Wenn der Gastgeber die eigene Party hasst
Japaner wollen Absage. Die Fakten:
PARTY OHNE GÄSTE Morgen beginnen die Olympischen Spiele in Tokio. Mit einem Jahr Verspätung und vor leeren Rängen. 70 Prozent der Japaner sind dagegen. IOC-Chef Thomas Bach ist im Land für viele ein Feindbild.
Mitten im vierten Corona-Notstand und bei wieder steigenden Infektionszahlen in der Millionen-Metropole: Morgen werden die Sommerspiele eröffnet. Wenn mit einem Jahr Verspätung die Flamme über dem Nationalstadion erstrahlt, hoffen die Organisatoren auf ein Ende der Debatten um den Sinn von Olympia in der Pandemie. Die Japaner aber haben mehrheitlich ihr Urteil bereits gefällt. Sie lehnen die Spiele ab – und halten den deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach für einen gierigen Egomanen. Elf Fakten zu den irritierendsten Spielen aller Zeiten.
11.000 Olympioniken
aus aller Welt sind nach Japan gereist. Zusammen mit den Begleitern sind es mehr als 80.000 Menschen, von denen ca. 80 Prozent komplett geimpft sein sollen. Es ist die größte globale Veranstaltung seit Beginn der Pandemie.
Nur 35,3 Prozent
der japanischen Bevölkerung sind bisher mindestens einmal geimpft. Entsprechend groß ist die Angst im Land vor einer unkontrollierbaren Welle von Neuansteckungen.
Weitere 100.000 Tote
werde man bis zum Verlöschen der Flamme am 8. August weltweit zählen, stellte WHOGeneraldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus fest. Auch das steigert nicht gerade die Feierlust der Japaner.
1980
musste IOC-Präsident Bach nach seinem Fecht-Olympiasieg vier Jahre zuvor wegen des Olympiaboykotts auf die Spiele in Moskau verzichten. Diese Erfahrung präge den Würzburger bis heute, heißt es. „Bei einer Absage hätten wir eine ganze Generation von Athleten verloren“, sagt Bach heute. Viele Sportlerinnen und Sportler um die OlympiaChance zu bringen, auf die sie oft Jahre hintrainiert haben, das sei „nie eine Option“gewesen. Für ihn zumindest nicht. Fast überall, wo Bach sich in Japan zuletzt sehen ließ, schlug ihm wütender Protest entgegen. Viele Japaner halten ihn für eitel und skrupellos.
Drei Milliarden
EuroausFernseh- und Sponsorenrechten werden mindestens genauso sehr dazu beigetragen haben, dass eine Absage „nie eine Option“war, wie Bachs persönliche Geschichte. Diese Summe fließt für Olympia in Tokio auf die IOC-Konten. 90 Prozent davon reicht der Ringe-Zirkel an Weltverbände und Nationale Olympische Komitees weiter. „Das weltweite Netz der Förderungen ist ganz entscheidend davon abhängig, dass Olympische und Paralympische Spiele erfolgreich umgesetzt werden – mit all den Sponsorenverträgen, die da dranhängen“, sagte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds.
430 Athletinnen
und Athleten sind diesmal für Deutschland am Start. Die sportlichen Erwartungen sind gedämpft, klare GoldFavoriten wie Weitspringerin Malaika Mihambo, Ruderer Oliver Zeidler und Speerwerfer Johannes Vetter gibt es wenige. Für hohe Einschaltquoten dürften die Auftritte von Fußballern und Handballern sorgen. Angesichts der schwierigen Umstände hat der DOSB-Chef diesmal das Medaillenzählen zur Nebensache erklärt. Der Auftrag sei es, „alle aus dem Team D gesund wieder zurückzubringen“, sagte Hörmann.
339 Entscheidungen
in 33 Sportarten stehen auf dem Programm: eine Rekordzahl. Neu dabei sind Wettbewerbe auf dem Skateboard, dem Surfbrett und an der Kletterwand, die Olympia attraktiver für ein jüngeres Publikum machen sollen. Auch Karate fand erstmals Aufnahme, Baseball und Softball kehren zurück.
Fast 50 Prozent
der Teilnehmer in Tokio werden weiblich sein, die Organisatoren feiern dies als „Meilenstein“im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit. Ein wichtiges Zeichen dafür sollte auch die Berufung von Organisationschefin Seiko Hashimoto sein, einer siebenmaligen Olympia-Starterin. Die 56-Jährige kam im Februar aber nur deshalb noch ins Amt, weil ihr Vorgänger Yoshiro Mori wegen eines Skandals um frauenfeindliche Aussagen zurücktreten musste.
Die zweiten Spiele
in Tokio waren nach der Ausgabe 1964 als „Olympiade des Wiederaufbaus“gedacht. Zehn Jahre nach der Dreifach-Katastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Atomunfall sollten die Wettkämpfe in Fukushima der Welt die Fortschritte in der Region zeigen. Nun treten Baseballer und Softballerinnen im Fukushima Azuma Baseball Stadium ohne Publikum an, ausländischen Fans ist die Einreise untersagt. Japans Ministerpräsident Yoshihide Suga hielt gegen den Rat seiner wissenschaftlichen Experten am Olympia-Plan fest.
Die 32 Milliarden
US-Dollar Mehrwert, den die Spiele laut den Verantwortlichen ins Land spülen sollten, sind längst vom Tisch. Einnahmen sind durch die ausbleibenden Touristen weggebrochen. Stattdessen sind die Kosten explodiert. Das Versprechen des Wiederaufbaus durch Olympia ärgert auch deswegen viele, weil Bauprojekte im Not leidenden Nordosten auch durch die vielen Projekte in Tokio verhindert wurden. Dort war die Nachfrage nach Arbeitern und Material so hoch, dass in den vor zehn Jahren zerstörten Orten Bauwerke für die Allgemeinheit noch immer nicht fertiggestellt sind.
Rund 60
Großunternehmen im Land gehören zu den offiziellen Sponsoren von „Tokyo 2020“. Darunter sind auch die fünf größten Medienhäuser. Trotzdem hat auch eine der größten Zeitungen des Landes inzwischen die Absage der Spiele gefordert. Der Autobauer Toyota hat jetzt alle Werbeaktivitäten zu den Olympischen Spielen gestoppt. Man fürchtet im Zusammenhang mit dieser im Land verhassten Party um den guten Ruf der Marke.