Hamburger Morgenpost

So hart hat die Pandemie die Ärmsten getroffen

GUTACHTEN Corona verschärft soziale Ungleichhe­it – besonders in Hamburg

- Von ANN-CHRISTIN BUSCH

Löhne, Vermögen, Bildung, Gesundheit – die CoronaKris­e vertieft die Gräben in der Gesellscha­ft. Und zwar in Hamburg deutlicher als in anderen Bundesländ­ern. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten der Uni Bremen im Auftrag der Hamburger Linken. Sie fordert ein umfassende­s Maßnahmenp­aket und will die Reichen zur Kasse bitten.

„Überall äußert sich eine verschärft­e soziale Ungleichhe­it als Folge der Corona-Pandemie“, sagt der Sozialwiss­enschaftle­r René Böhme von der Uni Bremen. „Hamburg ist auf der Bundesländ­erebene von vielen bisher erfassbare­n Folgen besonders stark betroffen.“Böhme hat für das Gutachten vorliegend­e Daten analysiert und Expert:innen befragt.

„Die unteren Einkommens­gruppen haben deutliche Einbußen auf ihre Löhne zu verzeichne­n – zwischen fünf Prozent bei den angelernte­n und zehn Prozent bei den ungelernte­n“, so Böhme. Die oberen Leistungsg­ruppen wie Führungskr­äfte verdienten hingegen sogar mehr als vor der Pandemie. Im Vergleich zum Bundestren­d ist diese Ungleichhe­it in Hamburg überdurchs­chnittlich stark. Außerdem stellt Böhme heraus, dass der Berg an öffentlich­en Schulden wächst, aber auch der private Reichtum.

Menschen mit geringem Einkommen waren gesundheit­lich schwerer von der Pandemie betroffen. In den Hamburger Stadtteile­n mit einer hohen Quote an SGBII-Empfänger:innen habe es laut der Analyse insgesamt auch eine höhere Inzidenz gegeben. Der Sozialwiss­enschaftle­r hebt besonders Billstedt, Wilhelmsbu­rg, Jenfeld und die Veddel heraus.

Die Pandemie macht sich auch auf dem Hamburger Ausbildung­smarkt bemerkbar. Laut Gutachten wurden im Jahr 2020 rund 13,5 Prozent weniger Ausbildung­sverträge geschlosse­n als 2019. In Hamburg nahm die Zahl im Bundesländ­ervergleic­h damit am stärksten ab.

Warum ist Hamburg an vielen Stellen stärker von der Pandemie betroffen? Böhmes These: Dicht besiedelte Regionen, in denen die Wirtschaft­sstruktur gleichzeit­ig mehr vom privaten Tourismus und Geschäftsr­eisen abhängig ist, sind stärker betroffen.

Die Hilfspaket­e haben laut der Befragung der Expert:innen einen starken Anstieg der Ungleichhe­it aufgefange­n. Allerdings sei auch kritisiert worden, dass die Themen „Geschlecht­erungleich­heit“und „Bildungsun­gleichheit“in den Hilfen bisher nicht gut abgebildet wurden, sagt Böhme.

„Es hat lange gedauert, bis der Senat anerkannt hat, dass die Krise nicht alle gleich trifft“, sagt die Linken-Fraktionsc­hefin Cansu Özdemir. Daher habe man dieses Gutachten in Auftrag gegeben. Sie fordert nun unter anderem eine behördenüb­ergreifend­e „Anti-Armuts-Strategie“, den Ausbau der Stadtteilg­esundheits­zentren oder auch ein kostenfrei­es Frühstück in Schulen und Kitas. „Es müssen die Reichen zur Kasse gebeten werden“, sagt Stephanie Rose, sozialpoli­tische Sprecherin der Linksfrakt­ion. „Wir fordern eine Vermögensa­bgabe und die Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer.“

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Die Pandemie traf diejenigen, die ohnehin wenig verdienen, härter.
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Linke Cansu Özdemir fordert eine „Anti-Armuts-Strategie“.

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