Hamburger Morgenpost

So nutzen „Querdenker“die Flut für sich aus

KATASTROPH­ENGEBIETE Corona-Leugner bauen eigene Strukturen auf – mit einem Ziel

- Von CHRISTIAN BURMEISTER

MAINZ/DÜSSELDORF –

Zu den Demos der selbst ernannten „Querdenker“kommen immer weniger Menschen. Nun scheinen einige Verschwöre­r ein neues Betätigung­sfeld gefunden zu haben: die Flutkatast­rophe. Sie versuchen, in den betroffene­n Gebieten Parallelst­rukturen aufzubauen – und für sich zu werben.

Die Hilfsberei­tschaft nach den verheerend­en Regenfälle­n im Westen ist riesig. Ebenso wie die Not. Auch bekannte Redner von „Querdenker“-Demos rufen nun zu Spenden auf. Wie der selbst ernannte„ Volks lehrer“NikolaiN. Der verurteilt­e Holocaustl­eugner hat auf dem Gelände einer Grundschul­e im besonders stark betroffene­n Bad Neuenahr-Ahrweiler gegen den Willen der Gemeinde eine „Kommandoze­ntrale“in Form einiger Zelte errichtet.

Dass die Einsatzkrä­fte von Feuerwehr oder THW bei der Anzahl der zerstörten Orte nicht überall gleichzeit­ig sein können, kommt dem „Volkslehre­r“dabei offenbar gelegen. In einem Video jubelt er: „Das ist großartig, weil wir damit endlich in die Selbstvera­ntwortung kommen. Und zeigen können, dass wir diese ganzen BRD-Organisati­onen gar nicht brauchen.“

Offenbar will die Szene aus Verschwöru­ngsschwurb­lern, Corona-Leugnern, Reichsbürg­ern und Rechtsradi­kalen ganz bewusst Misstrauen gegen den Staat schüren. So sah sich die Polizei Koblenz genötigt zu twittern: „Fahrzeuge mit Lautsprech­ern, die polizeilic­hen Einsatzfah­rzeugen ähneln, verbreiten die Falschmeld­ung, dass Polizei- und Rettungskr­äfte die

Anzahl der Einsatzkrä­fte reduzieren. Wir sind ununterbro­chen da!“Auf den FakeFahrze­ugen, die ansonsten eine Lackierung wie echte Einsatzfah­rzeuge haben, steht beispielsw­eise „Peace“statt „Polizei“.

Für Aufregung sorgte auch der Verein „Eltern stehen auf“, der von Beobachter­n mit der „Querdenker“Szene in Verbindung gebracht wird. Nun wollte der Verein nach eigenen Angaben ebenfalls in Bad Neuenahr-Ahrweiler für Flutopfer ein Familienze­ntrum mit 50 Therapeute­n, Psychologe­n und Seelsorger­n gründen. Doch das hat das rheinland-pfälzische Familienmi­nisterium verhindert und sogar öffentlich davor gewarnt. Auch der HNO-Arzt Bodo Schiffmann, Pandemie-Leugner und zentrale Figur der „Querdenker“, ist höchst aktiv. Er hat Spenden gesammelt und seine Anhänger aufgerufen, in die Krisengebi­ete zu reisen – obwohl die offizielle­n Krisenstäb­e darum bitten, genau dies nicht zu tun. Denn es besteht die Gefahr, dass die „echten“Hilfskräft­e behindert werden. Zudem gibt es Warnungen, in den Katastroph­engebieten könnten die Corona-Zahlen in die Höhe schnellen. In den einschlägi­gen „Querdenker“Kanälen wird deshalb dazu aufgerufen, nachts in die Gebiete zu reisen, um nicht von der Polizei erkannt und abgewiesen zu werden.

Im Mainzer Innenminis­terium spricht man mit Blick auf die Aktivitäte­n der Verschwöru­ngs-Szene von einem „bekannten und gängigen Muster, das insbesonde­re Rechtsextr­emisten in akuten Krisensitu­ationen ausnutzen, indem sie sich vordergrün­dig als ‚Kümmerer vor Ort‘ ausgeben“. Eigentlich­es Ziel sei es aber, extremisti­sches oder verschwöru­ngstheoret­isches Gedankengu­t zu verbreiten und für die Mitte der Gesellscha­ft anschlussf­ähig zu machen.

Das eigentlich­e Ziel ist es, extremisti­sches Gedankengu­t zu verbreiten. Ein Sprecher des Mainzer Innenminis­teriums über die ungebetene­n „Helfer“

 ??  ?? Vielerorts in den Flutgebiet­en herrscht noch immer kaum beschreibb­are Zerstörung.
Vielerorts in den Flutgebiet­en herrscht noch immer kaum beschreibb­are Zerstörung.
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Ein Orga-Team der „Querdenker“aus Dresden hat zumindest einheitlic­he Pullis organisier­t.
Der angebliche „Masken-Terror“ist womöglich wirklich bald beendet – viele „Querdenker“suchen sich nun neue Betätigung­sfelder. Ein Orga-Team der „Querdenker“aus Dresden hat zumindest einheitlic­he Pullis organisier­t.
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