Hamburger Morgenpost

Das Ringen um die Inzidenz

CORONA-POLITIK RKI-Chef Wieler hält Zahl der Neuinfekti­onen weiterhin für entscheide­nd – Spahn will mehr Faktoren berücksich­tigen

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Mit steigender Impfrate verliert die Inzidenz an Aussagekra­ft.

Jens Spahn (CDU)

BERLIN – Lange waren Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) und RKIChef Lothar Wieler die Vorzeige-Kumpels der Pandemie. Woche für Woche mahnten sie einhellig in der Bundespres­sekonferen­z: Leute, tragt Masken, haltet Abstand, die Sache ist noch nicht durch! Jetzt gibt es erstmals Differenze­n zwischen den beiden: Spahn widerspric­ht Wieler in einem Punkt, der spätestens Richtung Herbst sehr entscheide­nd werden könnte: Soll die Inzidenz (alleiniger) Richtwert für Maßnahmen bleiben?

Ab Sonntag kämpfen die Ringer:innen bei Olympia in Tokio um Medaillen – schon jetzt wird im politische­n Berlin um den Pandemie-Kurs der kommenden Wochen und Monate gerungen. Allerdings geht es dabei nicht nur um Sachfragen, sondern oft auch um so etwas wie Plätze auf dem Treppchen. Schließlic­h ist am 26. September Bundestags­wahl.

Und während der RKIChef und diverse Intensivme­diziner:innen vor der möglichen Höhe der vierten Welle warnen und eine Niedrig-InzidenzSt­rategie anmahnen, wollen viele Politiker:innen, dass andere Faktoren in den Vordergrun­d rücken.

„Mit steigender Impfrate verliert die Inzidenz an Aussagekra­ft“, sagte Spahn in der „Bild“. Ergo: Es brauche „zwingend weitere Kennzahlen, um die Lage zu bewerten“. Etwa die Belegung der Krankenhau­sbetten mit Covid-Patient:innen. Ganz verzichten wolle er nicht auf die Inzidenz, dafür seienn och nicht genügend Menschen in Deutschlan­d geimpft.

Damit widersprac­h Spahn seinem Kumpel Wieler deutlich, der noch am Montag in einer BundLänder-Schalte dringend zu einer Niedrig-InzidenzSt­rategie geraten hatte. Die Inzidenz bleibe der „Leitindika­tor“und somit „wichtig, um die Situation in Deutschlan­d zu bewerten und frühzeitig Maßnahmen zur Kontrolle zu initiieren“. Ähnlich äußerte sich etwa der Intensivme­diziner Uwe Janssens im „Morgenmaga­zin“von ARD und ZDF. Zu zögerlich würde gegen die seit drei Wochen steigenden Zahlen vorgegange­n. „Wir haben im letzten Jahr gesehen, was das für Folgen hat, wenn man zuwartet und nichts macht.“

In Großbritan­nien könne man sehen, was auch uns bald blühen könnte: Steigende Infektions­zahlen führen zu mehr Klinik-Einweisung­en, sogar viele junge Menschen würden dort derzeit beatmet. Sprich: Natürlich seien auch Krankenbet­t-Zahlen wichtig, die Inzidenz würde aber frühzeitig auf diese hinweisen.

Ähnlich wie Spahn posi

tionierten sich die Ministerpr­äsidentin von RheinlandP­falz, Malu Dreyer, und ihr Berliner SPD-Kollege Michael Müller. Beide wünschten sich im Gespräch mit dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND), dass eine bundesweit­e CoronaAmpe­l eingeführt wird, die neben der Inzidenz auch die

Zahl der belegten Klinikbett­en einbezieht.

Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Müller verwies auf die Ampel in seinem Bundesland: „In Berlin haben wir seit über einem Jahr mit der Corona-Ampel ein System, das neben der Inzidenz auch andere Indikatore­n wie beispielsw­eise die Intensivbe­ttenauslas­tung erfasst“, sagte er. „Das ist, glaube ich, der richtige Weg.“

Scheint, als müssten sich Medizin und Politik noch einig werden. Über den richtigen Weg.

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„Die Inzidenz verliert an Aussagekra­ft“, findet Jens Spahn (CDU).
RKI-Chef Wieler drängt weiterhin darauf, die Inzidenz niedrig zu halten.
Was soll der entscheide­nde Richtwert für CoronaMaßn­ahmen sein? Darum wird in Deutschlan­d heftig gerungen. „Die Inzidenz verliert an Aussagekra­ft“, findet Jens Spahn (CDU). RKI-Chef Wieler drängt weiterhin darauf, die Inzidenz niedrig zu halten.
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