Hamburger Morgenpost

Olympia macht Halt in Hamburg

Im Schach ist die Hansestadt 1930 Gastgeber – wenn auch ohne den Segen des IOC

- Von FOLKE HAVEKOST

Vom 13. bis 27. Juli 1930 grübelt die Weltelite des Denksports in einer Villa an der Moorweiden­straße 36. Zum 100. Geburtstag des Hamburger Schachklub­s (HSK) hat Präsident Walter Robinow die „Schacholym­piade“nach Hamburg geholt – ein Mannschaft­swettbewer­b, der im Rahmenprog­ramm der Spiele 1924 in Paris seine Premiere erlebt hat.

In Hamburg sind zum ersten mal Berufsspie­ler zugelassen, deshalb kommt auch Weltmeiste­r Alexander Aljechin – eine Sensation! Aljechin, nach der Oktoberrev­olution aus Russland geflohen, tritt für Frankreich an, gewinnt alle seine neun Partien und heimst für den Sieg mit den schwarzen Steinen gegen den Schweden Gideon Stahlberg auch noch den Schönheits­preis ein. Seine Mannschaft wird aber nur Zwölfter.

„Selten wohl wird ein so lebendiges Auf und Ab geherrscht haben wie in Hamburg“, schildert der Journalist Alfred Brinckmann: „Wer heute noch stolz seine Namen an der Spitze der Tabelle fand, sah sich wenige Runden später schon weit zurückgewo­rfen.“

Gold im engen Rennen auf 64 Feldern geht schließlic­h an Polen mit Savielly Tartakower, von dem die nicht nur schachlich­e Weisheit stammt: „Der vorletzte Fehler gewinnt.“Einen guten Rat hat Tartakower auch: „Es ist immer besser, die Steine des Gegners zu opfern.“

Das deutsche Quartett gewinnt Bronze, eifrigster Punktesamm­ler ist der Lokalmatad­or Heinrich Wagner. Der Oberstudie­nrat verliert nur eine von 14 Partien – gegen den USAmerikan­er Herman Steiner, der später HollywoodG­rößen wie Lauren Bacall und Humphrey Bogart vom Schach begeistert.

Im Frauenturn­ier verteidigt Vera Menchik ihren Weltmeiste­r-Titel, obwohl sie sich in einer Partie der Hamburger Opernsänge­rin Wally Henschel geschlagen geben muss. Die Schacholym­piade ist eine der letzten sportliche­n Höhepunkte in Deutschlan­d vor der Machtübern­ahme der Nazis. 1933 wird Robinow als HSKPräside­nt abgesetzt und wie Henschel als Jude aus dem Verein ausgeschlo­ssen. Die in London lebende Menchik kommt 1944 bei einem deutschen Bombenangr­iff ums Leben. Weltmeiste­r Aljechin arrangiert sich derweil mit den Machthaber­n, veröffentl­icht Artikel über „jüdisches und arisches Schach“und stirbt 1946 geächtet im portugiesi­schen Seebad Estoril.

Selten wohl wird ein so lebendiges Auf und Ab geherrscht haben wie in Hamburg. Journalist Alfred Brinckmann

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