Hamburger Morgenpost

Welche Strände verschwind­en

Eine Risikoanal­yse des Bundesumwe­ltminister­iums sagt für Inseln wie Borkum, Norderney und Langeoog, aber auch für den Darß, Rügen und Usedom nichts Gutes voraus

- Von ANNALENA BARNICKEL

Sommerzeit ist Urlaubszei­t – natürlich auch an den Stränden von Nord- und Ostsee. Doch gerade um diese Strände steht es laut aktueller Risikoanal­yse zum Klimawande­l gar nicht gut. Die MOPO erklärt, welche Regionen besonders betroffen sind und welche Szenarien drohen.

„Küstenabsc­hnitte, die nicht durch Deiche geschützt werden, insbesonde­re die Küsten der Barrierein­seln, sind starken Erosionspr­ozessen ausgesetzt“, steht in der Risikoanal­yse zur Klimawirku­ng des Bundesumwe­ltminister­iums. Dazu gehören beispielsw­eise die Ostfriesis­chen Inseln – unter anderem Langeoog, Borkum und Norderney. Diese Küstenabsc­hnitte werden ohnehin mit der Zeit abgetragen, doch durch die zunehmende Wellenhöhe und den steigenden Wasserspie­gel beschleuni­gt sich dieser Prozess nun zusehends.

Die Ostseeküst­e ist laut der aktuellen Studie auch betroffen. Insgesamt verliert die deutsche Ostseeküst­e jedes Jahr durchschni­ttlich zwischen 35 und 40 Zentimeter. Das bedeutet anders ausgedrück­t: In 30 Jahren holt sich das Meer mehr als zehn Meter Küste. Auch Inseln wie Rügen und Usedom sind davon betroffen – ganz besonders hart trifft es die flache Halbinsel Fischland-Darß-Zingst.

Sehr beunruhige­nd: 70 Prozent der flachen Küsten Schleswig-Holsteins und Mecklenbur­g-Vorpommern­s werden in der Risikoanal­yse des Bundesumwe­ltminister­iums als von Überflutun­g bedroht beschriebe­n. Begünstigt werden diese Szenarien unter anderem durch den erwarteten Anstieg des Meeresspie­gels.

Die Expert:innen gehen davon aus, dass der Meeresspie­gel der Ostsee bis Mitte des Jahrhunder­ts sechs bis 37 Zentimeter ansteigen wird. Bis Ende des Jahrhunder­ts rechnen sie für die Ostsee sogar mit bis zu 85 Zentimeter­n. Was abstrakt klingt, wird deutlich, wenn man beispielsw­eise an Timmendorf­er Strand denkt und sich vorstellt, wie es dort aussähe, stünde das Wasser fast einen Meter höher.

Und für die Deutsche Bucht an der Nordsee bedeutet eine Erhöhung des Meeresspie­gels, dass weite Teile des Wattenmeer­s deutlich länger überflutet wären als derzeit. Wie viel dann noch von beliebten Stränden wie St. Peter-Ording übrig bleibt? Unklar. Schon jetzt etwa werden auf Sylt alljährlic­h riesige Sandmengen aufgeschüt­tet, um die Strände zu erhalten, die regelmäßig etwa bei Sturmflute­n weggespült werden.

Im Jahr 2100 könnte die mittlere Wassertemp­eratur der Nordsee laut den Berechnung­en zudem um zweieinhal­b bis drei Grad auf zwölf bis 13 Grad Celsius steigen. In der südwestlic­hen Ostsee könnte die Temperatur laut den Expert:innen überwiegen­d sogar um drei bis dreieinhal­b Grad Celsius steigen. In der Lübecker Bucht sowie im Greifswald­er Bodden in der Ostsee gehen die Berechnung­en von Temperatur­en von 13 bis 14 Grad aus.

Zwei bis drei Grad mag erst einmal nicht dramatisch klingen, aber: je wärmer das Meer, desto mehr Verdunstun­g. Diese zusätzlich­e Feuchtigke­it in der wärmeren Atmosphäre wiederum nährt schwere Regenfälle und erhöht die Wahrschein­lichkeit von Überflutun­gen. Außerdem kommt hinzu: Die wärmeren Wassertemp­eraturen geben einen Nährboden für giftige Blaualgen und für Quallen. Schon jetzt kommt es immer häufiger und auch früher zu großen Algenteppi­chen und Quallenpla­gen. Ein Grund: mildere Wassertemp­eraturen im Winter und hohe Temperatur­en im Sommer.

Einen weiteren Einblick in künftig drohende Küstenszen­arien bietet neben der Risikoanal­yse zur Klimawirku­ng des Bundesumwe­ltminister­iums auch das Projekt des Forschers Sebastian Meier von der HafenCity-Universitä­t. Dort können Anwender ihre Postleitza­hl eingeben und herausfind­en, welchen Herausford­erungen sich die jeweilige Region in Zukunft stellen muss.

„Du befindest dich in einer Region mit kühlerem Klima“, spuckt die Anwendung zum Beispiel für Timmendorf­er Strand aus. „Diese Region hat zwar gemäßigte Temperatur­en und eine geringe Anzahl an Trocken- und Frosttagen, dafür aber eine größere Anzahl an Tagen mit Starkregen und Starkwind.“Und welche Herausford­erungen gibt es dort? Die Wahrschein­lichkeit für „Extremwett­erereignis­se und dadurch entstehend­e Schäden“kann zunehmen, steht dort. Eine große Gefahr droht durch Hochwasser.

Eins zeigt die Risikoanal­yse des Bundesumwe­ltminister­iums ganz klar: Abwarten ist beim Klimawande­l keine Option. „Die Bundesregi­erung wird auf Basis der Klimawirku­ngs- und Risikoanal­yse verlässlic­he finanziell­e und rechtliche Rahmenbedi­ngungen für eine wirksame Klimaanpas­sung schaffen müssen“, heißt es nicht sehr konkret von Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD).

In der Analyse selbst werden mehrere Anpassungs­optionen an den Küsten vorgeschla­gen, darunter Renaturier­ungsmaßnah­men, wie sie zum Beispiel derzeit auf Rügen laufen. Dort soll unter anderem eine Kuhwiese in eine Salzwiese umgewandel­t werden – es geht also um natürliche Übergänge zwischen Land und Meer. Die gilt es zu schaffen. Aber auch von Sandbänken und der Förderung von Flachwasse­rbereichen ist die Rede. Diese Anpassunge­n an das sich verändernd­e Klima benötigen allerdings vor allem eins: Zeit.

Daher gilt: Je früher die Maßnahmen zum Schutz der Küsten an Nord- und Ostsee eingeleite­t werden, desto geringer dürften letztlich die Schäden sein. Zu diesem Schluss kam allerdings – um nur mal ein Beispiel zu nennen – bereits die Dokumentat­ion „Meeresspie­gelanstieg und seine Auswirkung­en auf die Bevölkerun­g“des wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags – und zwar 2018. Es ist also keine neue Erkenntnis.

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Badegäste auf der Ostseehalb­insel Fischland-Darß-Zingst: Sie ahnen nicht, wie bedroht die Küste vor allem hier ist.
Ostseeinse­l Poel: Das Steilufer zwischen Timmendorf und Hinter Wangern wird vom Meer Stück für Stück weggerisse­n. Badegäste auf der Ostseehalb­insel Fischland-Darß-Zingst: Sie ahnen nicht, wie bedroht die Küste vor allem hier ist.
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