingetreten – und trotzdem hat es mich nicht glücklich gemacht. Das ist faszinierend, aber auch schrecklich. Ich habe mich dann Alkohol und Drogen zugewandt, weil ich nicht mehr weiterwusste und meine Ängste betäuben musste. Was ist jetzt Glück für Sie? Einfachheit! Und das Bewusstsein für Unbeständigkeit und die Traurigkeit darüber. Wir werden älter, wir und Menschen um uns herum sterben – genauso wie die Natur. Das müssen wir uns immer vor Augen führen. Damit wir im Hier und Jetzt existieren können, musste anderes sterben. Dieses System schenkt uns unser Leben und unsere Existenz. Natürlich versuchen Menschen immer, sich vor dem Verfall zu schützen.
Durch Macht, Sex, Materialismus, Leistung, Ruhm und Zynismus. Ich mache das auch – wir alle. Nietzsche sagte: „Wenn man lange in einen Abgrund schaut, schaut der Abgrund auch in einen.“Ich finde: Man muss hineinschauen, denn auch er ist wunderschön.
So ein Orchester-Album macht man ja normalerweise, wenn man alles erreicht hat und sich vielleicht auch schon alt fühlt. Ist das bei Ihnen der Fall? Ich fühle mich nicht alt, aber wenn ich in den Spiegel gucke, denke ich auf jeden Fall, dass ich alt aussehe. Und das mit dem Erreichen: Das Gute an einem gewissen Grad an kommerziellem Erfolg ist, dass man sich darauf nicht mehr fokussieren muss. Ich hatte genug Aufmerksamkeit. Das, was ich noch erreichen will, ist mental, spirituell, emotional und dreht sich um meinen Aktivismus. Ich brauche nicht noch mehr Ruhm und Albumverkäufe – wenn diese Sachen eintreten, okay! Aber das ist nicht das Ziel. Das Universum ist so viel interessanter als mein Bedürfnis, mein Leben zu kontrollieren.
Sie covern auf dem Album auch „Heroes“von David Bowie. Er war ein guter Freund. Was vermissen Sie an ihm am meisten?
Da kann ich die gleiche Antwort geben wie in der ersten Frage. Ich liebte seinen Enthusiasmus. Er hätte doch schon 1984 in Ruhestand gehen können. Aber anstatt sich in einem Schloss in Südfrankreich niederzulassen und teuren Wein zu sammeln, hat er weitergemacht. Er ist getourt, hat Videos gedreht und ist hinaus in die Welt, um weiter mit seiner Kunst zu experimentieren. Sein Enthusiasmus war auch grenzenlos, wenn er etwa einen neuen Künstler entdeckte oder wenn wir zusammen Fernsehen schauten und nebenbei das Programm analysierten – das war oft so lustig. Manchmal war er ein richtiger Comedian!
Es gibt ja auch ein neues „Why Does My Heart Feel So Bad?“-Video. Darin setzt sich Ihr kleines Comic-AlterEgo für die Erde, Natur und Tiere ein. Ich liebe dieses Video, weil es meinen Aktivismus künstlerisch ausdrückt. Ich liebe die Musik und alles drum herum. Aber die wichtigste Aufgabe meines Lebens ist der Einsatz für Tierrechte. Sie sind seit mehr als 30 Jahren Veganer.
Ja, seit Thanksgiving 1987 – und Vegetarier seit 1984. Vorher war ich einfach ein typisch amerikanisches dummes Vorstadtkind, das Pizza und Burger gegessen hat. Aber irgendwann realisierte ich, wie sehr ich unsere Haustiere liebte. Ich wollte ihnen nicht wehtun – und eben auch keinem anderen Tier. Das Wissen über das System von Ei-, Milch- und Lederproduktion hat mich dann zum Veganismus geführt.
Seit einiger Zeit haben Sie auch auffällige Tattoos, die für Ihren Aktivismus stehen.
Diese Dinge sind mir einfach wichtiger als meine Erscheinung, mein Liebesleben oder mein Alltag. Noch mehr: Tierrechte sind mir wichtiger als mein eigenes Leben.
Was empfehlen Sie Menschen, die einen veganen Lebensstil in Betracht ziehen?
Information und Bildung. Als ich mich für diesen Lebensstil entschieden habe, gab es darüber auf der ganzen Welt nur drei Bücher. Heutzutage ist das ganze Internet voll davon. Es gibt sehr gute Dokumentationen wie „Gabel statt Skalpell“, „Gamechangers“, „Cowspiracy“oder „Seaspiracy“– nach dem Schauen muss man dann selbst für sich entscheiden, was zu tun ist. Ich würde da niemals jemandem etwas vorschreiben. Andere Meinungen zu respektieren ist nämlich essentiell, wenn man über Tierrechte sprechen möchte.
Der „Moby Dick“-Schriftsteller Herman Melville ist ein Vorfahre von Ihnen. Sie sind sein Groß-GroßGroß-Neffe. Haben Sie durch seine Werke das Gefühl, ihn zu kennen?
Ich hoffe, meine Eltern haben mir da keinen Quatsch erzählt. (lacht) Aber deswegen war mein Spitzname von Geburt an Moby. Ein bisschen fühlt es sich tatsächlich so an, als würde ich Herman Melville kennen. Von der Familienseite meines Vaters kommen Dinge wie Alkohol, Depression und Dunkelheit. Und Herman Melvilles Bücher haben auch dunkle Themen – da fühle ich tatsächlich eine Verbindung. Sorry, da klinge ich jetzt wie der letzte Streber und da landen wir auch wieder bei der Suche nach dem Lebensglück: Ich finde „Moby Dick“faszinierend, weil es eine existenzielle Allegorie über den menschlichen Zustand ist. Die „Moby Doc“gibt’s bei Amazon Prime, „Reprise“ist bei Deutsche Grammophon erschienen.
Das, was ich noch erreichen will, ist mental, spirituell, emotional und dreht sich um meinen Aktivismus.
Moby