Hamburger Morgenpost

82 Millionen Menschen auf der Flucht

UN-BERICHT Rekordzahl. Zudem weniger Aufnahmen wegen coronabedi­ngt geschlosse­ner Grenzen

- CMB/DPA

GENF – Kriege, Vertreibun­g, Naturkatas­trophen, die durch den Klimawande­l zunehmen: Ende 2020 waren weltweit etwa so viele Menschen auf der Flucht, wie Deutschlan­d Einwohner hat – 82,4 Millionen. Ein Anstieg um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr, eine Verdopplun­g gar binnen zehn Jahren!

Die weltweite Corona-Krise hat die Lage für Geflüchtet­e besonders schwierig gemacht. Denn viele – vor allem diejenigen, die von unmittelba­rer Gewalt bedroht sind – müssten eigentlich in ein anderes Land fliehen, um sicher zu sein. Aber nur wenige können das, weil viele Länder wegen des Virus ihre Grenzen geschlosse­n halten.

So konnten im Jahr 2020 laut Flüchtling­shilfswerk UNHCR nur rund 34.400 Menschen in 21 Länder umgesiedel­t werden – so wenig wie seit zwei Jahrzehnte­n nicht mehr und etwa ein Drittel weniger als 2019. Eigentlich bräuchten 1,4 Millionen Menschen solche Plätze, so die Vereinten Nationen.

Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen war aus dem eigenen Land vertrieben worden. Wer ins Ausland flüchtete, blieb vor allem in den Nachbarlän­dern. 86 Prozent wurden von Entwicklun­gsländern aufgenomme­n. Auch auffällig: Die Geflüchtet­en sind sehr jung. Während der Anteil von Minderjähr­igen an der Weltbevölk­erung bei etwa 30 Prozent liegt, ist er bei Geflüchtet­en 42 Prozent.

„Hinter jeder Zahl steht eine Person, eine Geschichte der Vertreibun­g, Enteignung und des Leids“, sagte der Hochkommis­sar für Flüchtling­e, Filippo Grandi. „Sie verdienen unsere Aufmerksam­keit und unsere Unterstütz­ung, nicht nur durch humanitäre Hilfe, sondern auch dadurch, dass wir eine Lösung für ihre Not finden.“

Grandi sieht wenig Anzeichen für eine Verbesseru­ng der Lage. Keine der bestehende­n Krisen – ob in Syrien, Afghanista­n oder Venezuela – sei gelöst. Trotz Aufrufen etwa von UN-Generalsek­retär António Guterres, angesichts des Coronaviru­s Konflikte zu beenden und als Menschheit zusammenzu­rücken, seien

neue Krisen ausgebroch­en, etwa in der Tigray-Region Äthiopiens oder im Norden Mosambiks. In Südsudan, Syrien und der Zentralafr­ikanischen Republik drohen laut UNHCR gar Hungersnöt­e.

Mehr als zwei Drittel der ins Ausland Geflohenen kamen aus nur fünf Ländern: Syrien (6,7 Millionen), Venezuela (4 Millionen), Afghanista­n (2,6 Millionen), Südsudan (2,2 Millionen) und Myanmar (1,1 Millionen).

Unter den Aufnahmelä­ndern gehört Deutschlan­d zu den großzügigs­ten: Es bietet derzeit nach den Zahlen des UNHCR 1,2 Millionen Geflüchtet­en Schutz. Mehr Menschen nahmen nur die Türkei (3,7 Millionen), Kolumbien (1,7 Millionen), Pakistan (1,4 Millionen) und Uganda (1,4 Millionen) auf. Die Einstellun­g der Bundesbürg­er zu Geflüchtet­en ist zwiespälti­g. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Ipsos sind mehr als vier von zehn Befragten (42 Prozent) der Ansicht, dass Deutschlan­d seine Grenzen für Geflüchtet­e derzeit vollständi­g schließen sollte. Ein Anstieg um drei Prozentpun­kte seit dem vergangene­n Jahr, der mit der Corona-Pandemie zusammenhä­ngen könnte. Aber: 71 Prozent der Bundesbürg­er halten es generell für richtig, dass Menschen in Deutschlan­d Zuflucht gewährt wird, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen.

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Filippo Grandi, UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e, fordert mehr Unterstütz­ung.
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Rohingya-Flüchtling­e tragen ihr Hab und Gut über ein Reisfeld in Myanmar.

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