ROTFUCHS JAGT LUDEN
ST. PAULI Waldemar Paulsen (73) jagte als Fahnder „Rotfuchs“rund um die Reeperbahn Mörder und Luden – und wurde selbst zum Opfer
„Kiezmensch“Paulsen: Zivilfahnder in den wilden 80ern.
Der Zigarettenqualm. Die dröhnende Musik. Der Blick des Täters. Sein Finger am Abzug der entsicherten Walther PP, Kaliber 7,65 Millimeter. Waldemar Paulsen (73) erinnert sich an jedes Detail des 13. Dezember 1980. Der Tag, der ihn fast das Leben kostete. Das ist 40 Jahre her. Doch die Bilder wird der ehemalige Polizist nicht los. Als Zivilfahnder „Rotfuchs“war er zehn Jahre auf dem Kiez im Einsatz und erlebte die Machtkämpfe im Milieu. Heute genießt der schlanke, ergraute Mann mit seiner Frau und den beiden Hunden den Ruhestand an der Ostsee.
Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt Waldemar Paulsen, von allen nur Pauli genannt, in seinem Wohnzimmer auf einem grauen Stoffsofa. Daneben seine Hündin Marcie. Sie lässt ihn nicht aus den Augen. „Marcie folgt mir, egal wohin ich gehe. Sogar auf die Toilette“, sagt der Mann mit dem blauweiß gestreiften Hemd und der schwarzen Jeans lächelnd. Gerade erst ist er mit seiner Frau und den beiden Hunden in das Haus in Eckernförde gezogen. Zur
Ruhe kommen. Am Meer.
Zur Ruhe kommen – das konnte er lange Zeit nicht. Jahrzehntelang verdrängt der Polizist das Erlebte. Arbeiten, zwei Kinder, Ehefrau, Arbeiten. Er war im Dauerstress. Erst nach der Pensionierung öffnete sich „der Giftschrank der Erinnerungen“. Paulsen litt an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Auf einmal erinnerte er sich an kleinste Details seiner Arbeit. An den „verrückten Rainer“. Ein Automatenaufsteller, der einst im Urlaub einen Kopfsprung ins seichte Wasser gemacht hatte, schwer aufschlug und seitdem als verwirrt galt. „Knochen-Harry“, der bekannt für seine Brutalität war, und „Dödel-Alex“– ein „kleines Männchen“, stets im schwarzen Nadelstreifenanzug. Trotz seiner geringen Größe war er unter den Prostituierten gefürchtet – wegen seiner Ausdauer.
„Wenn man mich jetzt fragt, was ich gestern zum Mittag gegessen habe, muss ich länger überlegen. Über meine Arbeit weiß ich alles. Sofort.“Und so sprudelt es aus dem ehemaligen Kriminalhauptkommissar heraus. Wie er nach seiner kaufmännischen Ausbildung bei Mercedes eigentlich in die Niederlassung nach Buenos Aires wollte. Dann jedoch der Musterungsbescheid dazwischenkam. Bundeswehr? Für Waldemar Paulsen undenkbar. „Überall waren noch die Nazischergen in den Befehlskadern“, sagt der Mann, der als Sohn einer Kriegswitwe in Friedrichskoog bei Adoptiveltern aufgewachsen ist. Sein Plan: Zwei Jahre Polizeiausbildung – das galt als Wehrdienstan ersatz. Aus den zwei Jahren wurden 41 Jahre und 150 Tage.
Zehn Jahre davon als Zivilfahnder der Davidwache. Ab 1972 – zu einer Zeit, als die Machtkämpfe im Milieu tobten.
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Auf dem Kiez war ich wie besessen. Ich fühlte mich bestraft, wenn ich meinen Urlaub nehmen musste. Ich wollte nicht weg sein. Heute tut es mir leid, so viel von meinen Kindern verpasst zu haben.
Waldemar Paulsen